Filmkritik zu ‘Die Frau in Schwarz’

Von Denis Sasse @filmtogo

Seit sich Daniel Radcliffe vor elf Jahren zum ersten Mal auf die Rolle des Zauberschülers Harry Potter gestürzt hat, hat er sich mit dem Auftauchen in anderen filmischen Projekten dezent zurück gehalten. Man kann diese noch an einer Hand abzählen: In ‚December Boys‘ spielt er einen Waisenjungen, der mit vier befreundeten Waisen um die Gunst einer Familie kämpft, im Fernsehfilm ‚My Boy Jack‘ verschlägt es ihn in den ersten Weltkrieg und bei ‚Die Simpsons‘ hat er einen Gastauftritt in der traditionellen Halloween-Episode ‚Treehouse of Horror XXI‘. Nun liegen acht Harry Potter-Verfilmungen hinter dem inzwischen 22jährigen Darsteller und er widmet sich direkt der nächsten Romanverfilmung. Basierend auf ‚Die Frau in Schwarz‘ der britischen Autorin Susan Hill, hat Regisseur James Watkins (‚Eden Lake‘) den gleichnamigen Film auf die Leinwand gebannt, in dem Radcliffe an der Seite von Ciarán Hinds (‚John Carter‘) und Janet McTeer (‚Albert Nobbs‘) zu sehen ist.

Radcliffe spielt in ‚Die Frau in Schwarz‘ den jungen Londoner Anwalt Arthur Kipps, der keine Vorstellung davon hat, was auf ihn zukommt, als seine Kanzlei ihn beauftragt, in ein verschlafenes Nest zu reisen, um den Nachlass der kürzlich verstorbenen Besitzerin von Eel Marsh House aufzulösen. Kaum ist er in dem düsteren Herrenhaus angekommen, spürt er, dass etwas damit nicht in Ordnung ist. Immer tiefer taucht er in die dunklen Geheimnisse des Ortes ein. Dann erscheint ihm eine mysteriöse, in schwarz gekleidete Frau und er beginnt zu erahnen, dass er grauenvollen Ereignissen aus der Vergangenheit auf der Spur ist.

Daniel Radcliffe als Arthur Kipps

Und hier beginnt die Jagd, zugleich aber auch Flucht, vor der Frau in Schwarz. Schon im Prolog des Films erleben die Zuschauer die düstere, gräulich vernebelte Atmosphäre, die in den kommenden Minuten vorherrschend sein wird. Das erste Bild, welches sich in das Gedächtnis einbrennt, wird das dreier kleiner Mädchen sein, unschuldig in weißen Kleidchen gekleidet, die ihr munteres Puppenspiel abrupt unterbrechen, um gemeinschaftlich aus dem Fenster ihres Zimmers in den Tod zu springen. Die Frau in Schwarz ist nur am Rande des Bildes zu sehen, markiert aber bereits in dieser Szene ihren Einfluss auf ihre Umwelt – die sie offenbar zum Selbstmord treiben kann. Der Schleier den diese Frau trägt, ist nur ein Anzeichen für die nebeligen Verhältnisse, die in dem Film zum Tragen kommen. So werden auch die Zuschauer im Unklaren über die Vorkommnisse aus der Vergangenheit gelassen, ebenso wir Arthur Kipps, der sich mit Dorfbewohnern konfrontiert sieht, die ihm die vergangenen Ereignisse unter denen sie alle noch zu leiden scheinen, ebenso vorenthalten und ihm unter einem Schleier der Unwissenheit fort jagen wollen. Und auch eine der stärksten Sequenzen des Filmes spielt sich im Nebel ab, dann nämlich wenn Arthur Kipps orientierungslos in dicken Nebelschwaden umher irrt, nur eine graue Schicht vor Augen, im Hintergrund irgendwo Stimmen und Geräusche hörbar, die den jungen Mann verstören, aber auch magisch anziehen. Er wirbelt umher, lässt den Zuseher ebenso gebannt auf die Leinwand blicken, wie er selbst angestrengt versucht in seiner Umgebung etwas zu erkennen.

Hier offenbart sich Daniel Radcliffe als geglückte Besetzung für einen Horrorfilm, der zwar eine starke Hauptfigur benötigt, die aber zugleich auch im Stande sein muss, eine gewisse Schwäche auszudrücken. Im Gegensatz zu Schauspielkollegen des ‚Twilight‘-Universums, schafft es Radcliffe sein Zauberschüler-Image gänzlich abzulegen und die Zuschauer nicht mehr an Harry Potter denken zu lassen – was in Anbetracht von elf Jahren und acht Filmen, die das Potter-Franchise in den Kinos präsent war, eine beachtliche Leistung darstellt. Er schlüpft überzeugend in die Rolle des alleinerziehenden Vaters, der seiner toten Frau nachtrauert und stets melancholisch in Erscheinung tritt. Selbst sein kleiner Sohn malt seinen Daddy immer mit einem traurigen Gesicht. Der eher schmächtige, verletzliche Körperbau macht Radcliffe in diesem Horrormärchen nicht etwa zu einem übermäßig verängstigten Hauptprotagonisten, sondern zu einem gut charakterisierten Melancholiker, der sich darstellerisch angemessen in sein filmisches Umfeld einfügt.

Ciarán Hinds als Daily

Aber nicht nur der Hauptdarsteller soll gelobt werden, sondern auch die Handlung des Filmes. Eine klassische Mischung aus Haunted House-Geschichte, wobei diese hier als erweiterte Fassung über das eigentliche Haus hinaus in Szene gesetzt wurde, sowie gruselige Detektivgeschichte, bei der eine erschreckende Vergangenheit zu Tage gefördert werden soll. Regisseur James Watkins war schlau genug, die Frau in Schwarz nicht übermäßig oft auf der Leinwand erscheinen zu lassen, sondern inszeniert sie dezent im Hintergrund, was sie zu einem noch gruseligeren Monster werden lässt. Der Film entfernt sich von so vielen Horrorfilmen dieser Tage, die zu glauben scheinen, dass besonders schrecklich aussehende Kreaturen den Gruselfaktor nach oben schnellen lassen. Aber hier wird viel mehr erkannt, dass das Ungesehene, das Verborgene – und wieder sind wir im Nebel am umher irren – weitaus schockierender sein kann, als das Gezeigte. Natürlich verzichtet ‚Die Frau in Schwarz‘ nicht gänzlich auf Momente, in denen die Zuschauer auch einmal Dinge zu sehen bekommen. So entsteigt ein kleiner Junge aus einem Bettlaken, welches vor den Augen von Arthur Kipps zu einem Schlamm-Moloch verkommt, das Grab in dem der Junge ums Leben gekommen ist. Wenn das Kind dort seinem Sumpf-Grab entsteigt, erinnert die Szene an den schrecklichen Moment in dem 2002er Remake ‚The Ring‘, in dem das Grusel-Mädchen Samara aus einem Fernseher klettert um sich auf ihr Opfer zu stürzen. Was damals schon Gänsehaut hervorrief, funktioniert auch 2012 noch.

‚Die Frau in Schwarz‘ lässt darüber hinaus den Zuschauer immer noch ein wenig mehr sehen als den Hauptprotagonisten Arthur Kipps, wodurch man ihm gerne schon einmal zurufen würde, wenn sich eine unheimliche Gestalt gerade mit ihm im Raum befindet, für ihn aber unsichtbar bleibt. Der Film ist ein atmosphärisch düsteres Horrormärchen, welches für Daniel Radcliffe die erfolgreiche Abnabelung von Harry Potter darstellt. Mit Ciarán Hinds bekommt Radcliffe noch den nötigen Skeptiker zur Seite gestellt, der die Zuschauer kurzzeitig glauben lässt, dass hier doch keine übernatürlichen Mächte am Werk sind, sich dann aber doch eines Besseren belehren lassen muss. Mit ‚Die Frau in Schwarz‘ kehrt der klassische Horrorfilm, der weniger durch Blutorgien und mehr durch Gruselmomente hervorsticht, erfolgreich auf die Kinoleinwände zurück

Denis Sasse


‘Die Frau in Schwarz‘