Der belgische Comicautor Hergé – oder Georges Prosper Remi, so sein bürgerlicher Name – hat es zu Lebzeiten auf 24 Alben seiner beliebten Abenteuerserie ‚Tim & Struppi‘ gebracht. Das 25. Album, welches sich lediglich in Vorbereitung befand, wurde zwar noch nach seinem Tode im März 1983 veröffentlicht, besteht jedoch nur aus angefertigten Skizzen, nicht aus einer vollständigen Geschichte. Das Hergé unter Kollegen ein angesehener Mann war, bewiesen die vielen Tribute, die ihm gezollt wurden. Darunter auch vom ‚Asterix‘-Zeichner und Autor Albert Uderzo, der den beiden Interpol-Agenten Schulze und Schultze einen Auftritt in den letzten beiden Bildern von ‚Asterix bei den Belgiern‘ spendierte. Nun ist Hollywood an der Reihe. Die Traumfabrik hat zwei ihrer erfolgreichsten Männer – Steven Spielberg und Peter Jackson – geschickt, um mit ‚Das Geheimnis der Einhorn‘ den ersten Teil einer geplanten Filmtrilogie um das Comicuniversum von Hergés Reporterjungen auf die große Leinwand zu bringen.
Die Handlung folgt Tim (Jamie Bell) und seinem loyalen Hund Struppi, wie sie ein Schiffsmodell entdecken, welches ein mysteriöses Geheimnis birgt. Tim wird in ein Jahrhundert altes Rätsel verwickelt und gerät ins Blickfeld des diabolischen Schurken Sakharin (Daniel Craig). Der ist davon überzeugt, dass Tim das Wissen über den Fundort eines unermesslich wertvollen Schatzes besitzt, der mit dem niederträchtigen Piraten Rackham des Roten in Verbindung gebracht wird. Mit der Hilfe von Struppi, dem etwas versoffenen Kapitän Haddock (Andy Serkis) und den beiden unbeholfenen Ermittlern Schulze und Schultze, reist Tim um die halbe Welt, um den Ort ausfindig zu machen, an dem sich das Wrack der ‚Einhorn‘ befinden soll.
Schulze & Schultze mit Tim
Mit den ersten, einleitenden Minuten gibt Regisseur Steven Spielberg direkt den Ton an. Oder sollten wir beim Ton lieber von John Williams sprechen, der die Einleitung mit gewohnt passender Untermalung komponiert hat. Mit vorsichtigen Fingern nähert sich Spielberg dann dem Comic, welches er hier auf die Leinwand gebracht hat. Dass dabei natürlich keine werksgetreue Umsetzung entstanden ist, liegt sowohl an der Unterschiedlichkeit der Medienformen, als wohl auch an der Tatsache, dass er Tim und Struppi einem weltweitem Publikum zugänglich machen wollte. Da wäre eine eins zu eins Verfilmung von Hergés Werken wenig hilfreich gewesen. Wir werden stattdessen mit einem Vorspann belohnt, der sich noch einer cartoonesken Silhouetten-Optik bedient, bevor wir uns auf einem detailverliebten Trödelmarkt wiederfinden. Diese Verliebtheit zu Kleinigkeiten wird der Film beibehalten. Der geschulte Blick kann in jeder Ecke, an jedem Rand eine kleine Anekdote entdecken, die fernab von der eigentlichen Handlung oftmals Bezug zu den Vorlagen nimmt – zumindest aber den Charakter aufrecht erhält. Der Eingangsgag ist dann Spielbergs ganz eigene Hommage an den belgischen Comicautor und soll hier nicht vorweg genommen werden. Es ist ein herzlicher Moment, eine Verneigung vor dem Mann, dem wir die Abenteuer um Tim und Struppi zu verdanken haben. Dann geht es aber auch schon los: Der Fund des Modellschiffes ‚Einhorn‘ setzt eine rasante Handlung in Gang, die sich durch wilde Verfolgungsjagten, schnüfflerischen Ermittlungen und humorvollen Slapstick-Einlagen auszeichnet.
Trotz der hohen Geschwindigkeit, in der ‚Tim & Struppi‘ erzählt wird, verlieren die Zuschauer niemals die Übersicht und die Figuren nicht ihren Charme. Ganz im Gegenteil. Die sonst eher hektisch anmutenden Verfolgungsszenarien sind aufreibend und unterhaltsam gestaltet. Ein Höhepunkt sind Tim, Struppi und Haddock auf einem Motorrad samt Beiwagen, wie sie in einer marokkanischen Hafenstadt die Verfolgung des Filmbösewichts Sakharin aufnehmen. Die schöne Bebilderung der Stadt, aber auch die vielen Details und Aspekte, die diese wilde Raserei unterstützen, lassen sie originell und atemberaubend wirken.
Iwan Iwanowitsch Sakharin (links)
Dieser Fokus auf actionlastige Momente wurde in den Comics klein gehalten. Aber auch wenn der Film hier einen etwas anderen Weg einschlägt, bleiben die Figuren ihren Vorbildern treu. Schade ist, dass es in dieser Episode noch nicht zum Auftritt des schwerhörigen Professor Bienleins kommt, was sich die Filmemacher sicherlich als ein Highlight für einen kommenden Film aufgehoben haben. Zu Recht, denn auch ohne Bienlein funktioniert die Geschichte rund um die ‚Einhorn‘, den Piraten Rackham der Rote und das Kennenlernen von Tim und Kapitän Haddock. Dann wären da aber auch noch Schulze und Schultze, die in einem amüsanten Nebenabenteuer nach einem dreisten Taschendieb Ausschau halten und für die meisten Slapstick-Einlagen verantwortlich gemacht werden dürfen. Die Weiteren gehen dann auf das Konto von Kapitän Haddock, der hier aufgrund seiner familiären Hintergrundgeschichte zur zentralen Figur wird. Andy Serkis, der Darsteller von CGI-Figuren wie King Kong oder Gollum, hat sogar eine „Mein Schatz“-Zeile ins Drehbuch geschrieben bekommen, was durch die Involvierung seitens Peter Jackson kein großes Wunder sein dürfte, der damit auch gleich noch seine kommende ‚Der kleine Hobbit‘-Verfilmung bewerben kann. Und dann wäre da noch der kleine Struppi – von keinem Darsteller gespielt – der seinen ganz eigenen Hunde-Charme in den Film mit hineinbringt. Seine stärksten Momente hat der Terrier, wenn er mit anderen Tieren interagieren darf, gleich ob zähnefletschender Artgenosse, Kamel oder Ratte. Oftmals schaffen es solche Momente sogar, die eigentliche Handlung in den Hintergrund zu drängen – unsere Augen folgen lieber den Späßen Struppis.
Die drei Drehbuchautoren Steven Moffat (‚Doctor Who‘), Edgar Wright (‚Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt‘) und Joe Cornish (‚Attack the Block‘) haben aus den drei Comicheften, die dem Film als Grundlage voraus gingen, ein stimmiges Gesamtwerk zusammengebastelt. Die Handlungen wurden gekonnt miteinander verstrickt, neue Aspekte hinzugefügt und in jede Ecke noch ein Bezug zu den ‚Tim & Struppi‘-Abenteuern gesetzt. Somit dürfte zumindest gewährleistet sein, dass eingefleischte Fans direkt mehrmals den Film ansehen werden (müssen), um wirklich jede Facette des Filmes zu erleben. Für alle anderen lohnt sich ein weiterer Besuch, weil Spielberg es geschafft hat, seine CGI-Welt bis zum letzten Pixel auszuschöpfen. Wenn sich die ‚Einhorn‘ inmitten der Sahara dem ausgetrockneten Haddock manifestiert, auf den Wellen über das Meer wankt und eine im Feuer lodernde Seeschlacht entbrennt, ist ein gewaltiger Fortschritt zu bisherigen CGI-Werken wie ‚Der Polarexpress‘ und ‚Beowulf‘ von Robert Zemeckis zu erkennen.
‚Die Abenteuer von Tim & Struppi‘ bildet ein gelungenes Amalgam aus nostalgischem Kino-Flair und neuzeitlicher CGI-Technik. Fast schon möchte man in Tim den nächsten Indiana Jones sehen – und ganz ohne Aliens und übernatürlichem Schnickschnack ist es Spielberg hier mal wieder gelungen, ein modernes Kinomärchen zu erzählen.
Denis Sasse
‘Die Abenteuer von Tim & Struppi: Das Geheimnis der Einhorn‘
Originaltitel: The Adventures of Tintin: Secret of the Unicorn
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA/Neuseeland, 2011
Länge: ca. 106 Minuten
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig, Simon Pegg, Nick Frost, Toby Jones