Filmkritik zu ‘Another Earth’

Von Denis Sasse @filmtogo

Das ein zweiter, auf die Erde zukommender Planet für Chaos und Zerstörung sorgt, dass hat man in Lars von Triers ‚Melancholia’ sehen können. Mit einer abschließenden Flammenwelle wird der Planet Erde und damit die Zukunft der Menschheit mit einem Male weggefegt. Das eine solche zweite Erde auch eine zweite Chance für die Menschen darstellen kann, beweist Mike Cahills ‚Another Earth’, der vier Monate vor von Triers apokalyptischen Weltuntergang seine Weltpremiere feierte – aber leider etwas später seinen Weg in die deutschen Kinos findet.

Der Film erzählt die Geschichte von Rhoda Williams (Brit Marling), einer hochbegabten jungen Frau, die versucht, eine schreckliche Tragödie wieder gut zu machen. Dann erscheint über Nacht auf einmal ein neuer Planet am Himmel, der unserer Erde immer näher kommt. Wie ein riesiger, reflektierender Spiegel hängt „Erde 2“ über der Menschheit. Für Rhoda ist dieser fremde, gespenstische Planet samt seiner parallelen Realität, die die Wissenschaftler vermuten, ihre letzte Hoffnung. Ein schrecklicher Unfall hat ihren Traum, Astrophysikerin zu werden, zerstört. Sie hat jeden Sinn für ihre Zukunft verloren. Nur die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hält sich noch am Leben. Und so steht Rhoda eines Tages vor der Tür des renommierten Komponisten John Burroughs (William Mapother), jenes Mannes, dessen Leben sie unwiderruflich verändert hat.

Brit Marling

Diese beiden Personen, die wir in ihrer Einsamkeit begleiten und die sich auf der Leinwand finden, wandeln selbst wie Außerirdische über die Welt. Rhoda ist auf der Suche nach Wiedergutmachung, opfert ihr eigenes Leben, welches sie aufgegeben hat, um ihren Fehler gegenüber John Burroughs wieder gut zu machen. Der wiederum hofft und wartet auf eine zweite Chance, nach der er selbst aber nicht zu suchen im Stande ist. Es benötigt die Aufmerksamkeit der jungen Frau, die sich in sein Leben schleicht, damit er neue Hoffnung fassen kann. Sie geht zu ihm, um sich für ihre naiv verschuldete Tat zu entschuldigen, verliert aber die Nerven und gibt vor, von einem Reinigungsdienst zu kommen, um sich fortan in seinem Haus einzunisten – eine Gemeinschaft die eher missmutig beginnt aber mit einer gemeinsamen Nacht endet.

Regiedebütant und Drehbuchautor Mike Cahill stellt diese Beziehung der beiden Menschen vor das Erscheinen des zweiten Planeten, auch wenn dieser immer im Hintergrund eine Rolle zu spielen scheint. Er symbolisiert die zweite Chance, die sich einem Menschen auftut. Nachdem jahrelang über diesen Planeten „Erde 2“ im Fernsehen, Radio und im Internet diskutiert wird – von Astrophysikern, Mathematikern und anderen Spezialisten – stellt sich bei einer ersten Kontaktaufnahme heraus, dass es sich tatsächlich um eine Spiegelung unserer Welt handelt, auf der dieselben Menschen leben, die allerdings andere Schicksale erlebt haben. Hier ist der Platz, an dem sich der Menschheit eine zweite Chance bietet, ein Ausbruch aus ihrer Welt, der gewünschte Neuanfang. Dabei stellt sich allerdings auch im Film die Frage, ob der Mensch bereit ist sich selbst über den Weg zu laufen? Wie würde eine solche Spiegel-Begegnung ablaufen? Diese Frage lässt ‚Another Earth’ offen, auch wenn der Weg zu dem gar nicht so fremden Planeten beschritten wird: Eine Raumfahrtmission schickt eine handvoll Passagiere auf eine Erkundungsreise zu „Erde 2“.

William Mapother

Aber die Auswirkungen dieser Reise bekommt der Zuschauer nicht zu sehen – zu sehr würde der Film dann in die Richtung eines Science-Fiction Filmes gedrängt werden, obwohl er sich aber mit den dramatischen Hintergründen der Schicksale zweier Menschen beschäftigen möchte. In aller Ruhe wird hierfür das Gefühlsleben von Rhoda aufgezeigt, die von Schauspielerin Brit Marling stillschweigend dargestellt wird. Durch ihre bloße, kommentarlose Anwesenheit an der Unfallstelle, an der vor vielen Jahren das Unglück geschah, symbolisiert der Film ihr Inneres, zeigt auf wie sie von ihren Schuldgefühlen zerfressen wird, ohne dies in langen Dialogen zu thematisieren. Und mit der letzten Einstellung des Filmes beginnt man sich dann zu fragen, ob wir uns eigentlich die ganze Zeit über überhaupt auf unserer Erde oder auf einem fremden Planeten befunden haben. Wie Rhoda zu Beginn des Filmes anmerkt – „I felt like anything was possible…and it was!“

‚Another Earth’ wirft einen Blick auf die Utopie, ein neues Leben zu beginnen, nachdem das Alte verkorkst wurde, egal ob durch Eigen- oder Fremdverschulden. Der Film zeigt, wie weit ein Mensch getrieben werden muss, um eine ganze Welt hinter sich zu lassen oder diese Chance aufzugeben, um eine Schuld zu begleichen. Am Ende erfahren hier zwei Menschen auf ihre ganz eigene Art Erlösung. Ähnlich wie ihn von Triers ‚Melancholia’, mit dem sich ‚Another Earth’ einfach vergleichen lassen muss, spielt dabei das überirdische Element eine eher kleine Rolle. Es sind die Menschen, für die sich der Film interessiert – eine Stärke die der Film sinnvoll einzusetzen versteht.

Denis Sasse


‘Another Earth‘

Originaltitel: Another Earth
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2011
Länge: ca. 93 Minuten
Regie: Mike Cahill
Darsteller: Brit Marling, William Mapother, Jordan Baker, Flint Beverage, Robin Taylor