Filmkritik: "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" (seit 22. Mai im Kino)


Zwischen 2000 und 2006 brachte 20th Century Fox drei Filme über Marvels populäre Mutantentruppe The X-Men in die Kinos. Dann aber schien es so, als sei die Luft raus aus diesem Franchise. Wenn das Studio ihm neuen Atem einhauchen wollte, musste ein neuer Ansatz her. Und zügig musste es gehen, denn vertraglich war und ist man dazu verpflichtet, die Lizenz regelmäßig zu nutzen, da sie sonst an den Comicriesen, der inzwischen zum Disney-Konzern gehört und mit Marvel Studios eine eigene Filmschmiede am Start hat, zurückfallen (wie es beispielsweise mit der Figur Daredevil der Fall ist). Die Lösung für dieses Problem lautete: Prequel. Anstatt den Erzählstrang der ersten Trilogie für null und nichtig zu erklären, richtete man Blick stattdessen auf die 1960er und erzählte dem Publikum 2011 in X-Men: Erste Entscheidung, wie die Rivalität zwischen Charles Xavier (Professor X) und Eric Lensherr (Magneto) seinen Anfang nahm. Alternativ hätte man sich auch für ein komplettes Reboot entscheiden können, wie es Sony kurz darauf mit seiner neuen Spider-Man Reihe machte. Doch dass man dies nicht tat, zahlt sich für 20th Century Fox nun aus.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit (org.: X-Men: Days of Future Past) beginnt in der Zukunft und die Mutanten wurden von den Sentinels, gnadenlosen Killer-Robotern, nahezu ausgerottet. In größter Bedrängnis verfallen Prof. X (Patrick Stewart) und sein früherer Feind Magneto (Ian McKellen) auf den Plan, durch einen Griff in die Vergangenheit ihre Gegenwart gar nicht erst entstehen zu lassen. Zu diesem Zweck schickt Kitty Pryde (Ellen Page) das Bewusstsein von Wolverine (Hugh Jackman) zurück in die 1970er Jahre, damit er dort (im Körper seines damaligen Ichs) ein bestimmtes Ereignis verhindert, das zentral für den weiteren Verlauf der Geschichte ist. Viel Zeit hat Wolverine dafür nicht, denn die Sentinels haben in der Zukunft den Aufenthaltsort der letzten Mutanten ausfindig gemacht. Und komplizierter wird das Unterfangen noch dadurch, dass er für die Umsetzung des Plans die Hilfe des jungen Charles Xavier (James McAvoy) braucht. Und dieser befindet sich gerade am absoluten Tiefpunkt seines Lebens.
Über viele Jahre verdienten zahlreiche Comicverfilmungen diese Bezeichnung eigentlich gar nicht. Anstatt nämlich Geschichten auf die Leinwand zu bringen, die zuvor in Comicform das Licht der Welt erblickt hatten, ersann man für lizenzierte Figuren einfach neue Plots. Wenn es hoch kam, übernahm man wenigstens die Origin Story des oder der Helden. Aber selbst das war nicht immer der Fall. Eine erste Trendwende leitete 20th Century Fox 2003 ein, als man den Comicklassiker X-Men: God Loves, Man Kills zur Grundlage des Skripts von X-Men 2 machte. Und auch der aktuelle Streifen X-Men: Zukunft ist Vergangenheit basiert auf solch einem legendären Comic, nämlich dem Zweiteiler Days of Future Past, der 1981 in den Heften 141 und 142 der Serie The Uncanny X-Men erschien. Zwar weist das Drehbuch von Simon Kinberg gegenüber der Vorlage eine Reihe von Anpassungen und Ergänzungen auf (nicht zuletzt, damit der Plot zeitlich in die die Chronologie der Filmreihe passt), doch es bleibt noch genug vom Ausgangsmaterial übrig, dass man mit Fug und Recht in der Tat von einer Comicverfilmung sprechen kann. Deren besonderer Reiz für die Fans liegt natürlich in der Tatsache, dass sowohl die Schauspieler der ersten Filme als auch jene aus X-Men: Erste Entscheidung mit von der Partie sind, da die Handlung gleich zwei Zeitebenen kennt. Und obwohl noch einige Mutanten hinzukommen, die man zuvor noch nicht auf der Leinwand sah, kommt es nicht zum Mutant Overload. Dies liegt nicht zuletzt daran, weil jener Teil der Handlung, der im Jahre 1973 spielt, sich mit Charles Xavier, Beast, Wolverine, Magneto und Mystique auf eine überschaubare Gruppe von Charakteren fokussiert. Sie sind es, die den Plot vorantreiben. Mal kooperieren sie, mal bekämpfen sie sich und schlussendlich ist es an ihnen, das Schicksal der Menschheit entscheidend zu bestimmen. Zugleich schafft es das Skript aber auch, den übrigen Beteiligen genügend Raum zu lassen und hält für sie alle starke Momente bereit. Die Klippe, dass der Film wegen der beiden zeitlichen Ebenen auseinanderfallen könnte, umschifft das Drehbuch dadurch, dass es beide Handlungen geschickt miteinander verknüpft und ordentlich aufs Erzähltempo drückt.
Für X-Men: Zukunft ist Vergangenheit setzte sich mit Bryan Singer wieder jener Mann auf den Regiestuhl, der bereits die Hits X-Men und X-Men 2 in Szene hatte. Er kennt sich also nur zu gut aus im X-Men Franchise und schafft es mit einer dynamische Regie über die ca. 128 Minuten keine Langeweile aufkommen zu lassen. Unter seiner Anleitung läuft der gesamte Cast zur Hochform auf und liefert eine absolut überzeugende Leistung ab. Hatte man schon in X-Men: Erste Entscheidung den Eindruck, dass James McAvoy und Michael Fassbender eine gute Wahl für die Verkörperung der jungen Charles Xavier bzw. Eric Lensherr waren, so ist man nach diesem Film, in dem auch Patrick Stewart und Ian McKellen in den Rollen ihrer älteren Counterparts zu sehen sind, endgültig überzeugt. Jennifer Lawrence hat und macht eine gute Figur als Mystique und Hugh Jackman hat endgültig einen Weg gefunden, den Widerspruch zwischen der Tatsache, dass er immer älter wird, während sein Charakter das nicht tut, aufzulösen: Er legt mit jedem Auftritt als Wolverine noch mehr Muskeln zu. Aber auch schauspielerisch scheint der Australier immer noch viel Spaß an dieser Rolle zu haben.
Wie es für Filme dieser Art üblich ist, spielen die Effekte eine große Rolle und was die Künstler da auf die Leinwand bringen, kann sich wirklich sehen lassen. Das gilt auch für die Ausstattung des Films, die das Flair der frühen 1970er sehr schön einfängt – inklusive er teilweise wirklich grenzwertigen Mode. Den Soundtrack besorgte dieses Mal John Ottman, dessen Musik zuvor im Leam-Neeson-Actioner Non-Stop zu hören war. Er geht unterm Strich in Ordnung, wenngleich er nicht gerade einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit ist ein Film, der so geworden ist, wie ihn sich die Fans erhofft hatten: Er würdigt sie Vorlage, adaptiert sie als packendes Abenteuer fürs Kino und schafft eine Brücke zwischen der ersten Trilogie und dem Prequel von vor drei Jahren. Außerdem dürfte er auch jene Anhänger wieder mit dem Franchise versöhnen, die 2006 von X-Men: Der letzte Widerstand enttäuscht waren. Mit X-Men: Age of Apocalypse ist die Fortsetzung schon beschlossene Sache, aber diese wird sich anstrengen müssen, wenn sie X-Men: Zukunft ist Vergangenheit toppen will. Denn dieser Film ist wirklich verdammt gut.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit läuft in 2D und 3D seit dem 22. Mai 2014 in den deutschen Kinos.  

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