Mit Avengers: Age of Ultron verpasste Marvel der zweiten Phase seines Cinematic Universe ein eindrucksvolles Finale, in dem gleichzeitig die Weichen für die Phase 3 gestellt wurden. Ehe diese im Mai 2016 mit Captain America: Civil War eingeläutet wird, lässt das Studio noch den auf die Kinoleinwände los - einen Superhelden, der sich - Nomen es Omen - nicht nur auf die Größe von Ameisen schrumpfen, sondern auch mit ihnen kommunizieren kann. Paul Rudd verkörpert den Formicidaepflüsterer, der von Evangeline Lilly abwechselnd geschlagen und geküsst wird und der in Michael Douglas einen väterlichen Mentor findet. Corey Stoll hingegen will ihn einfach nur tot sehen. Den Ant-Man, ersonnen von Stan Lee, Larry Lieber und Jack Kirby, gibt es seit 1962 im Marvel-Kosmos. Eine Prominenz wie seine Kollegen Spider-Man, Captain America, der Hulk oder Iron Man hat er zwar nie erreicht, doch James Gunn bewies zuletzt mit seinem Guardians of the Galaxy, dass dies nicht zwangsläufig ein Stolperstein auf dem Weg zu einem gelungenen Kinoabenteuer darstellen muss. Leider unterhält Ant-Man nur phasenweise richtig gut und bleibt daher ein zwiespältiges Vergnügen, das am 23. Juli 2015 offiziell in die deutschen Kinos kommt.
Scott Lang (Paul Rudd) hat sein großes Talent als Dieb und Einbrecher dazu genutzt seinen Arbeitgeber um ein Vermögen erleichtert, wurde verhaftet und musste eine Gefängnisstrafe absitzen. Nun ist er wieder draußen und möchte vor allem den Kontakt zu seiner Tochter Cassie (Abby Ryder Fortson) wieder intensivieren. Doch Langs Ex-Frau Maggie (Judy Greer) will dies nur dann gestatten, wenn der Knacki sich Arbeit sucht und sich an den Unterhaltskosten für die Kleine beteiligt. Doch für ehemalige Sträflinge gibt es nur wenige Jobs, weshalb Scott wieder auf die schiefe Bahn gerät. Von seinem Kumpel Luis (Michael Peña) lässt er sich zu einem Einbruch bei dem Biochemiker Dr. Hank Pym (Michael Douglas) überreden. Dabei fällt ihm der von Pym erfundene Ant-Man-Anzug in die Hände, dessen Träger auf Ameisengröße schrumpfen und gleichzeitig an Stärke gewinnen kann. Doch zu Scotts Erstaunen ist der Wissenschaftler nicht darauf aus, den Dieb hinter Schloss und Riegel zu sehen, sondern bietet ihm einen Job an. Lang soll Pym und seiner Tochter Hope Van Dyne (Evangeline Lilly) dabei helfen, Pyms früheren Protegé Darren Cross (Corey Stoll) aufzuhalten, der an einem eigenen Ant-Man-Anzug arbeitet, dessen Technologie er meistbietend verkaufen will. Weil Cross kurz vor dem Durchbruch steht, bleibt dem Trio nicht mehr viel Zeit...
Bei den Filmen des Jahrgangs 2014 verließ sich Marvel nicht allein auf die Zugkraft des Superhelden-Themas, sondern paarte es mit anderen Genres, um die Streifen auch für ein Publikum über die Klientel der Comic-Nerds hinaus attraktiv zu machen. So trug Captain America: The Winter Soldier deutliche Züge eines Polit-Thrillers, während Guardians of the Galaxy als poppige Space Opera daherkam. In beiden Fällen ging das Kalkül des Studios voll auf, denn die Filme waren inhaltiche und kommerzielle Erfolge. Mit Ant-Man versucht sich Marvel nun an einer Kombination aus Superhelden- und Agentenfilm, wandelt zu diesem Zweck überdeutlich auf den Spuren von Mission: Impossible und holt sich dabei eine blutige Nase. So winzig, wie sich der Ant-Man in diesem Film machen kann, so dünn ist auch der Plot, den die beiden Haupt- und die zwei Co-Autoren um den Helden herum gestrickt haben. Was Scott Lang dazu bewegt, in das Ant-Man-Kostüm zu schlüpfen und für Hank Pym auf Mission zu gehen, kann man als Zuschauer einerseits durchaus nachvollziehen. Doch andererseits wühlen Adam McKay Paul Rudd Joe Cornish und Edgar Wright für die Origin Story des Protagonisten schon verdammt tief in der Klischeeschublade. Warum Pym ausgerechnet Lang für den Job haben will, wird quasi im Nebensatz abgehandelt, während der Klärung der Frage, warum der gute Hank statt seiner eigentlich besser qualifizierten Tochter Hope lieber Scott Lang ins Gefecht schickt, deutlich mehr Raum eingeräumt wird. Das gespannte Vater-Tochter-Verhältnis nutzt das Skript dazu, ein wenig auf der emotionalen Klaviatur zu spielen. Unterm Strich zieht sich das erste Drittel des Film doch arg, zumal für das Publikum trotz gewisser Rückschläge in der Vorbereitung auf die Aufgabe zu keinem Zeitpunkt in Frage steht, dass Scott der Ant-Man wird und bleibt. Ist dieser Abschnitt des Streifens endlich überwunden, kommt seine stärkste Phase - und zwar nicht nur, weil es zu einer sehr spannenden und für die Zukunft bedeutsamen Begegnung zwischen dem Ant-Man und einem Avenger kommt, sondern vor allem deshalb, weil der Film sich vom Tempo und der Spannung her mächtig steigert, wenn es endlich um die Ausführung jener Aufgabe geht, für die Scott Lang von Pym ausgewählt wurde."Marvel goes Mission: Impossible" lautet nun die Devise und es wird infiltriert, sabotiert und improvisiert, wie man es sonst nur von Tom Cruise als Ethan Hunt gewohnt ist. Und spätestens dann, wenn sich der Ant-Man in einen Hochsicherheitsbereich abseilt, wird auch dem Letzten im Kinosaal klar, was hier die ganze Zeit zitiert wird. Im Schlussakt, der ganz im Zeichen des Showdowns zwischen Lang und Cross steht, dürfen die Digital Artists dann noch einmal ein wahres Effektfeuerwerk abbrennen.
Paul Rudd liefert als Scott Lang/Ant-Man eine ordentliche Leistung ab. Großartig gefordert wird er schauspielerisch allerdings nicht. Corey Stoll müht sich redlich, doch er hat keine Chance gegen das Skript, das Darren Cross von der ersten Minute an mit dem Wort „Bösewicht" auf der Stirn herumlaufen lässt und der Figur damit jegliche Ambivalenz und jeden Tiefgang verweigert. Veredelte Robert Redford letztes Jahr die Besetzung von Captain America: The Winter Soldier, so ist es in Ant-Man der Veteran Michael Douglas, der den Cast aufwertet. Ihn noch einmal auf der Leinwand zu erleben, macht einfach Freude, zumal wenigstens sein Part des Dr. Hank Pym ordentlich ausgearbeitet wurde. Evangeline Lilly hingegen bleibt den ganzen Film über unglaublich blass und spielt sich ausdruckslos und unmotiviert durch ihre Szenen. Zur Ehrenrettung der Actrice muss allerdings auch gesagt werden, dass den Drehbuchautoren zu Hope van Dyne sogar noch weniger eingefallen ist, als zu Corey Stolls Darren Cross. Mehr als einen Status als kampferprobte Berufstochter hält das Skript für die Figur nicht bereit, woran auch die Tatsache nichts ändert, dass Hope in der Mid-Credits-Sequenz neue Zukunftsperspektiven aufgezeigt werden. Die eigentlichen Stars dieses Films, der von Peyton Reed (er sprang kurzfristig für Edgar Wright als Regisseur ein) ansonsten solide inszeniert wurde, sind natürlich die Effekte. Und hier kann Ant-Man voll punkten, denn die Darstellung unserer Welt aus der Ameisenperspektive, die Action und die Kampfszenen sind wirklich eindrucksvoll, machen großen Spaß und sorgen für tolle Unterhaltung. Mit dem, was die Effekt-Designer auf die Leinwand gezaubert haben, halten sie dem Vergleich mit den bisherigen Marvel-Filmen absolut stand.
Marvel Studios hat mit seinen Filmen viel dafür getan, die Reputation der Superhelden-Filme zu verbessern. Überzeugend konnte man nachweisen, dass Comicbook Movies mehr sein können als anspruchslose Streifen über buntkostümierte Leute, die sich gegenseitig vermöbeln und dabei jede Menge Sachschäden anrichten. Ant-Man ist inhaltlich ein Rückschritt, denn seine Geschichte lässt Eigenständigkeit vermissen, hat kaum Interesse an den Charakteren und verlässt sich zu sehr auf den Eindruck, den die Effekte beim Publikum hinterlassen. Ein Totalausfall ist der Film nicht, denn dafür sind eben jene Effekte und die damit verbundene Action zu gut. Das reicht zwar, um ihn zu einem familientauglichen Kinoabenteuer und zu einem mittelprächtigen Marvel-Film zu machen - doch angesichts dessen, was das Studio in der Vergangenheit schon zu bieten hatte, ist Ant-Man eine mittlere Enttäuschung. Am Ende der Credits ist im James-Bond-Stil der Satz zu lesen:"Ant-Man will return!". Nachdem man seinen ersten Auftritt erlebt hat, möchte man darauf antworten:"Meinetwegen. Aber nur mit einem vernünftigen Drehbuch!"
Ant-Man läuft ab dem 23. Juli 2015 in den deutschen Kinos.