Wo schauen wir Filme? Die Auswahlmöglichkeiten erscheinen inzwischen fast unendlich. Public Viewing auf öffentlichen Plätzen im Sommer, wo Kinobetreiber ihre Leinwände an die frische Luft und in die Sonne verlagern – oder man mit Cape bedeckt im Regen sitzt, vielleicht eine immens unterhaltsame Erfahrung wenn zufällig der Klassiker Singin‘ in the Rain läuft. Natürlich bleibt auch das klassische Kino in all seinen Erscheinungsformen erhalten. Vom großen Multiplex über noble Arthouse-Säle bis hin zu kleinen Off-Kinos, die sich oftmals um Filmperlen vergangener Tage bemühen. So auch Museen, die nicht mehr nur auf Skulpturen, Gemälde und ähnliche Kunstwerke beschränkt sind, sondern gerne auch einmal filmische Retrospektiven zu den großen Künstlern des bewegten Bildes abhalten.
Irgendwie ist der Film auf der großen Leinwand, unabhängig davon, wo sich die Zuschauer zusammen rotten um gemeinsam diesem Seh-Erlebnis zu frönen, im Zeitalter des Internets, der Sozialen Netzwerke und der zahlreichen Streaming-Angebote aber schon fast zum altertümlichen Klassiker geworden. Zwar werden diese Angebote nicht minder genutzt, doch neue Formen des Film-Erlebens mischen sich in die Gesellschaft ein.
Hier findet sich der Essay-Band Filmerfahrung und Zuschauer. Zwischen Kino, Museum und sozialen Netzwerken aus dem Bertz+Fischer Verlag wieder. International tätige Wissenschaftler von der Yale University bis zur Universität Autònoma de Barcelona in Spanien und deutschen Hochschulen in Hamburg, Marburg oder Bremen haben ihre Texte gesammelt (alle auf Deutsch) und inklusive einer begleitenden englischen Version auf CD in dieser Publikation veröffentlicht.
Der Band ist in drei große Kapitel entsprechend des Titels gegliedert: Kino, Museum / Institutionen sowie soziale Netzwerke. In der ersten Kategorie findet sich ein ansprechender Text von Professor Malte Hagener von der Philipps-Universität in Marburg: Man geht nie zweimal in denselben Film. Die Cinephilie, das Kino, sein (Nach-)Leben und die Zeit. Womit auch der recht spezielle Cinephile über den herkömmlichen Kinogänger hinaus seinen Weg in dieses Buch geschafft hat. Ebenso wie diese ganz besondere Gattung des Kinogängers oder Filmschauers Erwähnung findet, so kümmert sich die Mitbegründerin der Kinothek Asta Nielsen e. V. Heide Schlüpmann um die Gestaltung des Kinos und seiner Filme unter dem Einfluss des weiblichen Publikums.
In dem nachfolgenden Kapitel zu Museen und sonstigen Institutionen wird der Film als bildende Kunst dargestellt, immerhin von Dominique Païni, dem Leiter der Cinémathèque française und des Centre Pompidou in Paris. Von der Kunst, Kino zu sein berichtet derweil Stefanie Schulte Strathaus, Ko-Direktorin des Arsenal-Instituts für Film- und Videokunst und Mitglied des Auswahlkomitees des Berlinale Forums und Kuratorin der Kategorie Forum Expanded desselben Filmfestivals.
Der letzte Teil wirft einen Blick auf die Moderne, gerade auf die neuen Erwartungshaltungen die im großen Miteinander des Internets geschürt und enttäuscht werden können. Gleich zu Beginn nimmt sich Janet Staiger von der Universität Texas dem Film Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels an und nennt ihren dazugehörigen Beitrag Nuking the Fridge. Große Erwartungen und affektive Rezeption. Auf den Community-Gedanken geht auch Stefano Odorico von der Leeds Trinity University ein: Neue Dokumentarfilme = Neue Zuschauer? Partizipation, Interaktion und Online Communities.
Mit dem Band und seinen vielzähligen wie abwechslungsreich gestalteten Beiträgen wird deutlich, wie sehr die Filmerfahrung auf unterschiedlichsten Wegen die Zuschauer erreicht, erreichen kann oder zu erreichen versucht. Gerade die Verknüpfung vom Kino und Museum, also festen Orten der Filmerfahrung, hin zur Mobilität durch die sozialen Netzwerke ist gut eingegliedert worden. Ein schöner Überblick über Wege und Orte, die sich der Film sucht um seine Rezipienten zu erreichen. Gespannt darf man nach der Lektüre abwarten, was wohl noch alles denkbar ist. Denn die Bewegung des Films scheint noch lange nicht vorüber zu sein.
Filmerfahrung und Zuschauer. Zwischen Kino, Museum und sozialen Netzwerken
Verlag: Bertz+Fischer, erschienen im April 2014