This is the End. Hold your breath ad count to ten. Es ist kurz nach 23 Uhr und soeben war der Satz James Bond wird zurückkehren auf der Leinwand zu sehen. Der Abspann beginnt, das Licht geht an und die ersten Zuschauer erheben sich aus ihren Kinosesseln. Aber ich kann das nicht. Noch nicht. Ich brauche jene 10 Sekunden aus Adeles Titelsong zum neuen Bond Skyfall, um mir darüber klar zu werden, was da gerade in den letzten etwas mehr als zwei Stunden passiert ist. Meine Gedanken rasen, während sie verzweifelt versuchen, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen.
Zeitsprung: Es ist 2002 und Stirb an einem anderen Tag ist der Film zum 40-Jährigen Bestehen der Filmserie. Brosnan ist zum vierten Mal Bond und ich zahle den Eintritt für meine Nichte. Es ist ihr erster Bond im Kino und ich kann gut nachvollziehen, wie sie sich fühlt. Die Kritiker werden sich darüber ergehen, der Film sei formelhaft, arm an neuen Ideen und mit jeder Menge Action werde versucht, die dünne Story aufzupeppen. Wie mir 15 Jahre zuvor, so ist auch meiner Nichte dieses Gerede egal. Sie findet den Film toll und für sie ist Brosnan der beste Bond aller Zeiten. Der Film wird sie zum Fan machen. Mein Filmvergnügen ist da nicht so unbeschwert. Der Plot ist tatsächlich dünn, die CGIs, mit denen in der Serie erstmals gearbeitet wird, sind nicht gerade überzeugend und der unsichtbare Aston Martin eher peinlich, denn ein für das menschliche Auge getarntes Auto, das allerdings im Schnee Reifenspuren hinterlässt, macht nicht wirklich Sinn. Allerdings gab es auch zuvor schon schwächere Bonds und ich tröste mich damit, dass der nächste wieder besser wird. Brosnan kündigt an, den Agenten auch noch ein fünftes Mal zu verkörpern. Dazu wird es niemals kommen.
Zeitsprung: In der Gegenwart läuft immer noch der Abspann zu Skyfall und langsam komme ich dahinter, wessen ich gerade Zeuge wurde: Ich habe das Ende von Bond als Ikone und seine Wiedergeburt als Mensch erlebt. Die Autoren Neal Purvis, Robert Wade und John Logan demontieren den Mythos Bond mit brachialer Gewalt, reduzieren die Figur auf ihre Grundlagen und läuten damit eine Zeitenwende in der Geschichte dieser Filmreihe ein. Indem sie das protzige MI 6-Gebäude in die Luft jagen und eine zentrale Figur dieser 007-Epoche ein dramatisches Ende finden lassen, entsorgt das Trio die gesamte Brosnan-Ära und vollzieht eine gewaltige Wende hin zu den Anfängen von James Bond im Kino. Nichts verdeutlicht die Ansicht der Autoren, die Bond-Reihe habe nur dann eine Zukunft, wenn sie zu ihren Ursprüngen zurückkehre, so deutlich wie die letzte Szene von Skyfall, in der 007 seinen nächsten Auftrag in jenem Büro entgegennimmt, in dem schon Sean Connery sich seine Einsatzbefehle abholte. Der neue Bond ist zugleich der klassische Bond und dazu gehören selbstredend auch Charaktere wie Q oder Moneypenny, die Logan ebenfalls wieder etabliert, nachdem Bond zwei Filme lang ohne sie auskommen musste.
Sykfall is where we start. Elementar für den neuen Ansatz ist die Vermenschlichung von Bond, weshalb der Zuschauer nicht nur einen tiefen Blick in die Seele des Agenten werfen darf, sondern sogar dessen Elternhaus zu Gesicht bekommt. Darüber hinaus setzen Purvis, Wade und Logan Bond nicht sakrosankt, sondern thematisieren erbarmungslos die Frage, ob die heutige Welt einen solchen Agenten klassischen Zuschnitts überhaupt noch braucht. Auch hier wird eine interessante Antwort gegeben, denn solange sich Bonds Gegner Silva sich hinter seinen Computern verstecken kann, mit denen er seinen Cyberwar führt, ist er Bond durchaus überlegen. Ab dem Zeitpunkt jedoch, als er aus Selbstüberschätzung gegen Ende des Films endgültig seine Sphäre verlässt und in die analoge Welt von Bond wechselt, beginnt sein Untergang, denn auf diesem Spielfeld ist Bond auch im 21. Jahrhundert unschlagbar. Wie ein verwundetes Tier konzentriert sich der Agent auf seine Instinkte und seine jahrelange Erfahrung, eben Dinge, die man nicht lernen kann, sondern einfach besitzen muss, und bringt seinen Gegner zur Strecke Kurz gesagt: Tradition siegt über die Post-Moderne.
Dem getretenen und geschundenen Helden steht ein Feind gegenüber, bei dem Genie und Wahnsinn nicht nur dicht bei einander liegen, sondern sich regelrecht überkreuzen. Diese Unberechenbarkeit macht den Reiz dieser Figur aus, die zwar meilenweit von den Superbösewichten vergangener Zeiten entfernt ist, dennoch aber eine gewaltige Bedrohung darstellt und es problemlos mit Bond aufnehmen kann. Javier Bardem überzeugt uneingeschränkt in seiner Rolle als Silva und ist wohl der beste Schurke seit langem. Ihm gegenüber steht ein Daniel Craig, der mit jedem neuen Bond besser wird. Ein Quantum Trost war sicherlich nach dem gelungenen Debüt in Casino Royale ein Rückschlag, doch Craig holt nun wirklich alles aus der Rolle raus und untermauert seinen Ruf als Idealbesetzung für James Bond. Mehr als in jedem anderen Beitrag zur Serie, liegt der Fokus dieses Mal auch auf der Figur von Bonds Chefin M. Dass die beiden eine besondere Beziehung verbindet, war in den letzten beiden Streifen schon deutlich geworden, doch nun wird dieses Thema ausgebaut und zu einem würdigen Abschluss gebracht, womit gleichzeitig eine tiefe Verbeugung vor der Klasse einer Schauspielerin wie Dame Judi Dench verbunden ist. Jeder Sieg, so will es die Handlung des Films, trägt auch Züge einer Niederlage in sich. Was an Skyfall zudem beeindruckt, ist neben der Tiefgründigkeit der Story, vor allem die Bildsprache von Regisseur Sam Mendes. Geradezu kunstvoll geht er zu Werke und schafft so Eindrücke, die im Gedächtnis der Zuschauers haften bleiben. Noch nie wurde so viel Gewicht auf dieses Element gelegt und es bleibt zu hoffen, dass auch in den kommenden Filmen dieser Aspekt die gleiche Aufmerksamkeit erhält, die Mendes ihr in Skyfall geschenkt hat.
You may have my number, you can take my name, but you'll never have my heart. Der Kinosaal hat sich fast vollständig geleert und auch ich begebe mich nun Richtung Ausgang. Im Foyer treffe ich auf eine Gruppe von Zuschauern, die heftig über den diskutiert. Den Gesprächsfetzen entnehme ich, dass sich zwei Lager gebildet haben: Absolute Begeisterte und vollkommen Enttäuschte. Offenbar ist Skyfall ein Film, der polarisiert. Die Medien feiert Skyfall als den besten Bond-Film aller Zeiten und Daniel Craig hat schon für zwei weitere Streifen unterschrieben. Es bleibt mir also noch etwas Zeit, um mich zu entscheiden, ob ich den neuen James Bond, so wie ihn John Logan und Co. jetzt definiert hat, mag oder nicht. Bond hat fünf Jahrzehnte im Kino überlebt, weil es sich immer wieder neu erfunden hat. Gleichzeitig war die Bond-Formel ein nicht zu unterschätzender Grund für die andauernde Popularität der Figur und von dieser Formel hat man ich in Skyfall nicht nur deutlich entfernt, sondern sie regelrecht auf den Kopf gestellt. Für diesen einen Film mag das funktioniert haben, doch auf die Dauer nimmt man damit der Filmreihe allerdings auch ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich von anderen Geheimagenten im Kino deutlich abgrenzen konnte. Die Kunst wird darin bestehen, beim nächsten Film zu einem ausgeglichenen Mix zurückzufinden, der altgediente Fans wie neue Anhänger gleichermaßen zufrieden stellt. Gelingt dies, dann wird es noch sehr oft heißen: James Bond wird zurückkehren.
Skyfall läuft seit dem 1. November 2012 in den deutschen Kinos.
Foto: Copyright Sony Pictures