Neue Offensive im Kampf gegen unbequeme Kritiker: Der Deutsche Jagdverband schreckt selbst vor Rufmord nicht zurück. Aber die verwendete Grafik suggeriert: „Wir stehen fest auf dem Boden der Gesetze“. Haha! – Foto: © Screenshot / Rotormann
Unsere Jäger sorgen nicht nur in Wald und Feld für Ordnung. Als treue, fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Staatsbürger übernimmt diese bewaffnete deutsche Minderheit inzwischen auch exekutive Aufgaben.
Schließlich sieht man sich in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung.
Deshalb haben die Heger zwei hessische Tierfreunde aus dem Kreis Marburg-Biedenkopf und dem Vogelsbergkreis angezeigt, weil diese die Polizei und die Öffentlichkeit (die zu manipulieren ja normalerweise in eigene Zuständigkeit fällt) in die Irre geführt hätten. Vor so etwas muss man die Uniformierten und die allzu gutgläubigen Menschen schließlich schützen. Zudem hätten sich die Delinquenten – im unnachahmlichen Duktus der grün gewandeten Pirscher ist von selbsternannten “Waschbärenfreunden” (ausdrücklich mit An- und Abführung) die Rede – der Vortäuschung einer Straftat schuldig gemacht.Deshalb hätten Jäger auch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft (Gießen) erstattet, ist auf dem Internetportal des Deutschen Jagdverbandes (DJV) zu lesen. Die Anzeigenerstatter bleiben anonym, die vermeintlichen Täter werden hingegen namentlich genannt. Ähnliche Vorgehensweisen kennen wir aus dem Tausendjährigen Reich. Damals hieß der oberste Jäger Hermann Göring.
Rückblende: Am Osterwochenende dieses Jahres waren auf dem Gelände des umzäunten Lauterbacher Schlossparks zwei Waschbärinnen auf bestialische Weise massakriert worden. Nachdem der oder die Täter die Tiere in Lebendfallen festgesetzt hatten, erschlugen sie ihr Opfer mit einem Hammer bzw. einer mit einem Nagel bewehrten Latte. Eine der Klein-Petzinnen war offenbar als Osterbraten auserkoren. Sie wurde “fachgerecht” filetiert, große Teile Fleischs nahmen die Tierschänder mit. (Der Jagdverband spricht nicht von „fachgerecht filetiert”, sondern umschreibt den Vorgang mit „nach Jägerart in Streifen geschnitten“. Er muss es ja wissen..)
Rufschädigung und Rufmord in reinster Ausprägung
Der vom Landeslabor untersuchte Waschbär-Kadaver hätte keine Vorderpfoten mehr gehabt, behaupten die Jäger. Aber dieses Foto beweist das Gegenteil. Das fachgerecht filetierte Tier, das als Osterbraten einen zweiten Frühling erlebte, hatte sich bei dem verzweifelten Versuch, sich aus der Falle zu befreien, tiefe Verletzungen an den vorderen Extremitäten zugezogen. – Foto: © Rotormann
Dass die Muttertiere Nachwuchs zu versorgen hatten, scherte die Killer damals offenbar wenig. Nach intensiver Nachsuche entdeckte der geschockte Grundstückbesitzer in einem Baumloch zumindest eines der “Nester” mit fünf halbverhungerten Waschbärbabys. Diese fanden in seiner privaten Aufzuchtstation Aufnahme, wo sie mühsam aufgepäppelt wurden. Die Kleinen der anderen Bärin sind vermutlich qualvoll verreckt. Der schreckliche Vorfall hatte seinerzeit erhebliches Rascheln im digitalen und gedruckten deutschen Blätterwald verursacht. Auch zahlreiche Fernsehsender berichteten darüber. Und tun es jetzt wieder. Viele regionale und überregionale Medien haben eine entsprechende Pressemitteilung des Jagdverbandes willfährig, kritiklos, 1:1 und ohne zu recherchieren, ob die darin erhobenen Vorwürfe auch nur annähernd den Tatsachen entsprechen, übernommen und verbreitet. Vorneweg Radio FFH und hr1. Das ist Rufschädigung und Rufmord in reinster Ausprägung. Die „vierte, publikative Gewalt im Staate“ reiht sich ein in die Phalanx der Kesseltreiber.
Alles erstunken und erlogen, führen namentlich nicht bekannte Vertreter der jagenden Zunft als Begründung für ihre Strafanzeige an, wie auf dem Portal http://www.jagdverband.de nachzulesen ist. Das Ganze sei inszeniert, ein “Fake”.
Man habe “Ungereimtheiten” in den Schilderungen der beiden Herren aufgedeckt, es gebe “eklatante Widersprüche” in deren Aussagen. In Wahrheit seien die angeblich als Beweise dienenden Waschbären-Kadaver, zumindest einer davon, bereits Wochen alt gewesen, um dann als belastendes Beweismaterial hervorgekramt zu werden. Dies einzig und allein in und mit der Absicht, Stimmung gegen die Jäger zu machen.
Ein paar Schlückchen vor der Pirsch
Bei dem Versuch, der Falle zu entkommen, schürfte sich die panische und um ihre Kleinen besorgte Waschbärin das Fell ihrer Vorderpfoten bis auf die nackte Haut ab. Vorderpfoten, von denen die Jäger behaupten, sie hätten gar nicht mehr existiert. – Foto: © Rotormann
Behauptet zumindest DJV-Präsidiumsmitglied Ralph Müller-Schallenberg. Das ist übrigens der Alkoholexperte der Hubertu-ssi-ner. Er hatte seinerzeit, 2014, durch sein mutiges Plädoyer für etwas mehr “Alk an der Flinte” für Aufsehen gesorgt und sich dadurch zumindest das uneingeschränkte Wohlwollen der einem Gläschen Zielwasser vor und während der Jagd nicht abgeneigten Kollegen gesichert. Darauf erst mal einen doppelten Jägermeister!! Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Verquickung zwischen Suff und Waffennutzung im Namen des Volkes freilich etwas anders gesehen. Aber das ist wieder eine andere Baustelle…
Für die legal operierenden Wilddiebe, die sich ihrem Naturell entsprechend jenseits des obligatorischen Jägerlateins der Wahrheit und nix als der Wahrheit verpflichtet fühlen, ist es natürlich eine echte Herzensangelegenheit, den (vermeintlichen) Schwindel aufzudecken. Und sie versuchen das mit großem Nachdruck. Könnte aber ein Schuss werden, der nach hinten losgeht.
Ein so anachronistisch ausgerichteter, gemessen an der Gesamtbevölkerung kleiner und für das Gemeinwohl (auch das in Wald und Feld) absolut verzichtbarer Haufen wie die im DJV organisierten Nimrods kann nur überleben und seinem von der Mehrheit verachteten und abgelehnten blutigen Hobby weiter nachgehen, wenn er gut aufgestellt, organisiert und bestens vernetzt ist. Das gilt auch in propagandistischer Hinsicht. Da braucht es andererseits auch viel Vitamin B. Damit die Spezie-Wirtschaft brummt. Voraussetzungen, die vor allem auch im Vogelsbergkreis gegeben sind. Hier ist die Verzahnung zwischen Politik, Wirtschaft, Behörden, Zeitungsverlegern und Jägerschaft besonders ausgeprägt. Wovon dann alle profitieren – eben nur die Wildtiere nicht. Besonders eng scheint das Verhältnis zwischen den Trachtengruppen – den Grün- und den Dunkelblaugewandeten. Man könnte auch sagen: Jäger und Polizei sind in dieser Region ein Kopp’ und ein A…
Pipi-Leaks zwischen P6, Pfefferspray und Kaffeemaschine
Es ist schon seltsam oder – vielleicht sollte man sagen – bezeichnend, dass Passagen aus dem polizeilichen Protokoll, das Anfang April, ein paar Tage nach dem Lauterbacher Waschbären-Schlachtfest, erstellt worden war, wörtlich auf der Internetseite des Deutschen Jagdverbandes auftauchen – und zwar unter vollständiger namentlicher Nennung desjenigen, der da befragt worden war. Ein Umstand, der inzwischen auch die Gießener Staatsanwaltschaft interessiert, die den Eingang der erwähnten Strafanzeige übrigens bestätigt hat. Gibt es auf dem Revier etwa eine undichte Stelle? Einen Maulwurf? Eine stillschweigende Vereinbarung? Pipi-Leaks zwischen P6, Pfeffergas-Spray und Kaffeemaschine! Jäger-affin ist man auf der Wache allemal, und das nicht erst seit gestern. Möglicherweise auch eine Erblast des früheren Dienststellenleiters, der, inzwischen längst pensioniert, nach wie vor mit Wonne und Lust seinem Jagdtrieb frönt. Ein ideologisch gestählter Bilderbuch-Nimrod.
Ohne fürsorgliche menschliche Hilfe hätten die alleine nicht lebensfähigen Waschbärbabys keine Chance gehabt. Ihre Mutter wurde bestialisch gekillt. Doch der Jagdverband behauptet, sie habe das tödliche Staupe-Virus in sich getragen. Wenn dem so gewesen wäre, wären die Kleinen auch daran gestorben. Aber sie leben immer noch. – Foto: © Rotormann
Fehlen in der Veröffentlichung nur noch die Handynummer und Emailadresse jenes Mannes, der da von den Uniformierten zu dem Vorfall befragt worden war. Ein Unternehmer aus der Region, der mit großem finanziellen und zeitlichen Aufwand eine private Waschbären-Auffangstation betreibt, in der ansonsten sonst nicht überlebensfähige Tier-Waisen, deren Eltern von Jägern erschossen oder unter die Räder gekommen sind, eine zweite Chance erhalten. Sehen wir großzügig darüber hinweg, dass auch die Personalien des zweiten in diesen grässlichen Fall involvierten Tierfreundes auf der Internetseite auftauchen… Wenn auch in Zusammenhang mit einer (gezielt?) falschen Darstellung. Der Mann habe nach dem Zwischenfall Anzeige bei der Unteren Jagdbehörde in Lauterbach erstattet. Was so nicht stimmt. Er hatte sich bei den beamteten F(l)achleuten lediglich danach erkundigt, was er ihrer Meinung nach unternehmen könne bzw. solle.
Wo Nimrods die Polizei zum Jagen tragen
Nun haben die lokalen Revierkönige die ihnen eigentlich mit großer Sympathie begegnenden Ordnungshüter erst zum Jagen tragen müssen. Denn: (Erst) “auf (ausdrückliches) Drängen der Jäger” wurde eines der Corpora Delicti später von der Polizei sichergestellt, um es im Hessischen Landeslabor in Gießen untersuchen zu lassen, berichtet das Jagdportal stolz. Gut, “spät” ist da ein dehnbarer Begriff. Der ermittelnde Beamte requirierte das Beweismittel zeitnah erst am 13. Mai, also 16 Tage nach dem Vorfall. Sein Glück: Den Kadaver hatte der Betreiber der Aufzuchtstation in der Tiefkühltruhe aufbewahrt.
Bofrost-geschockt und verfault
Dennoch seien die Bofrost-geschockten Überreste des Tieres “schon hochgradig in Fäulnis übergegangen”, zitieren die Betreiber der Webseite aus dem Laborbericht. Außerdem habe es sich um einen alten Waschbär-Kadaver gehandelt, der (nachdem die Seele des Tieres in die ewigen Jagdgründe eingegangen) von Aasfressern wie Füchsen angeknabbert worden sei. Aber das ist nicht die einzige Feststellung aus dem Untersuchungsbericht, die hier angeführt wird. Ob sie richtig wiedergegeben worden ist oder ob die Jagdautoren die Wahrheit hier und da etwas an ihre eigenen Vorstellungen angepasst haben, lässt sich nicht verifizieren – noch nicht. Dr. Roy Ackmann, der Pressesprecher des vom Land Hessen betriebenen Labors, mochte sich nicht dazu äußern, „weil wir dahingehend nur gegenüber unseren Auftraggebern – in diesem Fall das Amt für Veterinärwesen in Lauterbach- auskunftsberechtigt sind“. Etwas verwundert darüber, dass der Bericht seiner Kollegen den Jagdfunktionären nicht nur bekannt ist, sondern von diesen auch ausgeschlachtet wird, zeigte er sich schon. Den betroffenen Tierschützern wurden entsprechende Auskünfte trotz wiederholter Nachfragen bis heute offiziell vorenthalten.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage nach dem Motiv. Warum rückt der Deutsche Jagdverband ausgerechnet jetzt und heute mit diesen delikaten Details heraus? Der Laborbericht datiert schließlich bereits vom 25. Mai dieses Jahres – und dürfte den Lobbyisten im grünen Gewand ob ihrer guten Verbindungen auch fast genauso lange zugänglich und bekannt sein. Warum sehen sich die wahren Herrscher des Forstes, die Herren (und Damen) über Leben und Tod, durch den Oster-Vorfall in Zugzwang gebracht? Niemand hat ihnen diese grausame Tat angelastet. Es war lediglich die Rede davon, dass die Täter wohl unter dem Einfluss des propagandistischen Dauerfeuers der Lodenmantler, demzufolge Waschbären unsere Zivilisation und das Tierreich bedrohen, ausgerottet werden müssten, gehandelt haben könnten. Was dann das Ergebnis einer permanenten geistigen Brandstiftung gewesen wäre.
Waschbären sind keine Opfer, sondern Täter!
Hier sind sie vor Verfolgung sicher. In seiner mit großem zeitlichen und finanziellen Aufwand betriebenen privaten Waschbär-Auffangstation gibt ein Unternehmer aus dem Vogelsbergkreis verwaisten Waschbären eine zweite Lebens-Chance. Die Eltern der Tiere wurden von Jägern erschossen oder kamen unter die Räder. – Foto: © Rotormann
Der schwarz-weiß-maskierte Klein-Petz ist nach Auffassung der selbstlosen Heger und Pfleger die Allgemeinheit schädigendes Grobzeugs, das es zu vernichten gilt. Und wenn sich dann auch nur zwei dieser Wesen plötzlich in der Opferrolle wiederfinden, wie in Lauterbach geschehen, geht das schon mal gar nicht! Das harmoniert weder mit dem Selbstverständnis der Pirschgänger noch mit ihrem ideologischen Weltbild. Waschbären sind per se Täter, keine Opfer! Aber, man muss auch wissen, dass für kommenden Montag in Wiesbaden eine weitere Anhörung zur neuen Hessischen Jagdverordnung terminiert ist. Da wollte man sich vermutlich schon mal sicherheitshalber in eine günstige Position manövrieren.
Der Entwurf der Verordnung stutzt den Wildtötern hier und da die Nägel, droht ihr unkontrolliertes, selbstherrliches Agieren in der Natur etwas einzuengen. Dagegen muss man/frau sich zur Wehr setzen. Schließlich geht es hier auch um das Credo „Freier Schuss für (auf) freie Bürger!“ Der Waschbär als Spezies ist zwar der große Verlierer der Novellierung, weil ihm auch künftig uneingeschränkt nachgestellt werden darf. Mit Kugeln, Knüppeln, Hunden und Fallen. Aber wenn es gelingt, Tierschützer und -freunde in die Ecke von Kriminellen, Betrügern, Phantasten und Spinnern zu rücken, wie es in dem aktuellen Fall ja nicht ganz erfolglos versucht und praktiziert wird, entschärft das deren Argumente, gewinnt die eigene Position an Gewicht. Und wenn es nebenbei noch gelingt, unbequeme Kritiker, die einem in der Vergangenheit wiederholt in die Parade gefahren sind und das Jägerleben schwer gemacht haben, mundtot zu machen, um so besser. Dumm und auf den Gamsbart geknallt sind sie nicht, diese aus der Zeit gefallenen und von dieser längst überholten Jäger und Fallensteller. Und zur Erreichung ihrer Ziele ist ihnen jedes Mittel recht! Aber auch jedes. Feuer frei!
vom Jürgen Heimann
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Fotos: © by Rotormann
Jürgen Heimann alias “Rotormann” ist Journalist. Er war Redakteur und schrieb für verschiedene Tageszeitungen. Heute ist er als freier Journalist und als Bürgerreporter bei der Gießener Zeitung (Mitmachzeitung) tätig. In seinem eigenen Projekt “Rotorman.de” widmet er sich “Aeronautischem” und greift querbeet Themen aus Politik und dem Alltag auf, wobei der diese auf seine spezielle Weise beleuchtet. Ausgewählte Artikel veröffentlicht er regelmäßig auf Politropolis.