Ferne Ohnmacht des Gott-Soldaten: GOOD KILL - Andrew Niccols postheroistischer Anti-Kriegsfilm über den Drohnenkrieg

Erstellt am 6. Juli 2015 von Zyw


GOOD KILL (USA 2014) ist ein hochaktueller Film, und das auf mehreren, verbundenen Ebenen. Am 27. Juli zeigt ihn das ZDF zusammen mit einer Dokumentation zum Thema Drohnenkrieg – bei aller berechtigter Schelte ein Beleg mehr für die Güte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland. Nur wäre die repräsentative Hauptsendezeit noch besser gewesen als der relativ späte Termin um/ab 22.15 Uhr, allein um die Bedeutung des Themas herauszuheben.
I.GOOD KILL ist ein Film, der zunächst natürlich über sein Thema und dessen politische Tagesagenda Relevanz besitzt: das Drohnen-Programm der USA v.a. in Wasiristan, der pakistanischen Grenz- oder Stammesgebiet, bei dem nicht nur Aufklärung betrieben wird, sondern Menschen gezielt oder als „Kollateralschäden“ getötet werden. Auch die Bundeswehr hat bzw. will sich diese Waffentechnik (s. HIER u. HIER) zulegen, das E-Journal „Ethik und Militär“ des Zentrums für Ethik in den Streitkräften (zebis) widmete dem Thema seine erste Ausgabe im Jahr 2014. „Anonymes Töten durch neue Technologien? Der Soldat zwischen Gewissen und Maschine“ ist das Editorial von Dr. Veronika Bock darin betietlt, und diese wie weitere Aspekte verhandelt GOOD KILL.
Von dem gebürtigen Neuseeländer Andrew Niccol geschrieben und inszeniert (zu ihm und seinem Gesamtwerk weiter unten mehr) geht es in GOOD KILL um den US-Luftwaffenpiloten Major Thomas Egan (Ethan Hawke), der zusammen mit Kameraden über Monitore auf staubige Straßen und Häuser und Afghanistan (später Jemen) hinunterschaut, Personen beobachtet – und ggf. Raketen abfeuert, auf dass sich die ferne Kulisse in stummem Lichtblitz und Staubwolke auflöst. So geschieht es gleich zum Anfang des Films; ein sich nähernder Reisebus wird zum Glück verschont, die Terroristenversammlung am Straßenrand jedoch ausradiert. Hernach verlässt Egan den Container im Wüstensand; man mag (oder soll) ihn selbst in Pakistan, im Irak oder sonst wo in der Region wähnen, doch als er mit seinem Mustang von der Luftwaffenbasis rollt, sich das so glamouröse wie futuristische Panorama zur Rockmusik im Wagen auftut, wird klar: wir sind Tausende von Kilometern entfernt, in Las Vegas. Dort hat in einem Retorten-Vorort Egan eine Ehefrau Molly (Mad-Men-Star January Jones) und zwei Kinder, doch trotz „9 to 5“-Job läuft es nicht rund in der Familie des schweigsamen Militärs. Zuvor schon wurde klar: Egan will zurück in eine echte Maschine, doch – wie sein jovialer Chef (Bruce Greenwood) im bescheidet, ist unwahrscheinlich: Wurden wie Egan einst gestandene Piloten zum Einsatz am Joystick abkommandiert, stellt man nun immer mehr Unerfahrene ab, denn Drohnflüge „boomen“, sind effektiv, verhältnismäßig günstig, brauchen keine (mithin: gefährdeten) Männer an Bord wie „echte“ Jets. Gegenüber dem „virtuellen“ oder zumindest ferngelenkten Krieg ist der alte, klassische ein Auslaufmodell.
Sechs Taliban habe er heute getötet, so Egan, auf seine Uniform angesprochen in dem Laden, in dem er auf dem Weg nach Hause hält und seinen harten Alkohol kauft. Jetzt fahre er heim, um zu grillen.

„Sie verlassen die USA“ steht es sarkastisch au einem Zettel an der Tür der „Cockpit“-Container in Nevada. Oder einem zynischem. Denn Egans Entfremdung – die von seiner Familie, seinem Job – ist die eine thematische Linie des Films, tatsächlich auch die interessanteste, weil allgemeinere, ambivalente und tiefreichende, eine psychologische und (nicht nur technik- und kriegs-) kulturelle. Eine, zu der u.a. allgemeiner Herfried Münkler („Held und Mythos in der Moderne“) und spezieller Ulrich Bröckling („Die Politik der gezielten Tötung und das Ende des militärischen Heroismus: Drohnen“) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in verschiedenen, aber verwandten Ringvorlesungen vorgetragen haben (Veranstaltung des Sonderforschungsbereichs „Helden – Heroisierung – Heroismen“). GOOD KILL wirkt oft wie eine Verfilmung dieser angesprochenen Probleme, Thesen, Positionen. Es geht um die „Feigheit“ des Überwachens, des Tötens aus der Ferne mit „unbe-“/ „ent“mannten Fluggeräten, den Charakter eines in mehrfacher Hinsicht entgrenzten, entgrenzenden „Playstation“-Krieges, die Rolle des Soldaten und seine Eigenwahrnehmung, seine Heldenposition sich und der Gesellschaft gegenüber, die Asymmetrie und Übermacht dank Science-Fiction-hafter, irrealer oder irrealisierender Verlängerung von Auge und Arm, die die Körper anderer ihm und seinem Handeln ausliefert, seinen eigenen aber unerreichbar und in einem „Globalen Krieg gegen den Terror“ daheim, im „Homeland“ belässt.
GOOD KILL ist, indirekt, denn auch ein Film über die Attraktivität und Faszinationskraft des „Islamischen Staates“ oder anderer jihadistischer Gruppen, nicht nur für seine Anhänger oder Sympathisanten, sondern auch, freilich negativ besetzt, für uns, die wir sie als Barbaren ablehnen. In einem Video des IS (oder seiner „Fanboys“), das ironischer Weise sich die populäre Games-Reihe GTA – Grand Theft Auto zu eigen macht, heißt es gem. einleitender Texttafel sinngemäß: „Die Computerspiele, die ihr euch ausgedacht habt, die leben wir aus auf dem realen Schlachtfeld“. In schönster kontrastiver Ergänzung hat wiederum das Pentagon die Idee eines hochrangigen Ordens für Drohnenpiloten nach zwei Monaten, viel Protest und Häme zurückgezogen. Von einer „Nintendo Medal“ (in Anspielung auf die populäre Spielekonsole) war die Rede. Entsprechend ist GOOD KILL ein Film, der zwischen Authentizitätsversprechen und Kriegs-Virtuality den Finger in eine Wunde legt, die durch mehr geschlagen wurde und wird als bloß durch die ethisch herausforderungsreiche geo- und ideopolitischen Konfrontation oder zumindest Gegeneinander-Setzung zwischen „Islamismus“ und „Westen“. Es ist ein Film über eine generelle Welterfahrungs- und -wahrnehmungsdissonanz, die eine grundlegende, primär mediale bzw. technosoziale und -kulturelle ist. Eine, die nicht nur Räume und Orte ineinanderschiebt, ineinander aufhebt und auflöst, sondern auch den modernen Menschen in seiner medialen Verfasstheit als krisenhaftes Konstrukt begreift.
Hier ist man schnell bei den großen spezifischen Text-Kalibern – vor allem Michel Foucaults berühmtes Buch „Überwachen und Strafen“ mit der Kontrolle des Blickes (dem „Panoptikum“ nach Jeremy Bentham), und in diesem Sinne ist GOOD KILL bemerkenswert in seiner abstrakteren Sinnhaftigkeit. Die Drohnen sind hier unsichtbarer, unentgehbarer Blick und Faust eines zornigen (allzu menschlichen) „Gottes“, der aus buchstäblich „heiteren Himmel“ zuschlagen kann (bei allzu dichter, tiefer Wolkendecke sind die Drohnen nutzlos – was wiederum die Debatte Geospezifik der Konflikte aufmacht). Im Verlauf des Filmes und mit dem Verfall des Menschen Egan wird die Vogelperspektive des Films immer mehr auf Egans eigene „Heimat“ und sein Leben angewendet. Doch dieser militärische Prothesen-Gott ist kein absoluter weil eben doch nur allzu menschlicher und mithin selbst kontrolliert, „gesehen“, dirigiert. Da ist das Kruzifix an der Wand, entsprechend über oder hinter Egan bildgestalterisch positioniert, das auf eine noch höhere Macht verweist (die des eigenen Gewissens, religiöser wie zivilisatorischer Gebote – „Du sollst nicht töten“).
Diese überwachenden, vernichtenden Halbgötter sind vor allem nicht nur fehlbar, sondern auch nicht allmächtig. Hilflos müssen sie vom Himmel aus zusehen, wie in einem Hinterhof eine Muslima von einem niederen Taliban-Chargen wiederholt vergewaltigt wird, ohne einschreiten zu können oder zu dürfen, weil das bei allen hehren Worten von Schutz und Verteidigung nicht ihrem Einsatzbefehl entspricht. Was einmal mehr die große Geo-, Macht- und Sicherheitspolitik als abstraktes Spiel ausweist, das mit dem realen direkten Leben des Einzelnen kaum mehr oder schlimmer noch: in einem Widerspruchsverhältnis zu tun hat.
Wenn zuletzt – Achtung, Spoiler! – der von der Familie verlassene, seine Dienstpflicht-Kriegsmorde nicht verwindende Egan rein aus „moralischer“ Selbstermächtigung den Schänder im Alleingang und zur Beendigung seiner Karriere tötet, wird dem Publikum eindringlich die Unkontrollierbarkeit und Begrenztheit vor Augen geführt: für zähe, lange Momente bleibt unklar, ob der zerbrochene Militär-Heroe nicht auch die umgebracht hat, die er zu rächen und vor den Übergriffen zu bewahren trachtete.
II.Hinzu kommt nämlich – und dahingehend übernimmt sich Niccol engagiert, aber kontraproduktiv –, dass neben dem Kruzifix (und mithin der persönlichen Moral) noch eine weltliche Befehlsgewalt installiert wird. Die Crew wird (auf der zweiten, parallelen Themen-Linie) an die CIA abkommandiert, die nun allein auf fragwürdiger Basis Anschläge aus der Ferne anordnet. Reduziert auf eine lautgestellte Stimme im Telefon bzw. (bildlich) den entsprechende Freisprechknopf müssen die Dronenpiloten, nun selbst ferngelenkt, samt ihren Navigatoren nun auch bewusst Zivilisten in die Luft jagen, Helfende nach einer Attacke („Nachfassen“). Nur Taliban, so die krude Logik, wären nach einem Raketenangriff als erste vor Ort. Tote Frauen und Kinder nimmt man hin, Kriegsfähigkeit und Verhaltensprofile sind exekutionsentscheidend genug. Terrorismuswird, daran lässt GOOD KILL keinen Zweifel, mit Terror beantwortet.
Der Film verliert hierin etwas an seiner Wucht, weil er „gutes“ Militär gegen skrupellose Geheimdienste setzt. Dies ist vereinfacht oder relativiert zumindest die Verantwortung der Streitkräfte, indem es einen relativ wohlfeilen Ersatzmissetäter anbietet, der erzählfunktional die selbst entwickelte Ambivalenz und Ambiguität wieder relativiert oder konterkariert, insofern das Militär zum unwilligen Befehlsempfänger gerät, einer weiteren, zwischengeschalteten „Drohne“. Mit Blick auf den Folter-Report des US-Kongresses und die Zuständigkeitsstreitigkeiten das Drohnen-Programm betreffend ist das nicht falsch, aber doch billig insoweit hier „gute“ gegen „böse“ Verteidigungsinstitution gegeneinander gesetzt werden, deren Auseinanderdividierenden zum einen nur eine ethische Ersatzentscheidung darstellt, zum anderen die Dilemmas zu überdecken droht, die diese Form des Militäreinsatz prinzipiell bedeutet.
Es wäre von einem solchen Spielfilm dahingehend aber wohl zu viel verlangt, eine politisch (wie auch immer definierte) weiter- und tieferführende Analyse und Debatte einzufordern, schlicht weil Spielfilme auch und besonders ganz eigenen Gesetzen der (Unterhaltungs-)Erzählens, immanenten Grenzen der Komplexität – mithin „Einsatzbefehlen“ und „Rules of Engagement“ – gehorchen müssen.
Dies verweist zurück auf den Film als solchen bzw. den Vorbehalten oder gar der Ignoranz von allerlei Sicherheits-„Praktikern“, Politikern sowie Sozial- und PolitikwissenschaftlerInnen gegenüber dem (dezidiert:) Medium „Spielfilm“ als fiktionale Erzählung und Kunstform als ernst zu nehmenden Gegenstand. Spielfilme entstehen nicht im luftleeren Raum, sind Imaginationsbühnen und geistige, moralische und emotionale Spielplätze und dabei geeignet, all jene Diskursbestandteile zu offenbaren, die bei rein faktualen Modi und Textformen der Debatte und Verständigung auch und gerade in Sachen Krieg und Terrorismus schnell verloren gehen, weil zu abstrakt (oder nicht abstrakt genug).
II. In diesem Sinne ist GOOD KILL dann auch wieder kein wirklich guter Film, weil über die Figuren, die bestimmte (auch Zwischen-)Positionen repräsentieren (Zoë Kravitz als „moralisches Gewissen“ Airman Zuarez, mit der Egan geneigt ist, eine Affäre einzugehen; als Vertreter der volkstümlichen falkenhaft-konfrontativen „George W. Bush“-, der „Die-gegen-Wir“-Linie u.a. der von Jake Abel gespielte M.I.C. Zimmer im Team), über ihre Dialoge und Monologe allzu deutlich und schematisch Standpunkte, Argumente und Sichtweisen und ihre Konflikte referiert sind. GOOD KILL ist dementsprechend ein, wenn auch vielschichtiger, Thesenfilm. Darüber hinaus aber ist er aufschlussreich ausgehend von zwei klassische Konzepten filmwissenschaftlicher Betrachtung: der Autoren- und der Genre-Theorie.

THE HURT LOCKER


Was letzteres betrifft ist GOOD KILL zu betrachten als zeitgenössische Kriegsfilm, dabei aber Gegenentwurf wie Ergänzung zu v.a. Kathryn Bigelows prägendem Film THE HURT LOCKER (USA 2008). Der handelt von einem einen militärischen US-Bombenentschärfer (Jeremy Renner) im Irak. reüssierte bei der Kritik, wurde „Oscar“-prämiert und nimmt mit seinem, enorm körperlichen, viszeralen Unmittelbarkeitsstil die IS-Propaganda-Ästhetik mit vorweg. Wenn auch freilich Hand- und Wackelkameras, kalt-triste Farben und andere Stilismen das Kriegskino seit den 2000ern mit ihren staubigen „Schauplätzen“ ohnehin das Genre dominierten.
Ganz dicht dran ist man in THE HURT LOCKER an Sergeant First Class William James in seinem lebensgefährlichen, nervenaufreibenden und auch moralisch fordernden, weil unter höchstem Zeitdruck Entscheidungen über Leben und Tod erzwingenden Job. Einem Adrenalin-Junkie ist James, der im Einsatz zwischen „rotem“ und „blauem“ Draht entscheiden muss, daheim bei Frau und Kind von der absurden wie banalen Riesenauswahl an Frühstücksmüslis im ordinären Supermarkt zugleich unter- und überfordert ist. Niccols Egan in GOOD KILL ist dahingehend ein Geistes-, Seelen- und entsprechend Leidensverwandter, den der Computer-Spiel-Krieg (allzu sehr:) daheim auf sich selbst zurückwirft, was generell Krieg als Metier und Betätigungsfeld wie auch als „Heimat“ eines spezifischen Typen Menschen – mehr noch: Mann – skizziert.
Die kriegerischen Heroen in ihrer Modellierung als nicht zuletzt Verlorene qua militärtechnologischem "Degradierung" wie moderner Gender-Grenzauflösung werden hierbei entlarvt, in Schutz genommen und zugleich dekonstruiert – mithin Krieg als solcher selbst. Heim und Herd wird dabei erkennbar, als etwas, das für die Krieger wie Politiker als zu verteidigendes Gut und ideologische Projektionsfläche wichtig ist, zugleich aber nur in Imagination und Möglichkeitsform Sinn ergibt, ansonsten, real, einengt, abschreckt, sich in seiner Dekadenz als unwürdig erweist wie in GOOD KILL Las Vegas als Sinnbild eines (US-)westlichen dekadenten Lasterlebens der Strip-Clubs. Das ist das Provokant-Irritierende und ver- wie entschlüsselte Situation, die sich darin ausdrückt: Während frühere Filme – etwa die Action-Streifen der Reagan-Ära (mithin: des Kalten Krieges) – noch bei aller oberflächlichen Amivalenz klar „Freund“ und „Feind“ unterschieden, sind die Helden-Soldaten der Gegenwart verblüffend in die Nähe der terroristischen Gegner gerückt, allerdings mit der verunsicherten Ahnung eines noch pessimistischeren Sinnverlusts neben der ethischen Verunsicherungs als unerreichbarer Techno-Warrior. Unklar bleibt, ob der religiöse Eifer und weltanschauliche Furor der Islamisten dem thetisch oder antithetisch gegenübersteht.
Entsprechend verdammt GOOD KILL zwar die Vergewaltigung der Frau am fernen Hindukusch; Egans eigene Gattin jedoch wird parallel dazu auf die Rolle der Mutter und Ehefrau als angestammte festgeschrieben, eine, die sie in ihrem artifziellen, aber allzu trockenen Vorort-Idyll abhäng davon ist, dass ihr Mann das Auto repariert (seine Aufgabe!), um mobil zu sein. In einer Szene beklagt Molly, dass ihr Thomas nie wirklich wütend würde. Die Distanzierung, die zum Bruch führt, ist nicht bloß die psychologische eines Mannes- und Ehedramas, eine der Verheerungswirkung von Krieg und Gewalt im Privaten, sondern ein geschlechterpolitische in einem weit größeren Rahmen.
Der Unterschied zwischen diese Frauenbildern in Las Vegas und Wasiristan, wo die namenlose Muslime nur Sex-Objekt ist und der Vergewaltigung sofort wieder stumm ihren „Pflichten“ nachgeht, ist auf der Oberfläche ein eklatanter, gegensätzlicher, strukturell, mithin weltanschaulich, jedoch nur ein erschreckend geringer. (Achtung, Spoiler!) Egans Rache am (individuellen) Vergwaltiger ist denn auch ein Akt des Selbstexorzismus und der Selbstvernichtung (oder zumindest -loslösung).
Im Vergleich zu THE HURT LOCKER macht denn auch in diesem Kontext die sinnhafte „langweilige“ Ästhetik einen epistemologischen Unterschied aus. Statt der affektiv-direkten Bildgestaltung, der schmutzigen Physis der Kamerabewegungen, der ausgeblichenen Farben und staubigen Oberflächen bei Bigelow (zuständiger Director of Photography Barry Ackroyds was vormals BBC-Doku-Kameramann und macht er sich v.a. durch die Mitwirkung bei den Filmen Paul Greengrass einen Namen) ist GOOD KILL eingedenk der stillgestellten Dienst- und Heimkehrer-Situation statisch, in relativ warmem, fast pastellartigem, damit „indifferentem“ Bild- und Farbklima gehalten, was das „Aseptische“ von Egans Arbeitsstätte wie Familienheim ebenso unterstreicht wie die Irrealität der Wüstenstadt Las Vegas hervorhebt (Bildgestaltung: Amir Mokri – MAN OF STEELE, LORD OF WAR, TRANFORMERS 2 u. 3). GOOD KILL ist somit allein schon auf der visuellen Ebene ein – auf die Haupt- und Kriegerheldenfigur bezogener – Alptraumentwurf zu THE HURT LOCKER, in dem sich Bombenexperte James am Schluss in eine weitere Einsatzrunde zurück ins Kriegsgebiet rettet, um sich wieder zu spüren. Egan hingegen kehrt der Air Force den Rücken, fährt schließlich weg, zu seiner Familie, immerhin. Optimistisch ist das auch nicht.
III.Diese sauberen, schön-ästhetisierten visuelle Vorstellung von THE GOOD KILL führt als Handschrift schließlich dezidiert zu Andrew Niccol als auteur, insofern dieser sich nicht nur als ehemaliger Musikvideo-Regisseur, sondern auch als (dahingehend) unterschätzter Sozialkonstruktivist des populären Hollywood-Kinos betätigte und die sterile Ästhetik seiner Filme deren Inhalt wirklichkeitsentlarvend oder zumindest ‑bezweifelnd untermauern, ihm gar einen doppelten Boden unterlegen.
Es ist denn überaus sinnfällig, GOOD KILL in eine Reihe zu stellen und in einer Reihe zu sehen mit THE TRUMAN SHOW (USA 1998, Regier: Peter Weir) und THE TERMINAL (USA 2004, Regie: Steven Spielberg), zu denen Niccol Idee, Drehbuch bzw. Story lieferte, aber auch mit dem von ihm selbst geschriebenen und inszenierten, teils Star-besetzten GATTACA (USA 1997 – bereits hier GOOD-KILL-Hauptdarsteller Ethan Hawke als main character), mit S1M0NE (USA 2002, m. Al Pacino), LORD OF WAR (USA 2005 – m. Nicolas Cage und Hawke in einer Nebenrolle als „moralisch guter“ Ermittler), IN TIME (USA 2011, m. Justin Timberlake) und THE HOST (dt.: SEELEN, USA/Schweiz 2013, nach dem Roman der Twilight-Autorin Stephenie Meyer).
All diese Filme hinterfragen die (oder stellen die Brüchigkeit aus der) „Natürlichkeit“ von Menschen, seinen Konstituenten und „Ich“-Verständnissen (die des Individuellen in Spannungsrelation zum Sozialen), des Menschen Medien im weiteren (v.a. technologischen) Sinne und seine Räume als anthropologische, zugleich politische, ideologische Orte und Geografien.
Weniger an der großen Story interessiert als daran, die verschiedenen Facetten in den Blick zu nehmen und die verschiedenen Aspekte durchzudeklinieren bietet Niccols Œuvre folgende Szenarien und Visionen:
- TRUMAN SHOW (inszeniert von Peter Weir): Ein Mann (Jim Carrey), aufgewachsen in einer ideal-nostalgischen Küstenstadt, kommt dahinter, dass seine ganze kleine Welt, gottgleich beobachtet und gesteuert von dem Produzenten der Show, nur Kulisse ist und er „Star“ einer „Reality-Show“, beobachtet von abertausend versteckten Kameras (ein vom blauen Himmel fallender Scheinwerfer bildet den Auftakt). Wobei sich bei allen vordergründiger Feier der persönlichen Freiheit gegenüber der medialen Unterhaltungsausbeutung und Manipulation die unterschwellige Frage stellt, inwiefern ein Mensch für die ;illionen von globalen TV-Zuschauern überhaupt in einem solchen (und gestellten) „echten“Setting und Leben überhaupt „authentisch“ sein kann.
- GATTACA: In einer Zukunftswelt, in der alle Nachkommen genetisch perfektioniert sind oder ausgesondert werden, kauft sich ein junger „natürlich“ geborener, folglich physisch „minderwertiger“ Mann von einem qua Erbgut vorbildlichen, aber durch einen Unfall querschnittsgelähmten depressiven „Helden“ dessen Identität (eine symbiotische Abhängigkeit), um seinen Traum – die Reise zum Mars – zu verwirklichen. Und damit seinem „normalen“ Leben wie dem seiner (Leih-)Existenz einen Sinn zu geben und nachgerade physische „über sich hinaus zu wachsen“.
- S1M0NE: Ein alternder Hollywood-Regisseur und -Produzent entwirft am Computer eine „idealen“ Schauspielerin, der dank digitaler Medienrealität in Filme wie der Celebrity-Realität der Boulevardblätter, Partys und Festivals „wirklich“ und zum Star wird, bis er merkt, dass er selbst von diesem Star bei der Oscar-Verleihung „vergessen“ wird und, nachdem er sie daraufhin „gelöscht“ hat, des Mordes an ihm verdächtigt wird. Die zauberlehrlingshaften "Geister, die ich rief" treffen in dieser Satire auf die Glamour-Welt der Schein- und Retorten-Stars auf den Frankenstein-Mythos der Virtualität, auch der der sozialen Medien.
- THE TERMINAL (gedreht von Steven Spielberg): Ein Flugreisender (Tom Hanks) aus einem fiktiven Staat verliert aufgrund einer Revolution in seiner Heimat seine Staatsangehörigkeit, während er im Transitbereich des New Yorker Flughafens wartet, weshalb er sich dort über Monate einrichten muss, eine Parallel-Welt begründet und zum (identitätsstiftenden) Feind-Objekt des ihn qua Überwachungskameras beobachtenden Sicherheits-Chefs des Airports wird.
- LORD OF WAR: Die Geschichte eines Waffenhändler (Nicholas Cage) aus kleinen Kreisen, der aufgrund seiner (ex-)sowjetischen Herkunft in Zeiten der noch relativ jungen Globalisierung zum Konfliktzulieferer v.a. in Afrika wird und damit quer zu allen (oder außerhalb aller) Gut-Böse-Linien politischer und moralischer Standards und Autoritäten wird, insofern seine „wertneutrale“ Handelsware (Waffen, Munition, Transportwege und ‑verfahren) Ressource, Zahlungsmittel und generell: realpolitisches Medium sind, was ihn schließlich unantastbar macht, ihn aber auch das Familienglück kostet.
- IN TIME: In einer fiktionalen Zukunft ist (Lebens-)Zeit – bemessen an einem Implantat-Display am Handgelenk – als neue „kapitalistische“ Währung, die entsprechend „verdient“ oder „eingetauscht“ oder freimütig „übertragen“ wird. Als seine Mutter darob stirbt, wird ein Arbeiter (Timberlake) zum Revolutionär und entführt die (sympathisierende) Tochter des Systempatriarchen, der dafür steht, dass die Ressource „(Lebens-)Zeit“ zugunsten der herrschenden Klasse ungerecht verteilt bleibt.
- THE HOST: In einer Zukunftswelt haben (körperlose) außerirdische Existenzen fast die komplette Menschheit übernommen und „befriedet“. Im Konflikt zwischen den letzten rein „humanen“ Rebellen und dem dominanten Alien-System teilt sich nach einer unterbrochenen Implantation die Heldin Körper und Geist mit einer dieser „Seelen“.         GOOD KILL mit seinen Motiven u.a. des übermächtigen, beobachtenden, aber letztlich einflusslosen Gottesblicks (THE TRUMAN SHOW; THE TERMINAL), dem Unglück säenden kapitalistisch-industriellen Herrschafts- und Kommunikationsmittel Waffen und Munition (LORD OF WAR) und der distanzierenden Virtualität (S1M0NE; THE TRUMAN SHOW) sowie der technischen (Möglichkeits-)Bedingtheit von Mensch und condition humana (GATTACA; IN TIME) ist denn ideal beheimatet in der Weltsicht Andrew Niccols. Neben den – eben nicht bloß auf vordergründige Fakes, sondern Denken, Wissen und Sein abstellenden – Simulationsthesen Jean Baudrillards ist GOOD KILL allgemein und grundlegend zu fassen mit den russischen Sci-Fi-Autorenbrüdern Arkadi und Boris Strugazki, zumindest mit dem Titel eines ihrer Hauptwerke: „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“. Umso mehr als es nur ein Prothesengott ist.
GOOD KILL – Montag, 27. Juli, 22.15 Uhr, ZDF. Anschließend, um 23.50 Uhr: „Drohnenkrieg – Tod aus der Luft“ (Dokumentation von Mona Botros).   
Literatur zum Thema Drohnenkrieg:
- O’Donnell, Mary Ellen (2011): Seductive Drones: Learning from a Decade of Lethal Operations. In: Journal of Law Information and Science. Als PDF HIER.
- Bashir, Shahzad / Crews, Robert D. (Hg.) (2012): Under the Drones. Modern Lives in the Afghanistan-Pakistan Borderlands. Cambridge, MA u.a.O.: Harvard University Press.
- Kaag, John / Kreps, Sarah (2014): Drone Warfare. Cambridge / Malden, MA: Politiy Press.