Ferdinand von Schirach – Schuld

Ferdinand von Schirach – Schuld

Ich liebe Kurzgeschichten, wenn sie dann auch noch vom Leben selbst von einem sprachgewandten Rechtsanwalt geschrieben wurden und den Leser mit der moralischen Frage von Schuld oder Unschuld konfrontieren kann ja eigentlich nichts schief gehen…oder?

Die Rede ist von Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichtensammlung “Schuld”, die ich im Rahmen der Lesefreunde-Aktion bekommen (und auch schon fleißig verteilt) habe. “Schuld” ist Schirachs zweites Werk, bereits 2009 konnte er mit seinem Debüt “Verbrechen” einen überraschenden literarischen Erfolg verbuchen. Meiner Ansicht nach zu Recht, sein Schreibstil ist klar, fast schon minimalistisch, kein Wort zu viel, aber eben auch kein Wort zu wenig. Schirach schildert sachlich und nüchtern wahre Fälle, mit denen er in seinem beruflichen Alltag als Anwalt konfrontiert wurde. Diese Geschichten werfen Fragen auf, die über die reine Schuldfrage hinaus reichen und nicht pauschal beantwortet werden können.

Da wäre zum Beispiel der Fall eines Mädchens, dass im Bierzelt von einigen Männern der örtlichen Blaskapelle vergewaltigt wurde. Ein anonymer Zeuge informiert die Polizei, dennoch lässt sich dieser Fall nie vollständig klären und endet daher ohne Verurteilung. Diese und einige andere Geschichten haben mich ziemlich betroffen gemacht, sie zeigen, dass Recht haben und Recht bekommen zwei unterschiedliche Aspekte sind, die nicht unbedingt immer vereinbar sind. Manche Täter, deren Schuld eigentlich eindeutig bewiesen ist müssen trotzdem wegen Verfahrensfehlern freigesprochen werden. In manchen Fällen ist die Schuldfrage aber auch eine Auslegungssache und dem Gericht steht ein gewisser Ermessensspielraum zu. Und nicht immer gehen Anwälte nach einen eigentlich gewonnen Fall mit einem guten Gefühl aus dem Gerichtssaal.

“Schuld” ist ein Ausflug in die Abgründe der menschlichen Seele, zeigt aber auch, dass es im Prinzip jeden treffen kann, jeder kann durch eine unglückliche Verkettung der Umstände zum Straftäter werden. Beeindruckend fand ich, dass Schirach den Balanceakt zwischen beruflicher Professionalität (er enthält sich einer persönlichen Wertung, eine Haltung, die für seinen Beruf unabdingbar ist) und fesselnder Erzählkunst scheinbar spielend meistert. Manche seiner Fälle sind weniger spektakulär, andere lassen mich fassungslos zurück und eine Menge Fragen gehen mir durch den Kopf: Warum? Wie geht es weiter? Und wie kann es sein, dass…?



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