Es war 1998. Nein, es war eigentlich 1995. Tanzstunde. Ich weiß nicht, ob Ihr mal diese demütigende pubertäre Zeitverschwendung namens Tanzstunde durchleiden musstet. Also, meine Freundinnen und ich dachten seinerzeit, wir müssten auch in die Tanzstunde, weil man das ja so machte. War keine gute Idee. Wir waren grandios untalentiert und quälten unsere Umwelt dann auch noch damit, dass wir nicht nur den Grundkurs 1, sondern auch noch den Grundkurs 2 belegen mussten. Jedenfalls gab es natürlich wie meist in diesen Kursen ein Überschuss an Frauen, weshalb man irgendwelche armen Kreaturen aus höheren Kursen dazu zwang, sich mit uns abzugeben. Einer dieser armen Menschen war Felix. Felix war der ältere Bruder einer unserer Klassenkameraden. “Felix” ist ja nun bekanntermaßen Latein und heißt “der Glückliche”. Das weiß man, wenn man mindestens zwei Wochen Lateinunterricht hatte und mit jemandem in der Klasse war, der “Felix” heißt (“Ja, ist ja gut, wir haben es kapiert!”). So glücklich hat sich dieser Felix aber wahrscheinlich nicht geschätzt, denn er war ein guter Tänzer, und er hätte sich sicherlich etwas Schöneres vorstellen können, als sich permanent von uns auf den Füßen herumtrampeln zu lassen. Er ertrug es aber mit einer stoischen Ruhe, was ich ihm damals hoch anrechnete.
Glücklicherweise gaben wir das mit den Tanzstunden dann aber auch auf und so verloren wir Felix ein wenig aus dem Blickfeld. Er machte 1997 Abitur. In Berlin. Man sah sich noch gelegentlich mal auf Partys oder so, aber eigentlich habe ich nie mehr als drei Worte mit ihm gewechselt. Felix machte dann seinen Zivildienst irgendwo in Brandenburg. Das war 1998. Anfang 1998 erzählte mir mal ein Freund, der Felix ein wenig besser kannte (aus dieser Tanzestunden-Clique, einige hatten einfach mehr Talent), dass er sich ärgere, das Felix immer so schnell mit seinem Auto fahre. Ich vergaß diese Konversation bald wieder.
Ein paar Wochen später waren wir auf einer Party in irgendwelchen Baracken. Ich weiß nicht, worum man Partys in Baracken so geil findet, wenn man in der 12. Klasse ist (heute wäre mir das viel zu kalt, ich glaube, ich werde alt), jedenfalls war wir auf so einer Party und ich sah mir im Vorbeigehen so die Leute an. “Ah, da ist Felix.” dachte ich, als ich diesen Typen da in der Ecke stehen sah. Und vergaß ihn wieder. Etwa eine Stunde später sagte meine Freundin zu mir: “Der Typ da drüben sieht aus wie Felix.”
“Das ist ja auch Felix!” sagte ich zu ihr. Sie guckte mich irritiert an.
“Nein, das ist nicht Felix.” Ich guckte nochmal genauer hin.
“Stimmt, das ist nicht Felix. Sieht ihm aber verdammt ähnlich.”
“Du weißt es also noch nicht?” fragte sie mich.
“Was denn?”
“Felix hatte einen Unfall. Er hat sich letzte Woche auf einer dieser Brandenburger Alleen mit seinem Auto um einen Baum gewickelt. Er ist tot.”