Support: Candelilla
Münchner Kammerspiele, 30. Juni 2017
„Und wir tanzten bis zum Ende
zum Herzschlag der besten Musik,
jeden Abend, jeden Tag -
wir dachten schon, das ist der Sieg.
Das war vor Jahren…“
Echt jetzt, München? Nicht ausverkauft!? Da trifft an einem Abend Candelilla, die wohl beste Indieband der Stadt, quasi zum clash of generations, auf die einstigen Taktgeber und Mitbegründer der deutschen Post-Punk-Tradition, die Düsseldorfer Kapelle Fehlfarben, und es gibt noch freie Plätze im Saal? Nun, vielleicht überwogen bei manchem am Ende doch die Vorbehalte, was Ort und Inhalt anging. Denn wie sollte man sich das vorstellen – Punkrock im Sitzparkett? Und dann, dem Trend knapp hinterher, auch noch die Aufführung einer Platte wie „Monarchie und Alltag“, eines wahren Heiligtums, in kompletter Spiellänge? Gut vorstellbar, dass deshalb manche/r den Biergartenbesuch einer möglichen Enttäuschung seinen einstigen Idolen vorgezogen hatte. Allein, die Sorgen waren – und das ist die schlechte Nachricht für die übervorsichtigen Erinnerungsbewahrer – unbegründet. Man darf einem Peter Hein schon unterstellen, dass er die Gefahren solcher Veranstaltungen angemessen reflektiert (vielleicht sind sie ihm aber auch völlig wurscht), jedenfalls besaß er genügend Humor, um über diese Art von nostalgischer Inszenierung (siehe Bilderrahmendeko) zu lachen. Und ausreichend neues Material, das er und seine Band dem alten folgen ließ. Und das ihn noch immer als einen Vordenker mit Haltung ausweist. Ausverkauf? Gar Leichenfledderei? Fehlanzeige.
„Monarchie und Alltag“ und „Camping“, das aktuelle Album von Candelilla, trennen ganze 37 Jahre und es war zu erwarten, dass die vier Frauen mit der schroffen Härte und Distanziertheit ihres Sounds die undankbare Barriere zwischen Bühne und Publikum nicht würden ohne weiteres überwinden können. Dennoch, die Körperlichkeit und Dringlichkeit ihres Spiels sind immer wieder beeindruckend, gerade Bassistin Mira Mann, die auch den Großteil des Gesangs übernimmt, treibt das Quartett zusammen mit der fabelhaften Drummerin Sandra Hilpold auf beeindruckende Weise von Stück zu Stück und wenn ihr nicht ab und an mal ein kurzes Lächeln entwischen würde, man müsste fast glauben, die Sache wäre viel zu ernst, um auch Spaß zu machen. Anders die Fehlfarben: Die frühen wie die aktuellen Lieder sind nicht so komplex und verschachtelt, sondern funktionieren in ihrer Unmittelbarkeit als direkte Ansprache an Herz und Beine.
Platten wie ihr Debüt sind in dieser Güte und Durchgängigkeit heute nur noch schwer zu finden, auch und gerade hier gilt leider der abgewandelte Lehrsatz von David Byrne („How Music Works“), nach welchem Form und Funktion dem veränderten Hörverhalten folgen (in dieser Hinsicht sind übrigens Candelilla auf ihre Art ein Ausnahmefall und auch deshalb für den Abend genau richtig besetzt). „Monarchie und Alltag“ ist ein Hitalbum, voller Zitate, die sich heute überall finden lassen – bitterböse, auf einfache Art analytisch, sehr poetisch, traurig, schonungslos, weitsichtig, kraftvoll, alles zusammen. Und wenn ein solches Werk von einer Band dieser Qualität gespielt wird, dann ist das ein Vergnügen. Und Stuhlreihen kein Hindernis – schon beim dritten Stück hielt es die ersten nicht mehr auf ihren Sitzen und spätestens mit „Militürk“ war aus dem Theater- im Handumdrehen ein richtiges Konzertpublikum geworden.
Die sagenhaften Gitarren von Thomas Schwebel und Neuzugang Thomas Schneider, Michael Kemners markanter Wave-Bass, Kurt Dahlke und Frank Fenstermacher an Tasten resp. Tastatur und mit Saskia von Klitzing eine Drummerin im Rücken, die der Setlist die nötige Wucht und Präzision verlieh, viel mehr kann man eigentlich kaum erwarten. Zudem erwies sich Hein als kauziger Entertainer, der sich auch gern mal über die aus seiner Sicht spießige Fußball-Leidenschaft der Gefährten mokierte und ansonsten mit zufriedenem Grinsen und scharfer Zunge über die Bühne stolperte. Zum Schluss gab’s dann noch einmal beste Altware, auf das „Industriemädchen“ von Syph folgte „Die Wilde Dreizehn“ aus den Anfangstagen der Fehlfarben und so kam es, dass hernach aus vielen Gesichtern vor allem Erstaunen und Erleichterung sprachen, wie gut doch dieser Abend funktioniert hatte. Dass zur gleichen Zeit in einer anderen Welt elf junge Männer einen Pokal in die Abendluft recken durften, war zwar ähnlich überraschend, aber irgendwie nicht mehr ganz so wichtig.