Fehler und Gewohnheitsmuster verabschieden

Von Rangdroldorje

In ihrer Essenz ist die Natur des Geistes leer und strahlend klar. Obwohl alle Praktizierenden nach dem Geist gesucht haben, lässt sich dieser nicht auffinden. Und dennoch setzt sich Gewahrsein als beständiger Strom fort und manifestiert die verschiedensten Erscheinungen – meist in sinniger Abfolge.
Diese sinnige Abfolge hat etwas mit den Gewohnheitsmustern zu tun, durch die wir uns und unser Welterleben in jedem Moment beständig aufs Neue definieren und erschaffen. Aber wie Bodhicaryavatara gesagt wird: In unserem Geist wollen wir frei von Sorgen sein, aber im Grunde eilen wir direkt ins Leiden. Wir wollen glücklich sein, aber dummerweise rotten wir unser Glück aus, als ob es unser Feind wäre.“ Es ist nicht so, dass die fühlenden Wesen Leiden bewusst ansteuern, sondern aufgrund der gefühlsbedingten Verschleierungen und Vorstellungen erkennen sie die wahre Natur des Geistes nicht und folgen eben ihren Gewohnheiten. Von diesen Gewohnheiten getrieben sind sie wie Fliegen in einem Glas gefangen und kreisen darin umher. Dazu wird beim Entwickeln des Erleuchtungsgeistes gesagt: „Gebannt von bloßer Vielfalt der Wahrnehmungen, die den trügerischen Spiegelungen des Mondes im Wasser gleichen, irren die Wesen endlos im Teufelskreis von Samsara umher.“ Aufgrund ihrer Gewohnheiten setzen sie ihre bisherigen Handlungen fort. Und da diese bisher schon nicht zum Glück gereicht haben, werden sie auch weiterhin nicht Glück realisieren.
Negative Gewohnheitsmuster definieren sich durch das Ausführen der zehn Unheilsamen und konstruktive Taten sind eben das Gegenteil der zehn Unheilsamen. Nachdem diese in den grundlegenden Lehren des Buddhadharma immer wieder aufgezählt und erklärt werden, gehe ich hier nicht weiter darauf ein.

Unbewusstes reinigen

Diese zehn Unheilsamen legen Samen im Speicherbewusstsein und bei geeigneten Umständen reifen diese Samen dann heran und treiben ihre Blüten. Moderner ausgedrückt bedeutet dies, dass wir in unserem Unbewussten eine ganze Menge schlummern haben, von dem einiges negativ und anderes wieder positiv ist. Da es unbewusst ist, haben wir allerdings keine Verfügungsgewalt und folgen diesen Dingen eben blind – eben gewohnheitsmäßig.
Ist es euch auch schon öfters mal so ergangen, dass ihr euch in einer ziemlich ähnlich gearteten misslichen Situation wiederfindet und euch wundert, warum das jetzt wieder so gekommen ist? Naja, die Ursache liegt in einem, die Bedingung ist außerhalb. Wir treffen in unserem Leben natürlich immer wieder auf Bedingungen, die bestimmte Samen in uns aufblühen lassen. Solange das nicht ein bestimmtes Maß an Qual übersteigt, finden wir das vielleicht sogar reinigend. Aber wir leider wissen wir nicht konkret, welche Taten wir alle in der Vergangenheit begangen und diese Samen in unserem Speicherbewusstsein abgelegt haben.

Bereinigung

Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Buddha auch verschiedenste Lehren zum Bereinigen von negativen Gewohnheitsmustern und Bestärken von konstruktiven Taten gegeben und diese den Individuen je nach deren Kapazität übermittelt. Eine wesentliche Methode dazu ist die Praxis der „Vier Kräfte“. Im Mahayana-Sutra von den Vier Kräften wird berichtet, dass sich der Bodhisattva Maitreya im Tushita-Himmel der 33 Götter in Gegenwart einer großen Anzahl von Mönchen, Maitreya, Manjushri und anderen Bodhisattvas an den Bhagavan wandte und den Dharma zur Bereinigung von negativen Handlungen, deren Samen man angesammelt hatte, bat.
Der Buddha erläuterte dabei die vier bereinigenden Kräfte: 1) Reue; 2) rechtes Verhalten; 3) Erneuerung; und 4) Stütze. Die ersten beiden sind Gegenmittel gegen negative Taten und die letzten beiden sind Kräfte zur Förderung von heilsamen. Diese vier Kräfte werden je nach Praxisebene mit verschiedenen Methoden ausgeführt, aber in ihrer Essenz sind sie immer dieselben.
Diese sind den vier Arten der Entsagung bzw. Zuständen der Hingabe nicht unähnlich. Die vier Arten der Entsagung sind: 1) Unheilsames, das man bereits begangen hat, zu verwerfen; 2) das Entstehen von Unheilsamen zu verhindern; 3) Heilsames kultivieren, das man noch nicht begangen hat; und 4) bereits entstandenes Heilsames zu vermehren.
In der buddhistischen Praxis gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Unheilsames zu bereinigen. Aber alle beginnen mit der Stütze auf ein reines Objekt. Dieses reine Objekt – die Kraft der Stütze – sind beispielsweise die Drei Juwelen, die 35 Bekenntnisbuddhas oder im Vajrayana eben Vajrasattva. Darüberhinaus gibt es je nach Gelübdekategorie auch noch andere Möglichkeiten, Fehler zu bereinigen und die Gelübde zu erneuern.
Im Mahayana werden unter Einbeziehung der Vier Kräfte entsprechende Texte wie das „Edle Sutra von der Lehre über die vier Kräfte“ oder das „Sutra der drei Haufen“ (oft als „Bekenntnis-Sutra“ bezeichnet) rezitiert. Die Empfehlung ist, dies täglich zu lesen, zu meditieren etc. Aber man kann es genauso auch einmal pro am Monatsende praktizieren.

Vier Kräfte

Da im Stufenpfad die Sicht besteht, dass der Geist wie ein Spiegel ist, der von vorübergehenden Verschleierungen eingetrübt ist, müssen diese vorübergehenden Makel beseitigt werden. Diese zeitweiligen Schleier sind die störenden Gefühle und negativen Prägungen, die aufgrund der Gewohnheitsmuster sich endlos fortsetzen.
Als Kraft der Stütze für die Bereinigung werden z.B. die Drei Juwelen verwendet und man visualisiert diese voller Vertrauen und Hingabe vor sich im Raum. Im Vajrayana wird dazu Vajrasattva über dem eigenen Scheitel visualisiert und man stellt sich vor, dass alle Buddhas und Bodhisattvas und alle unsere Lehrer in ihm versammelt sind.
Danach macht man sich die alles Negative, dass wir angesammelt haben bewusst. Dazu kann man auch die Bitte äußeren, dass auch alles Negative angesammelt seit anfangsloser Zeit einem bewusst wird. Und dann wendet man das Gegenmittel der Reue an. Man entwickelt dabei eine Abneigung, also ob man Gift geschluckt hätte und nun versucht, dieses aus dem Körper zu beseitigen. Genauso nämlich sind auch unsere negativen Taten, die wir mit Körper, Rede und Geist begangen haben.
Als dritten Faktor wenden wir das Gegenmittel des rechten Verhaltens an. Dabei versprechen wir in Gegenwart der Stütze, dass wir nie mehr in die alten Verhaltensmuster zurückfallen – koste uns das Leben. Und man sollte dieses Versprechen wirklich mit ganzem Herzen abgeben und sich nicht eine Hintertüre offenlassen, indem man denkt: „Ach egal, ich kann’s ja später eh wieder bereuen.“
Anschließend wenden wir die Kraft der Erneuerung an, mit der wir so viel Heilsames wie möglich ansammeln. Das kann sein, dass wir eben bestimmte Sutra-Rezitationen vornehmen, die Gelübdekategorie rezitieren oder eben die Vajrasattva-Praxis mit den dazugehörigen Visualisationen und Mantra-Rezitationen durchführen. Dabei entwickeln wir natürlich auch die Geisteshaltung des kostbaren Erleuchtungsgeistes ein und praktizieren mit dem Wunsch, allen fühlenden Wesen zu nützen. Am Ende widmen wir das Heilsame und die Wurzel des Heilsamen allen fühlenden Wesen.

Nutzen und Zeichen

Man sagt, dass diese Praxis eine große Auswirkung hat. Auf diese Weise unterwirft man begangene unheilsame Taten und bereinigt die im Unbewussten schlummernden Samen. Im „Sutra der vier Kräfte“ spricht der Buddha davon, dass sich „die Auswirkungen der negativen Handlungen“ nicht mehr manifestieren können.
Natürlich gibt es auch Zeichen für eine erfolgreiche Praxis. Diese können sich als reinigende Träume einstellen, bei denen man sieht, wie schmutzige Flüssigkeiten, Blut, Eiter, grauer, trüber Dunst oder gar Ungeziefer u.ä. den Körper verlassen. Genauso gut kann sich der Praxiserfolg auch durch Sonnenaufgänge oder das Erblicken von Farben, die sich von trübe auf hell und klar wandeln, zeigen.
Bei lange verdrängten Samen, die durch verschiedenste Methoden bisher immer geleugnet und unterdrückt worden sind, zeigt sich der Erfolg zunächst einmal darin, dass diese überhaupt aus dem Unbewussten hervorgeholt werden. Sie werden aktualisiert und werden auf diese Weise einem wieder bewusst (gemacht). Das mag auf den ersten Blick nicht sehr erfreulich sein, aber gerade dadurch bietet sich die Gelegenheit, diese nun zu loszulassen und zu bereinigen.

Praxismaterialien

Wer nun Interesse hat, solche Methoden anzuwenden, kann hier zwei Praxistexte erwerben. (Sutra der vier Kräfte) – (Sutra der drei Haufen).