»Krieg an der Heimatfront«
Hintergrund. Einblicke in die Geschichte der US-Bundespolizei FBI und ihrer »Counter Intelligence Program«-Geheimoperationen
Von Jürgen Heiser (junge Welt)
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Am 24. Januar dieses Jahres entschied das Kammergericht in Los Angeles, die Klage gegen den US-amerikanischen Antikriegsaktivisten Carlos Montes nicht abzuweisen. Der Mitbegründer der »Latinos against War« war im Mai 2011 bei einer vom »Federal Bureau of Investigation« (FBI) geführten Durchsuchung seines Wohnhauses festgenommen worden; vorgeworfen wird ihm illegaler Waffenbesitz. Eric Gardner, Mitglied des »Komitees zur Beendigung der FBI-Repression« (www.stopfbi.net) hält die Anklage für konstruiert. Er sieht in dem Fall einen weiteren Versuch, Menschen, die sich gegen die Waffengänge des US-Imperialismus engagieren, zu kriminalisieren: »Die Regierung wird alle Mittel nutzen, um Carlos – und andere Anikriegs- und Solidaritätsaktivisten im ganzen Land – hinter Gitter zu bekommen.« Konstruierte Anklagen, willkürliche Hausdurchsuchungen, Einschüchterung – diese Methoden gehören zum Repertoire des FBI.
In der Öffentlichkeit hielt sich seit der Gründung der US-Bundespolizei im Jahr 1924 der Mythos, das FBI sei eine erfolgreiche und schlagkräftige Institution zur Verbrechensbekämpfung. Es bestehe aus ehrenwerten und tapferen Polizeibeamten, die sich der Bewahrung und dem Schutz der US-Verfassung und der »amerikanischen Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit für alle« verschrieben hätten. Schöpfer dieses Mythos war J. Edgar Hoover, der diese Bundesbehörde geschaffen und bis zu seinem Tod im Jahr 1972 als Direktor geleitet hat.
Die Gründung des FBI hat eine lange Vorgeschichte, die mit einem Beschluß des US-Kongresses im Jahr 1871 ihren Anfang nahm. Dem ein Jahr zuvor geschaffenen US-Justizministerium wurde ein zusätzlicher Etat von 50000 US-Dollar gewährt, um sich auf dem Gebiet »der Ermittlung und Strafverfolgung jener (zu engagieren), die sich der Verletzung von Bundesgesetzen schuldig machen«. Bis dahin hatte sich das Ministerium bei der Verfolgung dieses Zwecks auf das Personal der privaten Pinkerton Detective Agency gestützt.
Der US-Kongreß machte dieser Praxis jedoch 1892 ein Ende, weil er einen Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Interessen sah. Danach erledigten bis etwa 1903 Beamte des Zolls, des Innenministeriums und Agenten des Secret Service (Geheimdienst) die Bundespolizeiarbeit. Ihr Wirken zeitigte aber nur mäßige Erfolge, wie Max Lowenthal in seinem 1950 erschienenen Standardwerk »The Federal Bureau of Investigation« feststellte.
Per Erlaß vom 26. Juli 1906 ordnete US-Justizminister Charles S. Bonaparte, ein Enkel des Bruders von Napoleon, die Errichtung des »Bureau of Investigation« (BoI) an. Anfangs ging es bei dessen Ermittlungen nur um Delikte gegen Bundeseigentum, Straftaten von Bundesbeamten, Verstöße gegen Banken-, Antitrust- und Einbürgerungsgesetze oder strafbare Handlungen zum Schaden der US-Post.
Polizeilicher Staatsschutz
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte zu einer stärkeren Ausrichtung des BoI auf den Schutz des politischen Systems der USA. Ab 1916 gehörte die Aufklärung und Vermeidung von Sabotageakten zu seinem Aufgabengebiet. Bald nach dem Eintritt der USA in den Krieg im Jahr 1917 trat das »Spionagegesetz« in Kraft, mit dem unter anderem »aufrührerische Äußerungen« in Kriegszeiten unter Strafe gestellt wurden. Unter dem Eindruck der sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland und der revolutionären Umwälzungen in vielen Ländern Europas als Folge des Krieges erließ der US-Kongreß 1918 das »Ausländer- und Aufruhrgesetz«. Sein Ziel war es, »Ausländer aus den Vereinigten Staaten auszuweisen, die Mitglieder anarchistischer Gruppierungen sind«. Indem das BoI mit allen Strafverfolgungen auf diesen Gebieten betraut wurde, wuchsen nicht nur seine Aufgaben und die Zahl seiner Agenten – 1918 waren es schon 400 –, sondern auch sein Einfluß und seine Macht als polizeilicher Staatsschutz.
Eines der ersten prominenten Opfer war der Sozialist Eugene V. Debs, der vom BoI verhaftet und anschließend zu zehn Jahren in einem Bundesgefängnis verurteilt wurde, nachdem er im Juni 1918 eine leidenschaftliche Rede gegen den Krieg gehalten hatte. Auch die Anarchisten Emma Goldmann und Alexander Berkman wurden verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie öffentlich zum Widerstand gegen die Wehrpflicht aufgerufen hatten. Als Reaktion auf die revolutionären Veränderungen im ehemaligen Zarenreich wurden beide zusammen mit über hundert russischen Migranten 1919 als »unerwünschte Ausländer« abgeschoben. Federführend war bei dieser Operation J. Edgar Hoover, der 24jährige Leiter der »General Intelligence Division« (GID), der nachrichtendienstlichen Abteilung des US-Justizministeriums.
Zu Beginn der Präsidentschaft des Republikaners und Zeitungsverlegers Warren G. Harding im Jahr 1921 wurde William J. Burns zum Direktor des BoI ernannt, der bis 1909 noch Direktor des Secret Service und danach Chef seiner eigenen Privatdetektei gewesen war. Unter Burns verbesserte das Bureau of Intelligence seine Abhör- und Überwachungstechniken, und seine Agenten brachen zu Ermittlungszwecken routinemäßig illegal in Wohnungen und Büros ein.
Stellvertreter von Burns wurde J. Edgar Hoover. Der junge Leiter der GID stand schon im Ruf eines scharfen Antikommunisten, der eine »Politik der harten Hand« betreibt. So ließ er auf dem Höhepunkt der Kommunistenhysterie (»Red Scare«) im Januar 1920 etwa 10000 mutmaßliche Mitglieder und Sympathisanten der im Zuge des Ersten Weltkriegs gegründeten Communist Party USA (CPUSA) verhaften. Im selben Jahr ordnete er an, während des großen Ausstands der Eisenbahner GID-Agenten in die Streikkomitees einzuschleusen, um Verstöße gegen Bundesgesetze dokumentieren zu können. Mit diesen »Beweisen« wurden über 1200 Streikende verhaftet und abgeurteilt. Justizminister Harry M. Daugherty lobte Hoover dafür, »das Rückgrat des Streiks gebrochen« zu haben.1
Hoovers Sicherheitsimperium
Als der Republikaner Harlan F. Stone 1924 neuer Justizminister wurde, ernannte er Hoover zum Direktor der gesamten Ermittlungs- und Polizeiabteilungen des Ministeriums, also auch des BoI. Als erste Maßnahme taufte Hoover es in Federal Bureau of Investigation um. Er wollte sicherstellen, daß man künftig »anders darüber reden und denken und es vom Justizministerium unterscheiden würde, auch wenn es Teil davon ist«. Hoover tauschte im großen Stil »inkompetente« gegen »äußerst qualifizierte« Mitarbeiter aus und machte den Dienst durch höhere Gehälter und Pensionen attraktiver. Vor allem aber schuf er einen rigiden Verhaltens- und Disziplinarkodex und errichtete eine zentralistische Organisationsform durch die Einführung »einer Tradition, in der alles, ob groß, ob klein, im Namen des Direktors getan wurde«.2
Von diesem Moment an etablierte Hoover die Mechanismen, durch die das FBI in der Folgezeit de facto zur Regulierungsbehörde der US-Innenpolitik wurde.3 Eine der Säulen dieses Hooverschen Sicherheitsimperiums wurde die FBI-Abteilung »Files and Communications Division« (FCD), die 1975 mehr als 6,5 Millionen »aktive Ermittlungsakten« und einen »Generalindex« mit 58 Millionen Karteikarten umfaßte.
Unter Hoover wurden aber nicht nur die Datenerfassung und -analyse auf den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik gebracht, sondern ab 1930 bereits alle erkennungsdienstlichen Maßnahmen systematisiert. Die Abteilung »Division of Identification and Information« (DII) hatte bis 1974 die Fingerabdrücke von 159 Millionen US-Bürgern erfaßt, die wiederum mit Ermittlungs- und Personenakten sowie Vorstrafenregistern verknüpft waren. Bereits nach der 1929 beginnenden Großen Depression hatte die DII »sensible Informationen über alle Arten von Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschaftern, schwarzen Aktivisten, Anarchisten und anderen ›Ultra-Radikalen‹ [erfaßt], die dabei waren, ihre zerschlagenen Bewegungen sorgfältig wieder aufzubauen«.4
Großen Wert legte Hoover auch auf die Einbeziehung der Medien in die Arbeit des FBI. Die Öffentlichkeit wurde seit den 1920er Jahren medial positiv darauf eingestimmt, die Zurichtung der Gesellschaft auf den Sicherheitsstaat zu akzeptieren, indem alle Maßnahmen unter Überschriften wie »Krieg gegen das Verbrechen« verkauft und FBI-Agenten zu Helden der »Bekämpfung der Bandenkriminalität« hochstilisiert wurden. Bis heute zeugen die Klassiker der Mafia-Filme von der Wirksamkeit dieser Propaganda, hinter deren Nebelwand die politische Macht des FBI verborgen bleiben sollte.
Auf der Ebene der Legislative begleitete der US-Kongreß Hoover beim Auf- und Ausbau »seiner« Behörde tatkräftig, indem die Senatoren willfährig die gesetzlichen Grundlagen für den Machtzuwachs der Exekutive schufen. So wurde 1940 das »Gesetz zur Ausländerregistrierung« – auch »Smith Act« genannt nach seinem Autor, dem Abgeordneten Howard W. Smith (Demokraten) aus Virginia – verabschiedet, mit dem es möglich wurde, jeden zu kriminalisieren, der »wissentlich oder vorsätzlich die Pflicht, Notwendigkeit, den Wunsch oder die Richtigkeit befürwortet, unterstützt, nahelegt oder vermittelt, eine beliebige Regierung der Vereinigten Staaten durch Zwang oder Gewalt oder durch die Ermordung eines Beamten einer solchen Regierung zu stürzen«.5 Auf der Basis dieses Gesetzes verfolgte das FBI nachträglich Aktivisten »mit möglichen kommunistischen Verbindungen« wegen »Aufstellung einer ausländischen Armee in den USA«, nämlich der Abraham Lincoln Brigade, die Teil der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg (1936–39) war.
Während die Spanische Republik von den Armeen des spanischen, italienischen und deutschen Faschismus bereits geschlagen war, die Schlachten des Zweiten Weltkrieges tobten und die deutsche Wehrmacht den Angriffskrieg auf die Sowjetunion vorbereitete, ging in den USA unbeeindruckt von aller Kritik die Hatz des FBI auf Linke weiter. Beispielsweise gegen 18 Mitglieder der Socialist Workers Party (SWP), die 1943 unter dem Vorwurf verhaftet wurden, sie gehörten einer Partei an, deren Ideen, ausgedrückt in der »Prinzipienerklärung« der SWP und im »Kommunistischen Manifest«, gegen das Smith-Gesetz verstießen. Sie wurden zu Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt, abgesegnet durch den Obersten Gerichtshof der USA.
Zur Blüte kam die Gesinnungsschnüffelei des FBI in der berüchtigten McCarthy-Ära in den 1950er Jahren. Diese war die innenpolitische Variante des von USA und NATO weltweit forcierten Kalten Krieges.
Spalten, kontrollieren, schwächen
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In dieser Zeit antikommunistischer Hysterie, angeheizt vor allem während des Koreakrieges (1950–53), tat sich das FBI mit seiner speziellen Art der Ermittlungsführung und Beweisfabrikation in diversen »Spionagefällen« hervor. So im Fall von Ethel und Julius Rosenberg, die am 5. April 1951 wegen »Verschwörung zur Spionage für die Sowjetunion« verurteilt und trotz weltweiter Proteste am 19. Juni 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden (siehe jW-Thema vom 21.10.2008).
Von der internen Aufgabenverteilung her oblagen die gegen »feindliche kommunistische Umtriebe« eingesetzten geheimdienstlichen Methoden des FBI generell seiner »Counterintelligence Divison« (CID). Diese »Abteilung für Gegenspionage« hatte jedoch wenig mit der vermeintlichen Abwehr gegnerischer Angriffe aus dem Ausland zu tun. Zwar umschrieb die CID ihre gesetzlich definierten Aufgaben als gerichtet gegen »feindliche ausländische Regierungen, ausländische Organisationen und Individuen, die mit ihnen verbunden sind«6. Direktor Hoover hatte die CID jedoch schon seit den 1940er Jahren eng mit der FBI-Abteilung für Innere Sicherheit, der Internal Security Division (ISD), verknüpft. Seitdem entwickelten ISD und CID gemeinsam sogenannte »Counterintelligence Programs« (COINTELPROs), die jeweils auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten waren. Nach den Worten von William C. Sullivan, Exchef der CID und einer der Architekten dieser Methoden: »Wir benutzten COINTELPRO-Taktiken, um eine Organisation auf unterschiedliche Weise zu spalten, zu kontrollieren und zu schwächen. Wir waren damit befaßt, seit ich 1941 im Büro anfing.«7
Im internen Sprachgebrauch des FBI bezog sich die Abkürzung COINTELPRO deshalb nicht auf ein einziges geschlossenes Programm, sondern auf jeweils verschiedene Operationen. Nach Churchill und Vander Wall wurden in den 31 Jahren »zwischen 1940 und 1971 viele Tausende individuelle COINTELPROs durchgeführt«8. Es gab also nicht nur »das eine« Gegenspionageprogramm, sondern viele. Die Abkürzung war lediglich Hinweis darauf, daß bestimmte Methoden klandestiner politischer Repression angewendet wurden, die nur eins gemeinsam hatten: Sie waren vom Grundsatz her geheim und außergesetzlich. Ziele und Inhalte konnten sehr verschieden sein. Die Entstehungsgeschichte dieser Programme macht das deutlich.
In den Jahren des Zweiten Weltkriegs und des nachfolgenden Kalten Kriegs standen sozialistische und kommunistische Organisationen wie die Communist Party USA und die Socialist Workers Party exklusiv im Fadenkreuz des FBI. Darin spiegelte sich die Tatsache wider, daß die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) – von den USA erst 1933 notgedrungen diplomatisch anerkannt – mit dem Ende des Krieges vom Alliierten Washingtons zu dessen Hauptfeind geworden war. Indem die UdSSR mit ihrer Roten Armee die faschistische Wehrmacht zurückgeschlagen und dem deutschen Faschismus die entscheidende Niederlage beigebracht hatte, war der Einfluß antifaschistischer, sozialistischer und kommunistischer Kräfte in weiten Teilen Europas gewachsen.
In Asien begann mit dem Entstehen der Nationalen Befreiungsbewegungen der Prozeß der Dekolonialisierung. Während in Vietnam die Kolonialarmeen Frankreichs und der USA mit einem militärisch nicht zu lösenden Problem konfrontiert waren, übte der fortschreitende Prozeß der Befreiung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas vom Joch des Kolonialismus auch großen Einfluß auf die unterdrückten Völker und die Marginalisierten der multinationalen Arbeiterklasse innerhalb der Staatsgrenzen der USA aus. Vietnamkrieg, Rassismus, Klassenunterdrückung, Kriegsdienst, Polizeigewalt und Einschränkungen der Rede- und Demonstrationsfreiheit sowie des Streikrechts führten in den 1960er Jahren »im Herzen der Bestie« – wie Ernesto »Che« Guevara die USA vor US-Studenten in Havanna nannte – zu einer explosiven gesellschaftlichen Situation.
Was die herrschenden weißen US-Eliten das Fürchten lehrte, brachte FBI-Direktor Hoover sinngemäß so auf den Begriff: Er führe einen »Krieg an der Heimatfront«, der entscheidend sei für die Front in Vietnam. Angesichts der mehr als 150 Aufstände Mitte der 60er Jahre in den Schwarzenghettos sah Hoover in der Black Panther Party (BPP) zu Recht »die größte Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes«, weil sie nämlich mit der wachsenden Zahl von Ortsgruppen überall im Land dabei war, dem Aufbegehren der schwarzen Bevölkerung Orientierung und Struktur zu geben. Im August 1967 teilte Hoover deshalb seinen Abteilungen mit: »Das neue COINTELPRO verfolgt den Zweck, die Aktivitäten der Haß verbreitenden Organisationen und Gruppen des schwarzen Nationalismus, ihre Führer, Sprecher, Mitglieder und Unterstützer zu entlarven, zu spalten, irrezuleiten oder anderweitig zu neutralisieren und ihrer Neigung zu Gewalt und zivilem Ungehorsam entgegenzuwirken.«
Laut Churchill/Vander Wall gibt der linke Rechtsanwalt William Kunstler die Zahl der COINTELPRO-Programme allein für die 1960er Jahre mit 2370 an. Ein vom 27. April 1971 datierendes Memorandum des FBI-Agenten C.D. Brennan an den erwähnten William C. Sullivan (der später wegen des FBI-Terrors gegen Martin Luther King jr. unter Anklage gestellt wurde) listet unter dem Betreff »Counterintelligence Programs – Innere Sicherheit – Rassenfragen« folgende Einzelprogramme auf: Cointelpro-Spionage; Cointelpro-Neue Linke; Cointelpro-Zerrüttung weißer Haßgruppen; Cointelpro-Communist Party, USA; Gegenspionage und Spezialoperationen; Cointelpro-Schwarze Extremisten; Socialist Workers Party-Zerrüttungsprogramm.«9
Methoden des Staatsterrors
Das Brennan-Memorandum stammt aus einer Zeit, als das FBI seine COINTELPRO-Methoden nicht mehr verheimlichen konnte. Dies war Folge einer Aktion, mit der politische Aktivisten, die selbst Objekte der Verfolgung durch das FBI waren, den Spieß umdrehten. In der Nacht des 8. März 1971 stieg die Gruppe »Bürgerkommission zur Ermittlung gegen das FBI« in ein lokales Archiv der Behörde im Ort Media, Pennsylvania, ein und kopierte Tausende von geheimen Verschlußsachen. Durch diesen legendären Coup gelangten zum ersten Mal Informationen über die COINTELPRO-Methoden ans Licht. Wegen der scharfen Reaktion der kritischen Öffentlichkeit zwang der US-Kongreß das FBI, seine Aktivitäten zumindest in Teilen preiszugeben. Dies sollte der Schadensbegrenzung in einer Zeit dienen, als durch den Vietnamkrieg und US-Präsident Richard Nixons Watergate-Affäre die staatliche Legitimation schwand.
Zu den wesentlichen Erkenntnissen im Zuge der Auswertung der Dokumente gehörte, daß die massive Überwachung von Organisationen und Personen durch Abhören, illegale Einbrüche, Verwanzung, sichtbare Dauerobservation und Postkontrolle nur bedingt dem geheimdienstlichen Sammeln von Informationen galt. Es ging vielmehr um das Erzeugen von Paranoia durch das Gefühl, »in jedem Briefkasten steckt ein FBI-Agent«. Dieses Zitat entstammt den veröffentlichten Dokumenten, aus denen hervorgeht, daß der Begriff »Paranoia« bei der Definition der Zielvorgaben des FBI zu den Schlüsselwörtern gehörte. Die taktischen COINTELPRO-Methoden lassen sich danach wie folgt skizzieren:
– Infiltration: Agenten, Spitzel und Agents Provokateurs haben die Aufgabe, Ziele auszuspionieren, Daten zu beschaffen, Razzien vorzubereiten, negativen Einfluß auf die Politik einer Gruppe zu nehmen, Falschinformationen zu verbreiten und Personen sowie ihre Gruppen öffentlich in Verruf zu bringen, um einen Zerrüttungsprozeß einzuleiten.
– Psychologische Kriegführung: Durch gefälschte Publikationen, fingierte Korrespondenz, anonyme Briefe und Telefonanrufe und Verbreitung von Gerüchten die ins Visier genommenen Gruppen und ihre Mitglieder gegeneinander ausspielen, Streit, Spaltung und Gewalt untereinander provozieren.
– Einschüchterung und offene Gewalt: Wohnungs- und Arbeitskündigungen, Vorladungen zu Vernehmungen, Ausschreiben zur Fahndung, Verhaftungen und Anklagen unter falschen Anschuldigungen, Fabrikation von Beweisen sowie physische Gewalt durch Polizeiüberfälle, Hinterhalte und fingierte Unfälle bis hin zu offenen Mordanschlägen, um Panik und nackte Angst zu erzeugen und führende Köpfe zu beseitigen.
Nachdem die brisanten Dokumente in oppositionellen Medien und der Washington Post veröffentlicht worden waren, nannten Kritiker das aufgedeckte Instrumentarium »Methoden des Staatsterrorismus«. Unter dem starken öffentlichen Druck räumte das FBI ein, seine COINTELPRO-Maßnahmen in den in Klammern stehenden Zeiträumen gegen sechs Zielgruppen gerichtet zu haben: 1. Communist Party USA (1956–71) 2. Gruppen für die Unabhängigkeit Puerto Ricos (1960–71) 3. Socialist Workers Party (1961–71) 4. weiße Haßgruppen (1964–71) 5. schwarze nationalistische Haßgruppen (1967–71) 6. Neue Linke (1968–71)
Operationen gegen die Neue Linke betrafen Students for a Democratic Society (SDS), Kriegsgegner, Vietnamveteranen, feministische und Antidiskriminierungsgruppen sowie linke und alternative Medien. Der Begriff »schwarze Nationalisten« umfaßte sowohl Martin Luther King jr. und die »Southern Christian Leadership Conference« (SCLC) als auch Malcolm X und die »Nation of Islam«, das »Revolutionary Action Movement« (RAM), das »Student Nonviolant Coordinating Committee« (SNCC) und die meisten Gruppen der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegungen. Im Zentrum stand für das FBI jedoch die Black Panther Party, die mit einem regelrechten Krieg überzogen wurde. »Weiße Haßgruppen« wie der rassistische Ku Klux Klan und ähnliche rechtsextreme Milizen wurden nicht bekämpft, sondern verdeckt unterstützt. Sie wurden mit finanziellen Mitteln und Informationen über ihre Gegner ausgestattet, solange sie ihre Angriffe auf oppositionelle Zielgruppen des FBI beschränkten.
Verdeckte Aktionen richteten sich auch gegen mexikanische Einwanderer (seit den 1950er Jahren widmete sich ein COINTELPRO der Sicherung der Grenze zwischen Mexiko und den USA) und vor allem gegen das American Indian Movement (AIM). Gegner der zahlreichen US-Interventionen gegen souveräne Nationen wurden ebenso vom FBI bekämpft wie Pazifisten der radikalchristlichen Plowshare-Bewegung (»Schwerter zu Pflugscharen«), die US-Kampfjets und Raketen mit Vorschlaghämmern unbrauchbar gemacht hatten.
Operationen eingestellt?
Mit dem Auffliegen der bis dahin geheimen COINTELPRO-Dokumente im Jahr 1971 stellte das FBI diese Art des Vorgehens gegen die innerstaatliche Opposition angeblich ein. Damit hatte die FBI-Führung jedoch nur einen weiteren Mythos geschaffen – den seiner Läuterung. Denn angesichts der lebenslangen Inhaftierung des Ex-Black-Panthers Mumia Abu-Jamal und des AIM-Aktivisten Leonard Peltier wäre zu fragen: Wie kann es sein, daß bei beiden die jahrelange Verfolgung, dokumentiert in Hunderten Seiten von geheimen FBI-Akten, die unfairen und rassistischen Prozesse sowie ihre Verurteilung auf der Basis fabrizierter Beweise so stark an die hier geschilderten Methoden erinnern, obwohl Peltier erst 1976 und Abu-Jamal 1981 verhaftet wurden, also fünf bzw. zehn Jahre nach dem angeblichen Ende der COINTELPRO-Methoden?
Lassen wir J. Edgar Hoover, dessen Namen das FBI-Hauptquartier in Washington D.C. trägt, diese Frage beantworten: »Im weltweiten Kampf freier Völker ist die Wahrheit eine der stärksten Waffen. Und die Taten des FBI sprechen für sich selbst.«
Anmerkungen
1 Sanford Ungar: FBI, London 1976, S. 46
2 Ebd., S. 57
3 Vgl. Ward Churchill/Jim Vander Wall: Agents of Repression – The FBI’s Secret Wars Against the Black Panther Party and the American Indian Movement, Boston 1988, S. 26ff.
4 Churchill/Vander Wall, a.a.O., S. 27
5 Ebd., S. 29
6 Aus einer Erklärung des US-Justizministeriums von 1974, zitiert in Ungar, a.a.O., S. 178
7 Churchill/Vander Wall, a.a.O., S. 37
8 Ebd.