Faust

Spielen wir Tourist in Weimar und schnappen uns einmal all die ganzen Flyer mit Veranstaltungshinweisen im Klassiker-Overkill der Kulturstadt. Ein Name taucht immer wieder auf. „Faust – Auf den Busch geklopft.“, „Faust 1 - Zu zweit“, „Faust (Magarethe)“, „Faust 2 - Zu dritt“ - Ganz klar, dass die bedeutendste Arbeit des Dichterfürsten Goethe gerade hier besonders oft und vielseitig dargeboten wird, ist das Werk schließlich in dieser schönen Stadt entstanden. Seit einigen Tagen gibt es nun einen weiteren Faust – und zwar im Kino. Der russische Regisseur Alexander Sokurov inszenierte mit „Faust“ den abschließenden vierten Teil seiner Reihe über „Das Böse und die Macht“
Faust ist ein Gelehrter. Heißt Magister, heißt Doktor gar. Hat sozusagen sämtliche Studienabschlüsse absolviert, die man sich vorstellen kann – auch nach heutigen Maßstäben. Doch all sein Wissen nützt ihm nichts bei der Suche nach den wichtigen Antworten. Hat der Mensch eine Seele? Wo ist die Seele? Im Körper scheint sie sich nicht zu befinden, denn er hat überall nachgesehen. Zusätzlich plagen ihn Geldsorgen. Er kann sich nicht einmal das Gift leisten, dass er gerne schlucken möchte, um seinem Dasein zu entfliehen. Also geht er zum Wucherer, um dort einen Ring zu verpfänden. Dem Wucherer gelingt es jedoch, Faust von seinem Vorhaben abzubringen. Zunächst scheint es so, als wolle er Faust lediglich zeigen, dass das Leben lebenswert ist und es auch schöne Dinge gibt. Schön wäre in diesem Fall Margarethe. Der Wucherer will Faust helfen, sie zu bekommen, geht dabei allerdings mit merkwürdigen Methoden sogar über Leichen. Faust ahnt nicht, dass er Teil eines diabolischen Spiels geworden ist.
Alexander Sokurov ist ein bedeutender Künstler seines Handwerks. Er scheint immer nur den extremen Weg zu suchen, seine Kunst zu verwirklichen. Seinen Film „Russian Ark“ drehte er ohne einen einzigen Schnitt zu tätigen. Die gesamten 92 Minuten wurden ohne Unterbrechungen am Stück gefilmt. Eine enorme Leistung des gesamten Teams hinter diesem Projekt. Seine Tetralogie zum Thema „Das Böse und die Macht“ widmete er Hitler, Lenin, dem japanischen Kaiser Hirohito und zu guter Letzt Faust. Ein schwer nachzuvollziehender Schritt, handelte es sich in den anderen Filme um real existierende Persönlichkeiten, wohingegen Faust – in dieser Version – eine fiktive Gestalt ist. Noch mehr Dinge lassen sich schwer nachvollziehen. Das ungewöhnliche Bildformat von 4:3 beispielsweise, oder das verwaschene Bild, die blassen Farben und die sehr häufig eintretenden verzerrten Perspektiven. Außerdem bieten sich dem Zuschauer zahlreiche groteske Szenen, die ein ums andere Mal sehr ernsthafte Situationen, wie eine Beerdigung, ins Lächerliche zu ziehen scheinen. Die sprunghafte Veränderung der Reihenfolge der Ereignisse, die man aus der Goetheschen Vorlage kennt, kann indes als künstlerische Freiheit gewertet werden. Der ganze Film ist Kunst und ich für meinen Teil habe wenig verstanden, oder richtig gedeutet. Wer hier lediglich eine filmische Adaption des Theaterstücks erwartet, wird enttäuscht werden. Der Film wurde zwar komplett in deutscher Originalsprache gedreht, nutzt aber selten den Originaltext. Hin und wieder gibt es Zitate, die jedoch unvollständig und teilweise an den falschen Stellen zum Besten gegeben werden. Nicht aber, dass hier eine oberflächliche Auseinandersetzung mit der Vorlage diagnostiziert werden darf; Sokurov scheint sich sogar sehr intensiv mit dem Text beschäftigt zu haben. Kenner des Stückes finden zahlreiche Zitate und Elemente wieder, die sogar auf den zweiten Teil der Tragödie hinweisen. Doch auch hier scheint man sich zu viel vorgenommen zu haben, denn weder der erste Teil, noch der zweite Teil sind hier vollständig umgesetzt. Alexander Sokurov hat einen sehr speziellen Stil, und den zieht er kompromisslos durch. Das jemand so etwas heutzutage noch in diesem Ausmaß wagt, ist beeindruckend, leider führt es dazu, dass man größtenteils verwirrt im Kino sitzt und angestrengt auf den Moment wartet, in dem sich alles klärt. Dieser Moment kommt leider nicht und alle Offenheit gegenüber dem Künstler nützt nichts. Man versteht es einfach nicht.
„Faust“ ist wie ein Fiebertraum von einem Film. Es ist, als wollte der Regisseur zunächst viel mehr darstellen, als es in diesem speziellem Stil möglich ist und nach der Hälfte des Films kürzt er dafür prägende Handlungsstrecken heraus. Hat sich Sokurov zu viel vorgenommen und am Ende lediglich versucht, zu retten, was zu retten ist? Ist sein Konzept dem falschen Ansatz gefolgt? Oder wollte er wirklich, dass der Film genau so ist, wie er ist? Bin ich vielleicht einfach durch dieses Monstrum an Kunst überfordert gewesen? Wahrscheinlich, denn der Film wurde auf den renommierten Filmfestivals weltweit im vergangenen Jahr mit Preisen überhäuft. Soll man sich diesen Film nun ansehen? Ich sage, ja. Vielleicht ist es Kunst, die erst dadurch zur Kunst wird, dass sie betrachtet wird. So ähnlich, wie die Mona Lisa. Ganz im Ernst, aber wirklich schön ist sie nicht und trotzdem gucken sie alle an.
Faust (RU / D / Ö, 2011): R.: Alexander Sokurov; D.: Johannes Zeiler, Anton Adsinsky, Georg Friedrich, u.a.; M.: Andrey Sigle; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, zwischen 12:00 und 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

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