Fast auf dem Tiefpunkt

4Feb/140

Fast auf dem Tiefpunkt

In Bayern ist zurzeit Kommunalwahlkampf und die Öffentliche Sicherheit ist natürlich ein großes Thema. Die Parteien überbieten sich mit Vorschlägen, wie man der immer weiter steigenden Kriminalität Herr werden kann. Mehr Polizei? Videoüberwachung? Bürgerwehren? GSG9? Übersehen wird, dabei, dass die Kriminalität sich fast auf einem Tiefststand befindet.

Problem Wohnungseinbrüche

Im Zusammenhang mit der Kriminalitätsentwicklung wird gerne auf die Zahl der Wohnungseinbrüche verwiesen. Tatsächlich hat sich deren Zahl des Wohnungseinbruchsdiebstals seit 2006 um fast 36 Prozent erhöht.

Fingierte Grafik

So eindrucksvoll ist die Zunahme des Einbruchsdiebstahls, wenn man das richtige Ausgangsjahr nimmt und die Achse abscheidet. Quelle: BKA

Nimmt man 2006 als Basisjahr, hat man tatsächlich eine unschöne Entwicklung. Dann muss man nur noch etwas in die Trickkiste der Grafiker greifen und die Achse abscheiden - und schon hat man eine wahlkampftaugliche Entwicklung.

Wohnungseinbruchsdiebstahl - ungeschönt

Betrachtet man den Wohnungseinbruchsdiebstahl seit 1993 (bis 1998 Diebstahl in/aus Wohnräumen) ist die jüngste Entwicklung auch nicht schön, aber weniger schrecklich als mit einigen Tricks. Quelle: BKA

Nicht ganz so dramatisch sieht die Situation aus, wenn man den Wohnungseinbruchsdiebstahl seit 1993 betrachtet. 1993 ist für alle Daten hier das Ausgangsjahr, weil hier erstmals Daten für das gesamte Deutschland vorliegen. Die Zeitreihen des BKA reichen bis 1987 zurück, umfassen aber bis einschließlich 1990 nur die alte BRD und West-Berlin und bis 1992 die alten Bundesländer und Gesamt-Berlin.

Bei dieser längeren Betrachtung sieht man, dass Werte 1999 deutlich höher lagen und in den Jahren zuvor erst recht, wobei hier in der Statistik nicht von Wohnungseinbruchsdiebstahl, sondern von Diebstahl in/aus Wohnungen die Rede ist. Nach Ansicht der BKA-Statistiker sind die Daten aber dennoch vergleichbar.

Leichter Anstieg seit 2010

Die Wohnungseinbrüche wird man allerdings mit Videokameras auf U-Bahnhöfen, Parkplätzen und in Fußgängerzonen nicht in den Griff kriegen. Dort geht es auch eher um Körperverletzung oder gar Tötungsdelikte. Doch die Zahl der Straftaten gegen das Leben lag 2010 mit rund 3.000 so niedrig wie noch nie seit 1993. Die schwere Körperverletzung immerhin nahm bis 2007 zu, sinkt aber seitdem ebenfalls.

Kriminalitätsentwicklung

Zahl der Fälle insgesamt (blau, linke Skale) und der Straftaten gegen das Leben (rot, rechte Skala). Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, dass für die Delikte gegen das Leben im Vergleich zu den Gesamtvergehen um den Faktor 1.000 größer dargestellt sind. Quelle: BKA

Die Gesamtkriminalität ist immerhin in den Jahren 2009 und 2010 wieder etwas angestiegen und hat den Tiefpunkt hinter sich gelassen. Auch hier liegen die Fallzahlen aber noch deutlich unter denen der Vergangenheit, gegenüber dem Höchststand 1993 beträgt der Rückgang mehr als elf Prozent.

Wie aussagekräftig sind die Daten?

Nun ist die Gesamtzahl der Vergehen nur eingeschränkt aussagekräftig. Zum einen werden dort Diebstähle mit Morden in einem Topf geworfen, zum anderen haben sich manche Gesetze geändert. Im Jahr 1993 und 1994 gab es das Verbot von Homosexualität. Immerhin 303 Fälle von verbotenen homosexuellen Handlungen waren erfasst, in 44 Fällen wurden Männer sogar verurteilt. Lesbische Beziehungen waren nämlich nicht strafbar, was einen tiefen Einblick in die Vorstellungswelt jener Parlamentarier gibt, die 1973 die bis 1994 geltende Fassung des §175 beschlossen.

Außerdem ist auch die Frage entscheidend, wie häufig Delikte angezeigt werden. Die Bereitschaft ein Vergehen anzuzeigen hat aber eher zugenommen. Manche Kneipenschlägerei, die vor 30 Jahren noch mit einem kalten Schnitzel auf dem Auge beendet worden wäre, landet heute vor Gericht.

Der Rückgang der Kriminalität ist aber mehr als ein statistisches Phänomen. Er zeigt sich auch bei der Betrachtung der meisten Tatbestände.

Warum die verquere Wahrnehmung?

Ironischerweise dürften der Rückgang der Kriminalität und die steigende Angst davor eine gemeinsame Ursache haben, nämlich die Alterung der Gesellschaft. Viele Delikte werden vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen begangen. Sehr zur Freude der Stammtische und Boulevardmedien, die draus regelmäßig eine Verrohung der Jugend konstruieren.

Tatsächlich aber hat das mehr mit verrückt spielenden Hormonen und Unreife zu tun, denn das Phänomen zeigt sich in jeder Generation. Das erklärt auch, warum die Alterung die Kriminalität senkt. Denn mancher, der vor 30 Jahren Pflastersteine auf Polizisten warf ruft heute nach der Polizei, wenn um 22.01 noch Lärm aus der Nachbarwohnung kommt. Die Kriminellen von einst sind älter und ruhiger geworden und die Zahl der nachrückenden jungen Menschen sinkt. Ältere Menschen sind aber gleichzeitig ängstlicher, deswegen steigt die gefühlte Bedrohung.

Trotzdem dürfte auch - entgegen landläufiger Vorurteile - der Anteil der kriminellen Jugendlichen gesunken sein, was die Kriminalität zusätzlich senkt. Schlechte Zeiten für Wahlkämpfer, aber zum Glück weiß das fast niemand.


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