Farben, Farben, Farben und Emotionen, Emotionen, Emotionen

Farben, Farben, Farben und Emotionen, Emotionen, Emotionen

Simon Trpceski (c) EMI-Classics


Wer die Überschrift dieses Artikels liest, wird seine ersten Assoziationen nicht unbedingt auf ein klassisches Konzert hin ausrichten. Aber wie anders ließe sich ein Abend in Straßburg charakterisieren, in dem das OPS, das Orchestre philharmonique de Strasbourg, Janáček, Tschaikowsky und Strauß interpretierte, dass einem warm ums Herz wurde. Mit Jakub Hrusa, dem noch nicht dreißigjährigen Ausnahmedirigenten und Simon Trpceski, der gerade zwei Jahre älter ist als der Dirigent und der zu den größten pianistischen Entdeckungen der letzten Jahre gehört, präsentierte sich ein „Traumpaar“ – die Herren mögen mir diese abgenutzte Beschreibung verzeihen.

Beide trafen in Straßburg das erste Mal aufeinander und interpretierten gemeinsam das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky. Eines jener Werke, das zu den häufigst gespielten und aufgenommenen gehört und alleine schon deswegen voller Gefahren steckt. Wenn hier nicht ganz große Interpretation geboten wird, dann klatscht das Publikum selbstgefällig, aber das war auch schon alles. Was an diesem Abend im Salle Erasme aber geschah, ging aber weit darüber hinaus. Beide Musiker, sowohl der Dirigent als auch der Pianist waren sich in ihrer Herangehensweise an das Stück völlig einig. Glasklar, mit der Herausarbeitung selbst der kleinsten Feinheiten, ohne jedoch auf die darin enthaltenen Emotionen zu vergessen, dirigierte Hrusa jenes Werk, das heute so geliebt wird, bei seiner Entstehungszeit jedoch heftigste Zweifel der Kritiker hervorrief. Derselbe Interpretationsansatz fand sich bei Trpceski, der dem Flügel in Straßburg, den er übrigens in einem Interview besonders lobte, von den zartesten Anschlägen bis hin zu den kräftigsten Tönen alles zu entlocken wusste, was nur möglich ist. Zwei Analytiker mit einer Überbegabung an Musikalität und das im gleichen Alter – dass das eine Traumkombination ergibt war vorher wohl nur den Programmmachern des OPS bewusst. Jetzt sollte es hinausgetragen werden in die Welt der Musikliebhaberinnen und Liebhaber, denn selten gibt es so stimmige Kombinationen, in welchen Qualität zu Qualität sich addierend hinzufügt.

Simon Trpceski kann wohl als Pianist des Lichts bezeichnet werden. Er zauberte strahlende Helligkeit und Klarheit selbst in die verstecktesten und unbeachtetsten Winkel des Stückes. Ganz besonders dort, wo er ganz im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die Läufe als Begleitung des Orchesters von der Lautstärke her extrem zurücknahm, ohne aber auch nur im Geringsten an Farbe zu verlieren. Sein Antupfen der Tasten kommt dem Farbauftrag der großen Impressionisten gleich. Ein Hauch von Farbe, auf die Leinwand getupft, die mit ein wenig Abstand strahlender erscheint, als es der volle Auftrag erreichen könnte – so behandelt Trpceski die Tasten des Flügels in den leisen und luftigen Passagen. Es gibt keinen Takt, der von ihm stiefmütterlich behandelt wird und dennoch atmet er die große Linie in den Sätzen und interagiert dazu noch wie ganz selbstverständlich mit dem Orchester. „Kammermusikalisch“ fasst er selbst ein Konzert wie dieses auf, eine Herausforderung, die nur dann gemeistert werden kann, wenn alle Musiker gemeinsam das Werk interpretieren und nicht vom Solisten am Klavier bevormundet oder ignoriert werden. Es war eine große Freude, diesen Pianisten bei seinem Spiel zu beobachten. So sicher, wie er am Flügel agiert, so offen er mit dem Orchester, ja sogar mit dem Publikum kommuniziert – dieser Habitus zeugt von einer Selbstverständlichkeit in der Musikalität, die nur ganz große Solisten auszeichnet. Das Auf-die-Bühne-Gehen, seine Performance ist bei ihm keine Plage, kein Muss, keine Anstrengung im Sinne von Überforderung oder Pflichterfüllung, sondern etwas, das Natürlicher nicht sein könnte und das wird in der Musik hörbar. Die Pianissimi, die Fortissimi und alle nur denkbaren Schattierungen sind zwischen seinem Instrument und dem Orchester so gut abgestimmt, dass Tschaikowsky an diesem Abend einen Farbenreichtum erhielt, den man wünschte, festhalten zu können. So wie man ein Bild immer wieder und wieder gerne betrachtet, so wäre es wunderbar, diese Interpretation von Hrusa und Trpceski wieder und wieder hören zu können. Eine Einspielung wäre ein Musterbeispiel, wie Bekanntes noch immer frisch, lebendig und aufregend gespielt werden kann. In den beiden Zugaben, die Trpceski dem Publikum schenkte, war es nicht seine Brillanz, sie beeindruckte. Mit einem kleinen Stück aus Tschaikovskys Jahreszeiten sowie einem einfachen Chopinwalzer berührte er mit diesen Melodien die Herzen des Publikums und zeigte, dass gute Musik nicht nur in einer fingerbrecherischen Herausforderung begründet liegt, sondern dass es auf die innige und stimmige Interpretation auch ganz einfacher Melodien ankommt. Simon Trpceskis Spiel leuchtete auch hier.

Jakub Hrusas „Mitbringsel“ aus seiner tschechischen Heimat war „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáček, einer Orchestersuite, die nach der gleichnamigen Oper arrangiert wurde. In Tschechien ist dieses Werk extrem bekannt, in Straßburg war es das erste Mal zu hören. Die fantastische Geschichte, bei der sich eine Füchsin zuweilen in ein schönes junges Mädchen verwandelt, in der es aber auch tierisch-blutrünstig zugeht, wurde von Janáček in eine atemberaubend illustrative Musik umgesetzt. Die Suite bringt zu Beginn auch ein schönes Beispiel, wie ein Komponist aus einer winzig kleinen Melodie einen Klang ausbauen kann, der auf das gesamte Orchester übergreift und in dessen vielfältigen Varianten sich Angst, Aufregung, Hoffnung, Beruhigung und Liebe ausdrücken.

An und für sich Strauß-erprobt, war es keine Herausforderung für das Orchester, die „Zarathustra“, das letzte Konzert des Abends, unter Hrusa spannend erklingen zu lassen. Die sinfonische Dichtung, die sich auf ein Werk Friedrich Nietzsches begründet, in welchem er sich gegen spießbürgerliche Anschauungen und religiös bedingte Kurzsichtigkeiten wendet und auch dem sich ewiglich wiederholenden Zyklus des Seins, Vergehens und Wiederentstehens befasst, gehört zu einem jener Werke, das mit einem Klangreichtum aufwartet, der unverkennbar ist. Außerdem enthält das Werk eine der schönsten sinfonischen Stellen, die je für Bässe, Celli und Streicher geschrieben wurde und die Hrusa sichtlich genüsslich langsam ausdirigierte. Der Klang, der sich von den tiefen Bässen her über die Celli bis in die Streicher nach vorarbeitete, stellt ein ganz besonderes Hörerlebnis das, das auf besondere Weise im Gedächtnis bleibt. Hrusas intelligente Art zu dirigieren, die sich auf ein exaktes Partiturstudium begründen muss, wurde in jedem einzelnen Stück hörbar. Durch das Einfordern ständiger Aufmerksamkeit der Musikerinnen und Musiker und durch seine Exaktheit in der Schlagtechnik aber auch in einer Körpersprache, die genau wiedergibt, was die Musik zu sagen hat, erklangen an diesem Abend alle Stücke wie durch ein Brennglas fokussiert. Klar, brillant, deutlich mit vielen, vielen dynamischen Feinheiten und nicht zuletzt einer unglaublichen Spielfreude des gesamten Orchesters. Ein Erlebnis, das man so nur im Konzertsaal direkt erleben kann. Ein brillanter Abend.


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