Fanatiker mit, Fanatiker ohne Gott

 

Das Abendland gibt sich momentan provokant atheistisch und nennt es Meinungsfreiheit. Mit welcher Herausforderungshaltung und Verachtung seine "Intellektuellen" gegen den Islam schießen, grenzt an Perversion. Sicherlich verbergen sich hinter dem, was Islamkritik heißt, einerseits auch rechtsradikale Freaks - andererseits sind es aber atheistische und intellektuelle Affekte, die im Namen der Meinungsfreiheit einen beleidigenden Kreuzzug ausfechten. Dabei spielen sie den braunen Kretins auch noch in die deutschgrüßenden Arme. Und sie machen sich als religiöse Eiferer ohne religiösen Glauben lächerlich. Religion kommt von religare, von zurückbinden - sie ist also Rückbindung an Ideale und Werte, an Schriften und Erkenntnisse, ist folglich eine weltanschauliche Rückversicherung. Ob es darin einen Gott geben muss, steht nicht fest. Der europäische Atheismus, der dieser Tage im Namen der Meinungsfreiheit den Islam verspottet, ist als intellektuell verbrämte Verlängerung mittelalterlicher Kreuzzüge des Katholizismus ohne Kirche und Gott zu werten.

Hier diskutiert man rege, einen Film der mehr mit Volksverhetzung denn mit Meinungsfreiheit zu tun hat, auch wirklich publikumswirksam zu zeigen - dort wieder mal Karikaturen und immer mehr Karikaturen. Europa einig Provoland! Einig gegen den Islam - wenn man sich sonst schon über wenig Gemeinsamkeiten definiert: die Abneigung gegen den Islam vereint. Man hasst den Islam ja nicht - man ist nur für die Freiheit, man lehnt ihn nur im Namen atheistischer, wenigstens aber säkularisierter Errungenschaften ab. Man ist nicht rassistisch, nicht eurozentristisch, nicht leitkulturell verblendet - das wirkt zwar so, aber das sind nur Auswirkungen einer hehren Empfindung; man will dem Islam nur bringen, was man selbst als so außerordentlich bereichernd empfindet.
Die Empfindlichkeit des Islam ist sicherlich gewöhnungsbedürftig und manchmal unverständlich. Warum aber provozieren, Unruhe erzeugen, Geschmacklosigkeiten und Beleidigungen mit Meinung verwechseln? Warum annehmen, Mitglied einer Kultur zu sein, die mehr gelten soll, als es die islamische Kultur angeblich tut?
Es sind neben den üblichen rechtsgerichteten Halbseidenen und nationalistisch-abendländischen Spinnern solche, die sich als linksliberale Atheisten sehen, wenn sie Mohammad einen guten Kinderschänder sein lassen. Konkretisierung: Atheisten meint vermutlich das, was man säkularisierte Intellektuelle nennen sollte - scheinbar von Kirche und religiöser Moral entwundene Charaktere, die nicht dumm sind, die sich aber durchaus dumm anstellen beim Umgang mit dem Islam, die in die rechte Falle tappen und damit den ganzen Rassisten aus der Mitte und von Rechts ein Forum zutragen; Charaktere, die auch ihre Leistungen im aufklärerischen Bereich aufs Spiel setzen - siehe Wallraff, der mehr und noch mehr Karikaturen fordert, der im Namen der Meinungsfreiheit den Markt mit religiöser Beleidigung geflutet wissen will. Das ist ein intellekueller Offenbarungseid - erneut. Wallraff und die gestiefelten Straßenkater in braunem Polo auf einer Linie. Nicht gewollt vielleicht, aber er hat auch nichts dafür getan, um nicht dort verortet zu werden.
Die mit den gewichsten Springerstiefeln sind ja nicht "islamkritisch", weil sie so gottlos wären - nein, diese Stiefelwichser sprechen ja von Gott und Vaterland. Aber die intellektuelle Meinungsfreiheitsrhetorik geschieht im Angesicht einer gezielt und stolz zur Schau getragenen Gottlosigkeit. Sie macht deutlich, dass sie nicht an Gott glaubt, dass sie Gemeinde und Kirche für Scheiße hält, würde sich aber selbst nicht für atheistisch bezeichnen, weil die Erwähnung des Wortes so aggressiv wirkt. Jeder darf das natürlich so sehen - muss man es aber so voller Stolz tun, im Ausdruck, besser zu sein als solche, die weiterhin an Gott glauben und Kirche pflegen? Aber die pseudointellektuelle Freiheitsrede sieht nun Menschen, die empfindlich auf religiöse Beschmutzung reagieren und hat helle Freude daran, diese Empfindlichkeiten weiter auszutesten,, auszuloten, anzufachen. Im Namen von westlichen Idealen natürlich - Atheos lo vult! Heißt das übersetzt: Provokation ist eine westliche Errungenschaft? Provokationsfreude und die Überheblichkeit gegen andere Weltanschauungen sind Menschenrechte?
Sie erkennen in diesem atheistischen Eifer nicht, dass der Islam, wie jede Religion, einen modus vivendi darstellt, eine Einrichtung, die das Leben arrangiert und in Rahmen bannt - das kann man gut oder schlecht finden, nicht aber so tun, als sei das rückständig. Alles Zusammenleben von Menschen ist ein irgendwie gesitteter modus vivendi. Wie sich Gesellschaften modifizieren sollen, ist nicht die selbstgegebene Aufgabe so genannter aufgeklärter Gesellschaften, die sich ihren modus vivendi von Religion auf die Ökonomie haben übertragen lassen.
Religion kann viele Götter haben - oder einen, meist den einen Gott. Wer sagt denn, dass sie nicht auch ohne Gott auskommt? In Zeiten von Personalabbau ist auch das denkbar. Religion könnte mit Rückbindung übersetzt werden, wie schon oben erklärt. So waren die Kreuzritter theoretisch an die Ideale rückgebunden, die Bibelexegeten ihnen erläuterten - so sind gläubige Moslems an Suren rückgebunden - Kommunisten, denen man nicht selten religiösen Eifer nachsagte, banden sich bei Marx rück - und der Säkularismus, der Atheismus tut es bei den Idealen, die seit der Französischen Revolution und verstärkt seit Eintritt des Konsumismus in die Welt, Verbreitung fanden. Man braucht keinen Gott, um religiös zu sein - siehe jenes heutige Europa, das provokant und aufgeklärt all jene mit seinem sendungsbewussten Eifer eindeckt, die eine andere Religion besitzen, wie jene, die genehm wäre zu akzeptieren. Polytheismus, Monotheismus, Atheismus - alles Religionen, die einen mit Göttern oder Gott, die andere ohne. Braucht es aber nicht, denn Religion ist nicht gottesfixiert, sie ist genauer gesagt ausgerichtet auf ein Absolutum. Das kann Gott heißen oder Konsum - oder es heißt Gottlosigkeit. Die absolute Gottlosigkeit, die jeden religiösen Aspekt verlacht, ist auch ein Absolutum, auch ein Götzendienst. Die einen stellen sich auf dem Thron einen anthropomorphen Mann vor, die anderen nur einen leeren Thron. Aber der Thron bleibt! Den können sie sich nicht wegdenken, irgendwas bleibt immer absolut im Kopf.
Diese Empfindlichkeit, die Moslems wie alle Religiösen auf Erden zeigen, ist sicherlich teilweise grotesk. Und fremde Spezies, die auf den Erdenball lugen, lachen sicher herzlich über diese aufgebrachte Kreatur Mensch. Aber ihre religiösen Institutionen sind ihnen eben wichtig. Uns sind ja auch Dinge wichtig; wir eifern ja auch, wenn man unsere Heiligen beleidigt und sie zu schnell sterben läßt, dann pilgern wir auch auf Straßen und beweinen Jacko und Witney und wie sie alle heißen, die zur Rechten Mammons sitzen. Und wehe dem, der die Religion verpfeift, einen Elfmeter gibt, der keiner war - aufgebrachte Kreatur Mensch im Stadionrund. Schon mal die aufgebrachten Kreaturen gesehen, die gegen Überfremdung marschieren, die Homosexuelle kriminalisieren, die Sozialgesetze als Stalinismus diffamieren?
Das Säkularisierte ist keine evolutionäre Stufe, die über allem steht, was sonst in der Welt ist. Es ist nur eine Art die Welt zu sehen. Eine, die man durchaus für sich selbst bevorzugen kann und soll - aber keine, die Leviten lesen darf. Sie ist ein modus vivendi, wie in vielen Regionen dieser Welt, andere Modi entstanden sind, um das (Zusammen-)Leben irgendwie zu meistern. Der Atheismus ist insofern ebenso, wie das Säkularisierte, ein Modus, die Welt zu deuten, um in ihr Leben zu können. Theismen benötigen hierzu Gott, die vielen verschiedenen Spielarten des Atheismus - die Polyatheismen - kommen ohne ihn aus. Was man in Europa erlebt, wenn man wie selbstverständlich glaubt, die Provokation sei ein Menschenrecht und die Schmähung anderer Kulturkreise europäische Errungenschaft, die man der gesamten Welt bringen sollte, wie Prometheus den Menschen das Feuer - was man heute in Europa erlebt, das ist der Zorn religiöser Fanatiker ohne Gott, die den Zorn anderer religiöser Fanatiker mit Gott ernten.
Den Film verbieten? Karikaturen unterbinden? Mit dem § 166 StGB drohen? Nein! Verbote sind wahrlich nicht das Mittel. Aber Einsicht wäre notwendig. Bloß die kann man nicht erzwingen, nicht auferlegen. Einsicht, nicht besser zu sein; Einsicht, dass andere Kulturen anders sind, dass ihnen andere Dinge heilig sind. Einsicht: eigentlich etwas, das man dem atheistischen Lebensentwurf, der sich nun den Rechten in ihrem Kampf gegen den Islam zugesellt, attestieren wollte. War doch der Atheismus stets um Einsicht bemüht, forderte er Einsicht vom Theismus ein, um toleriert zu werden. Aus der Einsicht wird nicht selten Eifer, manchmal blinder - und am Ende kasperln sich Atheisten gegen den Islam ab, machen sich zu Steigbügelhalter für die Unfreiheit und meinen auch noch, einen ganz besonders wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Welt geleistet zu haben.


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