Familienzuwachs

Von Turnfieber

So schwer es uns häufig fällt, einen konkreten Wunsch zu äußern, wenn wir nach Geschenkideen für unseren Sohnemann gefragt werden, so konnten wir zu seinem zweiten Geburtstag ganz konkrete Wünsche äußern. Bauklötze, eine Bücher-Schatztruhe und eine Puppe. Ja, ganz richtig gehört, eine Puppe für unseren Sohn.

Puppenspiel

Immer wieder war er in das Spiel mit Puppen vertieft, wenn ich ihn aus der Kita abholte. Und nahezu jeden Mittag zeigte er mit beim Anziehen vor dem Kita-Raum die Puppe seiner guten Freundin, die darauf wartete, mit ihrer Besitzerin auch demnächst abgeholt zu werden. Kaum waren wir bei Freunden angelangt und der kleine Mann entdeckte eine Puppe, nahm er sie auf den Arm und zeigte ihr seine Welt. Bären, Dinos und Giraffen – diese Kuscheltiere wohnen bereits mit ihm in seinem Zimmer. Die mag er auch. Aber niemals haben wir beobachtet, dass er sich so rührend und fürsorglich um eines seiner Kuscheltiere gekümmert hat wie um eine Puppe. 

Stellvertretend wünschten wir uns also von den Flensburger Großeltern eine Puppe zum zweiten Geburtstag. Wir wussten, dass eine Puppe nach Waldorf-Art bei uns einziehen würde. Aber wir hatten keine Ahnung, ob ein kleines Mädchen oder ein Junge fortan bei uns wohnen würde. Ob rote, braune, schwarze oder blonde Haare, ob Rock, Kleid oder Hose – wir waren ahnungslos. Aber die größte Überraschung sollte ohnehin die Reaktion unseres Sohnes sein. 

Anfängliche Skepsis

Die Begeisterung hielt sich zunächst stark in Grenzen. Wer braucht schon eine Puppe, wenn die Oma auch zwei Luftballons mitgebracht hat? Nachdem unser Sohn die beiden „Ballos“ zehn Minuten durchs Wohnzimmer gejagt hatte, da fiel ihm plötzlich auf, dass die Großeltern noch etwas anderes im Gepäck hatten. Karli tauften wir unseren neuen Mitbewohner, den unser Sohn immer noch ziemlich misstrauisch beäugte. 

Gemeinsam mit den Großeltern verließen wir die Wohnung, um fußballspielend durch Parks zu laufen und schließlich in einem Café einzukehren. Unser Sohn war bester Laune – nur im Café ließ er uns seinen Unmut, worüber auch immer, für ein paar Minuten lautstark spüren – und ritt auf Opas Schultern durch die Kölner Straßen. Als wir dann abends zu Hause ankamen, war er ganz aufgeregt als er Karli entdeckte. „Mama, guck da!“ „Papa, da Karli!“ Er freute sich unermesslich über seinen neuen kleinen Freund. Der natürlich mit uns zu Abend aß. Er saß mitten auf dem Küchentisch gegen einen Kürbis gelehnt und aß aus einer kleinen Schale Apfelstückchen. „Karli satt“, stellte unser Sohn fest. Kein Problem, nachdem er aufgegessen hatte, aß er auch noch die Apfelstückchen auf, die Karli nicht mehr geschafft hatte. 

Nachhaltige Begeisterung

Doch nicht nur beim Essen nimmt Karli am Familienleben teil. Unser Sohn setzt ihn auf sein Töpfchen und zeigt ihm, wie er richtig drücken muss. Und der Karli muss wirklich andauernd ein großes Geschäft erledigen. Karli darf aber auch nicht fehlen, wenn der Papa die Gute-Nacht-Geschichte vorliest. Er schläft neben unserem Sohn im „großen Bett“ – das ist eine Matratze, die für uns Eltern neben dem Bettchen unseres Sohnes liegt. Bevor der Vater unseren Sohnemann ins Bett legt, bringt unser Sohn Karli zu Bett. Er legt ihn auf ein Kissen und deckt ihn mit seiner Wolkendecke zu. Dann schlafen Karli und unser Sohnemann gemeinsam ein. 

Treuer Begleiter

Morgens kann es unser kleiner Mann kaum erwarten, Karli lauthals aus seinem Bett zu schmeißen. „Aufstehen, schneller!“, ruft er immer wieder Karli zu. Und dann beginnen die beiden ihren Tag. Aber nur bis wir das Haus verlassen. Denn Karli möchte aus irgendeinem Grund die Wohnung nicht verlassen. Vielleicht ist er noch zu klein für die Kita. Vielleicht möchte unser Sohn ihn aber auch einfach ganz für sich alleine haben. Wir wissen es nicht. Aber wir sind vollkommen überwältigt: Mit so viel Fürsorge hätten wir niemals gerechnet. Er kümmert sich mit so viel Hingabe und freut sich so unermesslich über unseren Familienzuwachs, dass wir fast schon ein schlechtes Gewissen haben, dass wir ihm nicht früher einen Begleiter an seine Seite gegeben haben. Und eine ganz positive Begleiterscheinung konnten wir jetzt schon beobachten: Er erklärt Karli die Dinge, die wir ihm erklären. Karli ist für uns ein ideales Medium, um Regeln und Rituale zu vermitteln. 

Dabei stellen wir Eltern uns immer wieder die Frage: Sehnt sich unser Sohn vielleicht nach einem Geschwisterchen? Oder lebt er gerade nur sein Bedürfnis aus, sich um „jemand“ anderes zu kümmern. Wie dem auch sei, wir werfen alle Klischees über Bord: Puppen sind definitiv Jungskram und können mit Baggern, Piraten und Dinos mithalten.