Familientreffen mit Hindernissen

Erstellt am 16. August 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© NFP, Filmwelt / Julie Delpys Familientreffen, das nicht ganz ohne Hindernisse abläuft.

Erst im Juli dieses Jahres konfrontierte Julie Delpy ihren Neu-Film-Freund Chris Rock mit ihrer französischen Verwandtschaft. Hatte zuvor noch Adam Goldberg in „2 Tage Paris“ die Bekanntschaft dieser illustren Gruppe Europäer gemacht, musste nun Rock das Leid in „2 Tage New York“ über sich ergehen lassen. Familienfreuden sind Delpys liebstes Filmgut. Als Regisseurin ist sie nicht nur für diese beiden kulturellen Aufeinandertreffen verantwortlich, sondern auch für die bereits 2011 gedrehte französische Produktion „Le Skylab“, in Deutschland unter dem Titel „Familientreffen mit Hindernissen“ angelaufen. Der Originaltitel bezieht sich auf die Angst von Delpys Filmfigur Anna, die fest davon überzeugt ist, dass die amerikanische Weltraumstation Skylab über Frankreichs Bretagne abstürzen wird, womit sie bei ihrer Tochter die Angst schürt, dass sie den kommenden Tag alle nicht mehr erleben werden.

Dabei ist es doch so ein schöner Sommertag im Jahre 1979. Die kleine Albertine (Lou Alvarez), in der Pariser Großstadt aufgewachsen, reist mit ihren Eltern Anna (Delpy) und Jean (Eric Elmosnino) an die malerische Atlantikküste. Zum 67. Geburtstag ihrer Großmutter (Bernadette Lafont) finden sich unter deren Dach Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen ein, um zwei schöne Sommertage lang einfach mal auszuspannen. Während die weitverzweigte Familienzusammenkunft bald damit beschäftigt ist, nach Herzenslust zu trinken, zu streiten und zu feiern, unternimmt Albertine zwischen erster Liebe und ersten Liebeskummer eine Reise in die Welt der Erwachsenen.

Lou Alvarez als Albertine

Wenn Julie Delpy etwas als Drehbuchautorin, Regisseurin und Schauspielerin beherrscht, dann ist es die Zusammenkunft verrückter Familien zu inszenieren und dabei keine Rolle zu klein erscheinen zu lassen, jeder Figur einen Moment zu geben, durch den sie in Erinnerung bleibt. So finden sich in „Familientreffen mit Hindernissen“ über ein Dutzend Verwandte bei der Geburtstag feiernden Großmutter ein und wir werden jedes Gesicht in Erinnerung behalten. Sei es der etwas zu hippe Dorfmacho Christian (Vincent Lacoste), der sein Teenager-Dasein durch das Anbaggern von Mädchen und dem heimlichen Rauchen von Zigaretten definiert, in seinen schönsten Filmmomenten hierbei aber eine Schar von Kindern und seine beiden stocksteifen Cousins hinter sich herzieht, wodurch sich seine Coolness immer wieder in Nichts auflöst. Oder aber Denis Ménochet als Roger, der seine Zeit im Krieg vermisst, wo er brutal alles abschlachten konnte und sich in Dörfern die Frauen nahm, die er begehrte. Das er dann auf einmal unten ohne bei der Verwandtschaft durchs Zimmer kriecht, um sein Kriegsverhalten auch in der Zivilisation an den Tag zu legen, wird zu einer verstörenden Episode dieses Familientumults. Natürlich darf, wie in Julie Delpys vorherigen Filmen, auch Papa Albert Delpy nicht fehlen, der seine Erfüllung in der Darstellung verwirrter alter Opas gefunden zu haben scheint. Hier huscht er immer wieder durchs Bild, gießt mit präziser Genauigkeit seine Rosen, trällert fröhlich Lieder vor sich hin, nur um sich im nächsten Moment an einem Selbstmord auszuprobieren, was nur von der jüngsten Gruppe der Familienangehörigen bemerkt wird.

Und hier findet der Film auch seinen Fokus, in den Abenteuern der jungen Generation, allen voran natürlich Albertine, die von ihrer Mutter den Gedanken an die Raumstation Skylab eingepflanzt bekommen hat und diesen Tag lebt, als sei es ihr Letzter. Sie verabschiedet sich liebevoll von ihren Omas, erklärt ihnen, dass man ja nie wisse, ob eine geliebte Person am nächsten Tag wieder aufwache. Ihre charmant-kindliche Todesangst, die mehr amüsant als verstörend wirkt, wird nur durch ihre aufkeimende Liebe zu einem blonden Jüngling gemindert, den sie an einem FKK-Strand in seiner vollen Pracht erblickt und mit dem sie einen ersten Tanz auf einer Fete im Dorf teilt.

Vincent Lacoste als Christian (mitte)

Es ist Delpys Stärke als Drehbuchautorin, ihren Figuren immer gewitzte Dialoge zukommen zu lassen, die sie zumeist schnell abfeuern, ohne Rücksicht auf sonst herrschende Tabuthemen. Hier wird über Liebe und Sex ebenso wild diskutiert, wie über Politik und den Krieg. Nur das Geburtstagskind, Oma Amandine wünscht sich, dass diese Themen an ihrem Ehrentag nicht bei Tisch zu hitzigen Diskussionen führen. Dennoch wirkt „Familientreffen mit Hindernissen“ wie ein Urlaub für Julie Delpy selbst, sie nimmt etwas Rasanz und Esprit aus der Handlung, schafft es nicht das Unterhaltungsniveau auf „2 Tage Paris“ oder dessen Nachfolger anzuheben, bleibt qualitativ aber immer noch weit über anderen Familienkomödien – nicht zuletzt der Hollywood-Versuch mit Ben Stiller und Robert De Niro, der bereits dreimal nicht zünden wollte.

Und am Ende war dann alle Sorge Albertines für die Katz, wenn Skylab am 11. Juli 1979 nicht über der Bretagne, sondern weit entfernt in West-Australien bei Balladonia abstürzt. Immerhin sei dabei ein Mann aufgrund eines Herzinfarkts gestorben. Ansonsten bleibt das Familientreffen unberührt von Skylab, nicht aber von den untereinander stattfindenden Konflikten, die sich durch alle Generationen, von jung bis alt, durch den Film ziehen. Julie Delpy, hier als Kunst liebender Freigeist zu sehen, schafft es dabei erneut, sich als Meisterin im Umgang mit der unkontrollierbar-verrückten – dennoch geliebten – Familie zu beweisen.

Denis Sasse



“Familientreffen mit Hindernissen“