Dass Vendittis Familienleben selten so beschaulich und harmonisch ist wie in der Fernsehwerbung dürften die meisten meiner Leser inzwischen mitgekriegt haben. Oh ja, wir haben sehr wohl unsere Sternstunden – an gewissen Tagen auch nur unsere Sternminuten -, aber die sind so eng verwoben mit dem ganz banalen Alltag, dass man oft erst abends beim Einschlafen erkennt, wie kostbar dieser oder jener Moment war. Nun ja, dann gibt es natürlich auch die Tage, an denen man sich mit Sternsekunden zufrieden geben muss. Es sind die Tage, an denen alles irgendwie so schräg zusammenkommt, dass man nur noch hinter den zusammengebissenen Zähnen hervorpressen kann: „Ich weiss, dass es der richtige Entscheid war, eine Familie zu gründen und ich weiss, dass ich meine Kinder über alles liebe, aber spüren werde ich das alles erst wieder, wenn sie alle schlafen und dieser elende Tag endlich vorbei ist.“ Momentan haben wir das zweifelhafte Vergnügen, gleich mehrere solcher Tage zu erleben.
Die Voraussetzungen sind geradezu perfekt:
- Da wäre erstens einmal diese schwüle Hitze, die sowohl aus Eltern als auch aus Kindern diese einmalige Gereiztheit hervorruft, die man nur hinkriegt, wenn man einerseits wünschte, man könnte das sonnige Wetter geniessen, es aber andererseits keine Sekunde an der prallen Sonne aushalten mag.
- Die Hitze zieht eine bleierne Müdigkeit nach sich, die man nur durch Schlafen kurieren könnte, aber schlafen geht nicht, weder für Eltern noch Kinder. Tagsüber nicht, weil weder bei der Arbeit noch in der Schule die Sommerpause begonnent hat, nachts nicht, weil wahlweise die Mücken summen, der Donner grollt oder das Kind, das es sich im Elternschlafzimmer bequem gemacht hat, einen ständig gegen den Bauch tritt.
Soweit die meteorologischen Bedingungen. Aber Übermüdung alleine reicht noch nicht aus, um den Familienfrieden ernsthaft zu gefährden. Wie hätten wir denn sonst die vergangenen zehn Jahre überstanden? Nein, das Wetter bildet nur die Kulisse zu dem Drama, das sich auf schulischer Ebene abspielt:
- Da wäre zum Beispiel irgend ein sadistischer Bürokrat, der entschieden hat, dass die Sommerferien im Kanton Solothurn erst am 8. Juli beginnen. Und dies, obschon jeder weiss, dass die kindlichen Batterien spätestens am 3. Juli entladen sind.
- „Das Schuljahr ist noch nicht zu Ende, also nützen wir die verbleibende Zeit für ein paar Lernzielkontrollen“, scheint sich die Lehrerschaft zu sagen. „Und wo wir schon dabei sind, könnten wir ja gleich noch einen Elternabend abhalten. Ach ja, und dann veranstalten wir noch ein paar Abschiedsfeste. Aber die Einladungszettel verteilen wir erst ein letzter Minute.“ Und schon bist du eingedeckt mit Lernzielkontrollen, die du noch unterschreiben musst, mit Stundenplänen für das neue Schuljahr und mit Elternbriefen, die über Schulausflüge, Abschiedsfeste, Schulhausfeste und dergleichen informieren. Oh, den Anmeldezettel für das „gesunde Znüni“, dem jeweils ein Franken fünfzig beigelegt werden muss, den darfst du auch nicht vergessen. Und bitte schön in dreifacher Ausführung, denn schliesslich wollen alle drei schulpflichtigen Kinder die letzte gesunde Zwischenverpflegung des Schuljahres bekommen.
- Weil „Meiner“ und ich ein besonderes Flair für stressige Situationen haben, haben wir bei der Familienplanung streng darauf geachtet, dass alle unsere Kinder gleichzeitig einen Lehrerwechsel haben. So kommen wir alle zwei Jahre in den Genuss von Kindern, die einerseits geplagt sind von Abschiedsschmerz, andererseits vor lauter Angst vor der neuen Situation, die sie nach den Sommerferien erwartet, nicht mehr schlafen können. Das bedeutet, dass unser Sofa abends um halb elf noch immer von weinenden Kindern bevölkert ist, die sich zwar inzwischen mir der Hitze abgefunden haben, die aber ihr Schlafmanko weiter kultivieren, indem sie allerlei Ängste und Sorgen dann mit den Eltern besprechen wollen, wenn sie eigentlich darüber schlafen sollten. Und auch wir Eltern arbeiten weiter fleissig an unserer Übermüdung, denn wenn die Kinder erst um elf Ruhe geben, bedeutet das, dass unser Feierabend auch erst dann beginnt und was ist denn schon ein Tag ohne Feierabendlektüre?
Man sieht also, die Schule trägt beträchtlich dazu bei, dass es bei Vendittis nicht allzu harmonisch zu und her geht. Aber weil auch das noch nicht reicht, gönnen wir uns noch ein paar Extras:
- Wir sorgen dafür, dass Luise weder ihre Brille noch ihr Schmusetier finden kann und deswegen vollkommen aus dem Tritt gerät.
- Wir planen noch kurz vor den Sommerferien die alljährliche Vorgeburtstagsparty für den FeuerwehrRitterRömerPiraten. Weil an seinem richtigen Geburtstag alle seine Freunde in den Ferien sind.
- Wir verknurren unsere Kinder dazu, ihre Zimmer aufzuräumen, weil wir nicht wollen, dass sich so kurz vor den Ferien jemand ein Bein bricht, wenn er versucht, sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen.
- Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, was die Lehrerinnen zum Abschied geschenkt bekommen sollen. Denn das Geschenk, das die Kinder zusammen mit ihren Klassenkameraden gebastelt haben, reicht uns natürlich nicht. Was ja auch verständlich ist, wissen wir doch aus eigener Erfahrung, dass Schülergeschenke für den Lehrer etwa die gleiche Bedeutung haben wie der Bonus für den Banker.
- Ich begehe den grossen Fehler, unsere Kinder ausgerechnet jetzt in die hohe Kunst des Monopoly-Spiels einzuführen. Was bekanntlich in keiner Familie ohne Tränen und Streit vor sich geht. Ist ja auch kein Wunder, bei diesem Kapitalistenspiel.
Glaubt mir, wir würden alle ganz furchtbar liebenswürdig und geduldig miteinander umgehen, wenn es denn bloss nicht so heiss wäre. Und wenn bloss dieses Schuljahresende endlich da wäre. Und wenn wir endlich all diese Extras aufgearbeitet hätten. Ach ja, und dann sollten wir auch noch zum Fotografen. Wir brauchen ganz dringend neue Passbilder für die Sommerferien. Das werden bestimmt ganz reizende Familienbilder, fast wie in der Fernsehwerbung…