Fall Kachelmann: Und nun der Frontalangriff auf die Pressefreiheit?

Fall Kachelmann: Und nun der Frontalangriff auf die Pressefreiheit?

© Kreuznacher Zeitung / pixelio.de

Strafverteidiger Johann Schwenn fegt durch das Verfahren Kachelmann: Heute forderte er die Durchsuchung der Redaktionen der Burda-Blätter „Focus“ und „Bunte“, weil diese angeblich Belastungszeuginnen massiv beeinflusst hätten (Klick).

Selbst mir, der ich bisher für die Strategie des Rechtsanwaltes Schwenn grosses Verständnis aufbrachte, war dies zunächst ein wenig unverständlich, denn da gibt es ja den Art.5 Abs.1 S.2 GG, der die Pressefreiheit ausdrücklich schützt. Kann da ein solcher Antrag mehr als „Theaterdonner“ – und womöglich zu Lasten des eigenen Mandantens – sein?

Doch beschäftigen wir uns etwas näher mit den bisher bekannten (und immerhin lediglich durch den Spiegel der kritisierten Presse wahrzunehmenden) Begründungen dieses Antrags:

  1. Zunächst kritisierte der Verteidiger, dass insbesondere die Zeitschrift „Focus“ umfänglich aus den Strafakten zitieren könne; ich gehe davon aus, dass Johann Schwenn vorab geprüft hat, dass das Leck nicht auf Seiten der Verteidigung liegt und lag, und da die Informationen bei der Presse schon vorlagen (einschliesslich Photos vom Tatort), als das Gericht noch nicht die Herrschaft über das Verfahren hatte, kommt eigentlich nur die Staatsanwaltschaft für die Weitergabe der Informationen in Frage. Aber dies kann im Lichte des Art.5 GG ja der Presse egal sein, denn natürlich darf sie sich für ihre Berichterstattung auch dubioser Quellen bedienen – und eine Staatsanwaltschaft wäre eine äusserst dubiose Quelle, wenn sie Zeitungen die Ermittlungsakten eines laufenden Verfahrens zuspielen würde. Insgesamt taugt dies aber alles nicht, um einen solchen Grundrechtseingriff wie die Durchsuchung der Redaktionen der Zeitungen zu rechtfertigen.
  2. Eine Zeugin soll sich nach ihrer Zeugenaussage mit einer anderen Zeugin im Beisein einer Journalistin einer der beiden Zeitungen getroffen haben, bevor diese zweite Zeugin ihrer Aussage gemacht hat; beide Zeuginnen sollen sodann gegen Geld ihre „Storys“ in der Zeitschrift veröffentlicht haben; oh, da wird es schon enger, denn die Pressefreiheit schützt nicht die einseitige Manipulation von Tatsachen, um eine bestimmte Meinung zu stützen, oder, um es etwas wissenschaftlicher auszudrücken, den absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern, zum Zwecke der Erzeugung einer vom Hersteller erwünschten Reaktion, kurz, Propaganda und Pressefreiheit sind schon zwei unterschiedliche Dinge. Und dann, wenn sich Propaganda nur mit der Pressefreiheit bemäntelt, dann wird sie davon nicht geschützt. Hier kommt es sicherlich auf die konkrete Begründung des Strafverteidigers an, die wir nicht kennen. Aber dass hier eine Journalistin die Grenzen der Pressefreiheit austestet – und vielleicht sogar überschreitet -, wenn sie im Rahmen eines laufenden Strafprozesses zwei Zeugin zu einer Besprechung zusammenführt, diesen Prozess moderiert und dann auch noch für eine entgeltliche Veröffentlichung sorgt, dürfte nicht zu weit gegriffen sein, insbesondere dann nicht, wenn es sich bei den Zeugenbefragungen um nichtöffentliche gehandelt hat und deswegen die zweite Zeugin Informationen erhalten haben kann, die öffentlich nicht zugänglich waren.
  3. Und dann ist da ja noch die mysteriöse schweizer Zeugin, die jetzt plötzlich auftaucht, die aber nicht vor einem deutschen Gericht aussagen will, und die nach unseren spärlichen Erkenntnissen ja bisher auch nicht im Wege einer Rechtshilfe vernommen werden soll; da verwundert doch zunächst wieder das unwidersprochene Zitieren des Inhalts von Telefonaten zwischen dieser Zeugin und der Staatsanwaltschaft, welches mir aber eher  Sorgen um ein rechtsstaatlich einwandfreies Verhalten der Staatsanwaltschaft  bereitet als um ein Fehlverhalten der Presse (auch dubiose Quellen darf man nutzen….); doch darüber hinaus ist es mehr als befremdlich, wen diese Aussage praktisch über diese Zeitungen in den Prozess gelangen! Und wenn dann Herr Rechtsanwalt Schwenn meint, diese Zeugin könne von den Zeitungen beeinflusst, geführt und bezahlt sein: nun ja, der Anzeichen gibt es schon eine Reihe.

Abschliessend stellt sich schon die Frage, wo auch in einem solchen Strafprozess, bei dem der Angeklagte vielleicht kein Kämpfer für die Informationsfreiheit ist wie ein anderer Prominente, der sich gerade mit einem Vergewaltigungsvorwurf auseinandersetzen muss, die Pressefreiheit aufhört und die einseitige Beeinflussung der Wirklichkeit ausserhalb des grundrechtlichen Schutzes anfängt.

Ich gehe stark davon aus, dass das Landgericht Mannheim seiner Linie treu bleibt und den Antrag der Verteidigung (wie bisher praktisch alle dortigen Anträge) zurückweist. Aber spätestens seit den Enthüllungen von WikiLeaks wissen wir, dass man langfristig praktisch nichts mehr geheimhalten kann – und wenn sich tatsächlich später herausstellt, dass Rechtsanwalt Schwenn mit seinen Anschuldigungen gegen bestimmte Presseerzeugnisse Recht hat, dann wird die Pressefreiheit einen grösseren Schaden erleiden als sie es durch eine Durchsuchung von Redaktionsräumen jemals hätte nehmen können.


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