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Wer mich kennt, der weiss, dass meine Station als Referendar bei der Staatsanwaltschaft durchaus traumatische Erlebnisse beinhaltete – aber keine Angst, sie beeinträchtigen mich bis heute nicht in meiner laufenden Erinnerungsfähigkeit, denn zum damaligen Zeitpunkt war ich schon eine durchaus gefestigte Persönlichkeit, und die Traumatisierungen waren auch nicht so schlimm, als dass der Therapeut Günter Seidler sie heute oder damals hätte erschnüffeln können. Von weitergehenden sachverständigen Explorationen kann also abgesehen werden, und in die Tiefen der Traumatologie kann und will ich mich nicht herab bewegen.
Aber es war doch ein Art „juristischer Kulturschock“, den ich dort erlebt habe, und der in mir nach Abschluss der dortigen Zeit eines Gewissheit werden liess: in diese „objektivste Behörde der Welt“ willst Du ganz sicher nicht noch einmal gelangen. Und es hatte definitiv nichts mit Strafrecht an sich zu tun, denn die nachfolgende Phase in einer Jugendstrafkammer wiederum gehört zu der interessantesten (und emotionalsten) Zeit meines Referendariats.
Es war aber auch krasse Gegensätze zwischen dem Zivilgericht und der StA: die erste Station verbrachte ich beim Amtsgericht, und dort geriet ich an eine der feinsten Ausbilderinnen, die man sich nur wünschen kann; die dortige Richterin war zuvor viele Jahre in einer grossen Strafkammer gewesen (nach meiner Erinnerung sogar als Vorsitzende) und hatte eine Reihe von menschlich sehr aufwühlenden Prozessen miterlebt. Ihr Mann war beruflich äusserst erfolgreich – was eine grosse finanzielle Unabhängigkeit für sie mitbrachte – und so hatte sie sich entschlossen, an das Amtsgericht zu wechseln, um weniger exponiert ihrer Passion, der Juristerei, nachgehen zu können. Für einen jungen Referendar also ein Traum: eine höchst eloquente Frau mit grossem juristischem Wissen und noch grösserer Lebenserfahrung, die mir damals die richterliche Unabhängigkeit in bestem Sinne des Wortes vorlebte – und von der ich viel gelernt habe.
Hinzu kam, dass es zu dieser Zeit einen ausgesprochen netten und fachlich hoch qualifizierten Arbeitsgemeinschaftsleiter am dortigen Landgericht gab (der heute Vorsitzender Richter einer Kammer ist), und der mir zusätzlich aufzeigte, wie fachlich hochstehend und menschlich unabhängig der Richterberuf ausgeübt werden kann. Kurz: im Nachhinein waren diese Monate in der Zivilgerichtsbarkeit eine echte Bereicherung für mich, nicht nur fachlich, sondern durchaus auch menschlich.
Und dann die Staatsanwaltschaft: nichts war es mehr mit Unabhängigkeit, alles war in ein enges Behördenschema gedrängt – und Vieles war dabei so ermüdend geregelt, das es jedenfalls mir grauste; bis heute läuft es mir noch kalt den Rücken herunter, wenn mich jemand an die zu erlernende „Verfügungstechnik“ erinnert – und über die internen Witzchen (zB. diejenigen über das sogenannte „Zaubermäntelchen“, also die in der Hauptverhandlung zu tragenden Roben) kann ich bis heute nicht wirklich lachen. Und dies war noch eher die harmloseren Widrigkeiten…
Sicherlich, Vieles mag dabei an mir gelegen haben: ich habe mein Berufsziel eben völlig anders interpretiert – und tue es bis heute: zur Rechtsanwendung gehört für mich auch immer eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit im Denken, nur dann kann Lebenserfahrung und Augenmass sich entfalten, und nur dann kann sich Recht weiterentwickeln und sich neuen Lebenswirklichkeiten sowie veränderten Sachverhalten anpassen.
Aber wieso schreibe ich das Alles unter der an den berühmten Satz aus „Forrest Gump“ angelehnten Überschrift? Nun, dann komme ich mal zu dem, was mich damals besonders gestört hat, und vielleicht ist es ja auch anderen Referendaren so gegangen.
In der Ausbildung bei der Staatsanwaltschaft darf man ja den Sitzungsvertreter „spielen“ (ernst genommen wird man in dieser Funktion sowieso nicht…), und vorher bekommt man genaue Vorgaben, was man am Ende als Sanktion im Plädoyer zu beantragen hat – natürlich streng ausgerichtet an der Aktenlage. An dieser Stelle möchte ich nicht die Frage erörtern, was dies dann noch mit dem Unmittelbarkeitsprinzip zu tun hat, sondern die Folgen schildern, die das in der Praxis hat (und die ich bis heute nun von der anderen Seite des Tisches manchmal belustigt, oftmals verärgert bewundern darf): häufig ergibt sich nämlich in der mündlichen Verhandlung etwas ganz Anderes als das, was in den Akten steht – und ein Anwalt würde und müsste darauf reagieren; doch die Reaktion nicht nur der Referendare, sondern häufig auch der Staatsanwälte, die die Sitzungsvertretung innehaben, ist in der Regel eine ganz andere: in bester Forrest-Gump-Manier ziehen sie ihren Stiefel durch, und so dünn die Beweislage auch sein mag, trotzdem erfolgt der Antrag auf Verurteilung, sozusagen nach „ehemaliger“ Aktenlage. Manchmal kann das Gericht zwar einen der Referendare dazu überreden, doch noch einmal telefonisch mit dem ausbildenden Staatsanwalt telefonisch Rücksprache zu halten, aber auch dort passiert es nicht zu selten, dass das Ergebnis lautet:
„Lauf, Staatsanwalt, lauf!“
Ja, ich weiss, es gibt auch andere Staatsanwälte, solche, die zugunsten des Angeklagten tätig werden, die beide Seiten sehen, die auf die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung reagieren, sachgemässen Einstellungen zustimmen oder sogar Freisprüche beantragen – und dies sind meistens diejenigen Staatsanwälte, die ihren Beruf lieben, so, wie ich den meinen liebe und so, wie dies sicherlich auch viele Richter mit dem ihren tun. Diese sind dann auch die, die die Rolle des Verteidigers richtig einordnen können und mit denen ein Umgang „auf Augenhöhe“ möglich ist. Aber, und damit kommen wir jetzt zum Fall Kachelmann, die beiden Akteure aus der Zaubermantelfraktion in Mannheim scheinen zu der erstbeschriebenen Gruppe zu gehören, denn nach ihrem sich aus den Medien ergebenden Verhalten und ihren eigenen Zeugenaussagen, so wie man sie in der Presse nachlesen kann, muss man wohl festhalten, für sie gilt ebenfalls das Motto:
„Lauf, Staatsanwalt, lauf!“
Nehmen wir exemplarisch den Bericht der renommierten Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen über die Zeugenvernehmung der Anklagevertreter als Ausgangspunkt (Klick):
Ausgangspunkt war, dass Herr Oberstaatsanwalt Gattner und Staatsanwalt Lars Torben Oltrogge während ihrer Ermittlungen feststellten, dass die Nebenklägerin massiv gelogen hatte. Gattner selbst bezeichnete diese Erkenntnis ausdrücklich als wesentlich und Oltrogge sagte wörtlich: “Wir hatten die Lügen der Frau schwarz auf weiß“. Sie befragten die Zeugin intensiv, sie wiesen sie mehr als einmal darauf hin, dass sie bei einer Falschaussage in „Teufels Küche“ kommen könne, sie konfrontierten sie sogar mit den Erkenntnissen, aus denen sich ihre Lügen zwingend ergaben – und trotzdem leugnete sie weiterhin hartnäckig – bis zu einer Unterbrechung der Vernehmung und einer damit einhergehenden Beratung mit ihrem Rechtsanwalt.
Erst dann räumte sie die Lügen ein, aber nur genau diejenigen, die ihr die Staatsanwälte zweifelsfrei nachweisen konnten – bei ihren Aussagen hinsichtlich der angeblichen Verwendung eines Küchenmessers, auf dem sich zur Überraschung der Sachverständigen keinerlei zuweisbare Spuren befunden haben, und bei dem Verlauf der angeblichen Vergewaltigung, den sich die Sachverständigen auch nicht erklären können, blieb sie weiterhin.
Jeder Mensch, und nicht nur ein juristisch vorgebildeter, hätte sich nach meiner Einschätzung an dieser Stelle zwingend eine Frage gestellt: darf man einen Menschen wie Herrn Kachelmann weiterhin seiner Freiheit berauben und in Untersuchungshaft belassen, wenn die einzige Belastungszeugin – was wichtige Teile ihrer Aussage betrifft – massiv und hartnäckig lügt?
Hand aufs Herz, zu welchem Ergebnis wären Sie gekommen?
Nun, das OLG Karlsruhe traf hierzu kurz darauf unter ausdrücklicher Berufung auf die Lügen der Nebenklägerin eine eindeutige Aussage: Nein, bei dieser Sachlage ist der mutmassliche Täter aus der Untersuchungshaft freizulassen (auf einige weitere, durchaus wichtige Aussagen des Senats komme ich noch zurück, versprochen!).
Aber das Motto unser beiden Staatsanwälte?
„Lauf, Staatsanwalt, lauf!“
Denn fassen wir kurz die Hauptaussagen der Herren aus der Anklagefraktion, so wie man sie der Presse entnehmen konnte, zusammen:
- Auf die Frage, welche Gedanken man sich um das Verfahren je nach Ausgang des Verfahrens gemacht habe: “Wir haben uns viele Gedanken gemacht, denn diese Erkenntnisse, die man durch die Auswertung des Computers gewonnen hatte, waren ja ganz wesentliche! Aber wir hatten schon vor der Vernehmung das Ergebnis festgelegt. Diese Erkenntnisse bedeuteten nach unserer Auffassung nicht, dass insgesamt eine Falschaussage vorliegt.“ Eine wörtliche Aussage des Oberstaatsanwalts Gattner, von Frau Friedrichsen zitiert.
- Gattner weiter: auch das auffällige Verhalten der Frau in der Vernehmung ändere an dieser Auffassung nichts, eine Freilassung des Angeklagten sei nicht in Erwägung gezogen worden.
- Eine Belastungstendenz und eine Motivation für eine Falschaussage konnten die beiden Staatsanwälte in dem hartnäckigen Lügen der Zeugin ebenfalls nicht sehen.
- Und der Zeugin sagten die Staatsanwälte sogar zu, dass Herr Kachelmann nach ihrer Zeugenaussage nicht freigelassen werde.
Markige Ausführungen, oder? Im ersten Augenblick ist man darüber doch schon bass erstaunt (ich jedenfalls war und bin es bis heute), aber auf den zweiten Blick passt es schon in das Bild, denn das ganze Verfahren macht den Eindruck, als habe das Ergebnis – jedenfalls für die Staatsanwaltschaft – von Anfang an festgestanden und sämtliche Veränderungen der Sachlage würden an den beiden dort tätigen Herren abperlen wie Regentropfen an den Gummistiefeln.
Aber hat dies noch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, und kann ein Vertreter der „objektivsten Behörde der Welt“ eine solche Zeugenaussage dann auch noch ernsthaft dahingehend kommentieren, der Vorwurf, die Mannheimer Staatsanwaltschaft habe im Fall Kachelmann nicht objektiv, sondern einseitig zum Nachteil ermittelt, sei an diesem Verhandlungstag eindeutig widerlegt worden?
Ich gebe zu, solche frank und frei mitgeteilten Überlegungen von Anklagevertretern lassen bei mir (aber vielleicht nicht nur bei mir) schon Zweifel aufkommen, ob dort bei der Staatsanwaltschaft Mannheim die Unschuldsvermutung als fundamentaler Grundsatz eines Rechtsstaats genügend verinnerlicht wurde; und es besteht bei mir auch die Sorge, dass Herr Oberstaatsanwalt Gattner und Herr Staatsanwalt Lars Torben Oltrogge im Fall Kachelmann nicht genügend darüber nachgedacht haben, was eigentlich die Unterschiede sind zwischen einem Anfangsverdacht, einem hinreichenden Tatverdacht, einem dringenden Tatverdacht und der zur Verurteilung erforderlichen mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit.
Immerhin konnte das OLG Karlsruhe (ich wollte ja darauf zurückkommen), welches Herrn Kachelmann nach seiner Befassung eilig auf freien Fuss setzte, diese wohl krasse Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft (und, was die Sache nicht besser macht, auch des jetzt immer noch tätigen Landgerichts Mannheim) korrigieren – und begründete die Freilassung des Herrn Kachelmann gerade mit denjenigen Fakten, die die beiden Staatsanwälte nicht wahrhaben wollten:
- hartnäckiges Lügen der Anzeigeerstatterin.
- Belastungstendenz und Motivation zur Falschaussage bei der Anzeigeerstatterin.
- unklare Beweislage bzgl. der Fremdbeibringung der Verletzungen.
All dies kann man in der Pressemitteilung des OLG Karlsruhe nachlesen:
„Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.“ (Klick)
Und alle diese Zweifel, die für das OLG Karlsruhe den dringenden Tatverdacht entfallen und damit den Weg zu einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung noch weiter werden liessen, haben sich inzwischen nicht nur massiv verdichtet, sondern sind sogar noch um einen weiteren Punkt ergänzt worden: denjenigen der fehlenden Spuren auf dem angeblichen Tatwerkzeug, dem Küchenmesser. Aber trotzdem machen die Staatsanwälte unbeirrbar weiter:
„Lauf, Staatsanwalt. lauf!“
Gut, ich kenne die Akten nicht, aber die Zeugenaussagen der beiden Herren sind schon sehr verräterisch – und geradezu haarsträubend sind ihre handwerklichen Fehler: den Staatsanwälten war bewusst, dass sie einer Hauptbelastungszeugin klare Lügen eindeutig und zweifelsfrei nachweisen können – und trotzdem (so bestätigten sie in ihrer Vernehmung) vernahmen sie die Frau ohne Tonband, ohne Video, sie diktierten noch nicht einmal wörtlich, sondern nur „abschnittsweise“; jeder Polizeibeamte käme bei so einer Ermittlung tatsächlich in die von Herrn StA Oltrogge beschriebene „Teufels Küche“. Doch warum diese handwerklichen Fehler – ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Hoffen wir, dass wenigstens die zuständige Kammer des Landgerichts Mannheim sieht, dass es in einem Strafprozess eben darum geht, dem Angeklagten den Vorwurf tatsächlich nachzuweisen und nicht, wie ebenfalls aus der Staatsanwaltschaft Mannheim durch Presseberichte kolportiert wird: es stehe 50 : 50, was eine Verurteilung oder einen Freispruch betreffe. Dies, meine Herren, reicht jedenfalls nach meiner Einschätzung in keinem Fall zu einer Verurteilung.
Deswegen seien die nun anstehenden Wochen der Prozesspause der Staatsanwaltschaft Mannheim durchaus zum Nachdenken empfohlen, wenn sie nicht ihre Selbsteinschätzung, nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten, sondern objektiv ermittelt zu haben, nicht noch weiter ad absurdum führen will.