Fall der 3 %–Hürde zur EU-Wahl: Zeichen von mehr Demokratie

An und für sich ist es ein Armutszeugnis, wenn Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD, angesichts der Stärkung der Demokratie durch das BVerfG, vor “Splitterparteien und radikalen Kräften” im EU-Parlament warnt. Der Mann hat offenbar massive Demokratiedefizite, weil er einerseits den Wählerwillen missachten will und andererseits die Alt-Parteien monopolisieren will.

Nach dem Demokratie-Urteil des BVerfG wird sich vielmehr zeigen, ob die Wähler ein Stück weit ihre Politiker-Verdrossenheit aufgeben, weil sie jetzt ALTERNATIVEN in das EU-Parlament wählen können.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die EU dringend reformbedürftig ist. Die Euro- und Bankenkrise hat jedenfalls viele ökonomische Verwerfungen und kriminelle Handlungen der Finanzwelt aufgedeckt. Zu den “Bubenstücken” der letzten Jahre gehörte es, die unbeteiligten Normalbürger für das kriminelle Handeln der Eliten in der Gesellschaft verantwortlich zu machen und das toxische Spielbank-Vermögen der oberen Zehntausend in der Gesellschaft zu schützen.

Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als “alternativlos” dargestellte EU-Politik war und ist geradezu ein Schlag in das Gesicht der Bürger, die noch an Rechtsstaat und Demokratie geglaubt hatten.

Mit einer schnellen Handbewegung wurde beispielsweise die “No-Bailout-Klausel” des Lissabon-Vertrages weggefegt und die EZB kauft die wertlosen Dreckspapiere der Banken und anderen Finanzinstitute auf, weil die Politik in der EU und der sie dominierenden Staaten wie Deutschland und Frankreich jämmerlich versagt hat. Die Bürger in der EU werden diese Zeche in den nächsten Jahren zu bezahlen haben.

Der Euro, einhergehend mit der Niedriglohnpolitik in Deutschland, hatte unabweisbar zur nachlassenden Konkurrenzfähigkeit einer Reihe von EU-Ländern beigetragen, daran kann es nach makroökonomischer Analyse (siehe unter Anderem die Aufsätze von Prof. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker) keinen Zweifel geben. Und wer diese empirische Analyse gar als “rechtspopulistisch” einordnen will, der kann politisch an und für sich nicht mehr ernst genommen werden.

Richtig ist vielmehr, dass mit Begriffen wie “Rechtspopulismus” und “Euro-Gegner” das Versagen der Alt-Parteien sowie der EU-Bürokratie seit Einführung des Euro zugedeckt werden soll. Denn die volkswirtschaftlichen Analysen lagen bereits vor Einführung des Euro vor; zu erinnern ist unter Anderen an den vor wenigen Wochen verstorbenen Prof. Dr. Wilhelm Hankel, der sogar noch vor wenigen Monaten ein Buch veröffentlicht hatte, in dem er volkswirtschaftliche Lösungen für den Euro aufzeigt (Titel: Die Euro Bombe wird entschärft).

Jens Berger von den NachDenkSeiten schreibt zum Zustand der EU bzw. zur mangelnden Kritikfähigkeit folgendes:

“Einer der größten Fehler der Eliten war es stets, den gesunden Menschenverstand des Volkes zu unterschätzen. Der deutsche Minirentner ahnt genau so wie der arbeitslose spanische Jungakademiker, dass etwas faul im Staate Europa ist. Ein Europa, dass den Menschen keine Hoffnung mehr geben kann, taugt nicht als ideologischer Kitt – schon gar nicht, wenn es auf ein bloßes Glaubensbekenntnis reduziert wird.”

Auch die noch (medial) heftig geführte Debatte bezogen auf die Freizügigkeit in der EU und der jüngsten Volksabstimmung in der Schweiz zeigt auf, dass die Medien und die Eliten in der Politik immer noch nicht bereit sind, über die WAHRHEITEN zu diskutieren!

Und zur Wahrheit gehört es, dass die global agierenden Konzerne die Freizügigkeit gefordert hatten, auch um das “Lohn- und Gehaltsgefälle” zur Gewinnmaximierung zu nutzen. Hochqualifizierte Arbeitnehmer wurden systematisch aus den Unternehmen herausgedrängt; sie wurden durch “Billig-Importe” aus den EU-Ländern oder Ländern außerhalb der EU ersetzt. Die Methode erstreckte sich dann nach und nach auf normale Arbeitsplätze. Das Ziel der Unternehmen war es, das Lohnniveau um 30 % bis 40 % abzusenken und die Stammbelegschaft auf ein Minimum zu reduzieren.

Dass nicht nur die unmittelbar betroffenen Bürger in den EU-Ländern nach und nach merken, dass diese Politik immer breitere Schichten der Bevölkerung in die Armut treibt, nur damit eine Reihe von KONZERNEN bzw. die dahinter stehenden Anteilseigner aus der Finanzwelt die Gewinne maximieren können, die sie noch nicht einmal in dem EU-Land versteuern, das die Leistung erbringt, liegt nahe.

Es sind die Bürger in der unmittelbaren Wohnumgebung, die den Zuzug in die Sozialsysteme aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien erleben und die Konsequenzen auszubaden haben. Und dazu gehört nicht nur die ansteigende Kriminalität.

Merkwürdig nur, dass die vorhersehbaren Entwicklungen durch die Alt-Parteien nicht vorhergesehen wurden. Es wurden weder Mittel für die besonders betroffenen Kommunen von vornherein bereitgestellt, noch Behörden und Polizei angemessen mit Personal ausgestattet.

Es gehört anscheinend zum Selbstverständnis des “neoliberalen Zeitgeistes”, dass einerseits die KONZERNE und Finanzeliten kontinuierlich gefördert werden, während die Bürger mit den Konsequenzen dieser Politik zurückgelassen werden. Da klingt jede hochjubelnde Festtagsrede zu Europa wie ein Hohn, weil das bisher geschaffene Europa der 28 Länder nicht den BÜRGER in den Mittelpunkt der EU-Politik stellt, sondern die durch zigtausende Lobbyisten vertretenen und durchgesetzten Interessen der KONZERNE und der dahinter stehenden Anteilseigner aus der Finanzwelt.

Die Kritik der EU-Politik der letzten 20 Jahre hat Anne Dufresne in einem LMd-Dossier: Löhne und Gerechtigkeit zutreffend beschrieben:

Union der Lohndrücker

Der EU geht Produktivität über alles

von Anne Dufresne

“Der jüngste OECD-Bericht dokumentiert in dramatischen Zahlen die zunehmende Konzentration von Vermögen. Der obszöne Unterschied zwischen der Masse der Einkommen und den Bezügen von Spielern im globalen Finanzcasino verletzt das Gerechtigkeitsempfinden, höhlt die Integrationskraft der Gesellschaft aus und untergräbt das Fundament der Demokratie. Viel Geld in wenigen Händen, das bedeutet freilich auch Treibstoff für jenen Turbokapitalismus, den inzwischen selbst dessen ehemalige Verfechter als systemische Gefahr sehen. Die neuen Finanzmarktprodukte konnten nur entstehen, weil gigantische Vermögen rund um die Welt nach immer höheren Renditen jagen. Diese vagabundierenden Geldmassen vergiften das System und erzeugen eine spekulative Blase nach der anderen; die jüngste treibt weltweit die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Die Krise macht also die Einkommensgerechtigkeit zu einer Grundsatzfrage. Damit wird die Lohn- und Steuerpolitik zu einem zentralen Instrument der Krisenbekämpfung. Wichtiger als das Verbot toxischer Finanzprodukte ist deshalb die Abschöpfung toxischer Einkommens- und Vermögenblasen. Und die Umwandlung ihrer zerstörerischen Energie in sinnvolle gesellschaftliche Investitionen.”

Die Autorin beschreibt mit diesen wenigen Zeilen bereits, was der “neoliberale Zeitgeist” in der EU angerichtet hat, der sich die Eliten in den Alt-Parteien quasi “untertan” gemacht hat.

Deshalb bedarf es dringend einer Neuorientierung in der EU und in den EU-Ländern. Der Fall der von den Alt-Parteien gesetzten 3 % – Hürde ist ein Stück demokratischer Widerstand. Mit dem Urteil des BVerfG wird den Wahlbürgern die Möglichkeit eröffnet, mehr demokratischen Widerstand zu leisten, indem auch neu auftretende oder kleinere Parteien im Parlament angehört werden müssen. Ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Zur Klarstellung: Das BVerfG hat im Sinne der BÜRGER entschieden, nicht im Sinne der Alt-Parteien, die zudem kaum noch unterscheidbar sind. Auch vor diesem Hintergrund braucht es dringend neues Personal, das sich selbstbewusst einbringt und sich auch den neoliberalen Medien widersetzt.

Für eine grundlegende Demokratisierung der EU, die den Bürger in den Mittelpunkt der Politik stellt!

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