Emergenza
Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat sich für eine rezeptfreie Abgabe der Pille danach ausgesprochen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht »keine medizinischen Argumente für eine Rezeptpflicht« und schließt sich damit der Meinung des Bundesrats an, der bereits im November für eine Aufhebung der Rezeptpflicht gestimmt hatte. Leider muss sich weder das Gesundheitsministerium noch der Bundestag an diesen Expertenrat halten, dafür platzte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, sofort medienwirksam mit der Erklärung heraus, diese Expertenmeinung sei »das falsche Signal«. Er hatte zuletzt im Februar von sich reden gemacht, als er auf Twitter erklärte, die Pille danach seien nun mal »keine Smarties« – ein Satz, der von Frauenverachtung nur so strotzt, in dem er Frauen unterstellt, dass sie nicht in der Lage seien, mit Verhütungsmitteln, ja mit ihrem eigenen Körpern verantwortungsvoll umzugehen, wenn dieser Zugang nicht patriarchal von Männern wie Jens Spahn kontrolliert wird.von Mira Siegl
Eine Presseerklärung voller neokonservativem Blödsinn
Tatsächlich ist die Pille danach in den meisten europäischen Ländern rezeptfrei und sogar die WHO, die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt den rezeptfreien Zugang zu ihr, da sie, erwiesenermaßen, die Abtreibungszahlen senkt. Verhütungspannen passieren und auch Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, sind froh, schnell und unkompliziert Zugang zu der Pille danach zu haben, die verhindert, dass sich eine befruchtete Eizelle einnisten kann.
Nun wundert es nicht, dass sich die Junge Union in einer Presseerklärung vom 15.01. mit einer von konservativem Blödsinn und Unwissenheit nur so strotzenden Aneinanderreihung von Nichtfakten als das outet, was sie ist: Ein neokonservativer Verein, der Frauenrechten entgegensteht. Jede Frau, die die CDU wählt, verrät sich selbst.
Polemische Lügen
So behauptet die Junge Union, dass die Rezeptfreiheit zu einer Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen führe – und das steht natürlich der konservativen Ideologie einer christlichen Partei entgegen. Man möchte diese Leute fragen, ob sie denn dieses Ding namens Internet kennen, denn dann wüssten sie, dass das falsch ist. Zahlreiche Studien belegen das genaue Gegenteil. Aber weiter im Text, denn es wird noch besser, die Junge Union findet an der Pille danach nämlich noch so einiges, was mit ihren Grundsätzen nicht vereinbar ist:
In diesem Zeitraum ist in vielen Fällen bereits ein lebensfähiger Embryo gezeugt. Solche Frühabtreibungen sind mit den Grundsätzen der Jungen Union nicht vereinbar
http://www.junge-union.de/aktuelles/und-bdquo-pille-danach-und-ldq/
Fail! Liebe Junge Union. Unter euren Eltern sind doch sicher einige Ärzte, die euch das mit der Empfängnis erklärt haben, oder? Die Pille danach, vor allem die Variante mit dem Wirkstoff Levonorgestrel, wirken nur innerhalb der ersten 72 Stunden. Die medizinische Beschreibung ist »befruchtete Eizelle«, die den Eileiter entlangwandert, nicht »lebensfähiger Embryo«, den es ohnehin nicht gibt, da man von einem »lebensfähigen Fötus« erst ab der 24. Schwangerschaftswoche spricht. Von »Frühabtreibungen« kann keine Rede sein, dass dieser Begriff hier eingeführt ist, ist allerdings kein Versehen, sondern Absicht. Indem behauptet wird, die Pille danach sei ein Abtreibungsmittel, wird polemische Hetze gegen den rezeptfreien Zugang zu ihr betrieben.
Welche unerforschten Nebenwirkungen?
Weiter behauptet die Junge Union, die Pille danach habe bisher unerforschte Nebenwirkungen. Tatsächlich gibt es den Wirkstoff Levonorgestrel bereits seit den 1960er Jahren auf dem deutschen Markt. Seine Nebenwirkungen sind sehr gut erforscht. Wovon die Junge Union nicht spricht, sind die Nebenwirkungen, die eine ungewollte Schwangerschaft auf das Leben einer Frau hat. Es ist nämlich nicht so einfach, gerade in ländlichen, katholisch geprägten Gebieten an die Pille danach zu kommen. Dort ist, um an das Rezept zu kommen, eine vaginale Untersuchung durch einen Gynäkologen notwendig, den es zum Beispiel nachts, wo ja die meisten Verhütungspannen passieren, nur im Krankenhaus gibt. Katholisch geführte Krankenhäuser dürfen, wegen der strikten Antihaltung der Kirche zu Verhütung, aber keine Pille danach verschreiben, Versorgungsauftrag hin oder her und da spielt es auch keine Rolle, ob die Frau gerade vergewaltigt wurde oder in einer Notsituation ist. Gottes Schöpfungsplan wird durchgeführt – wen interessieren da schon so irdische Belange? Ein Mädchen, das die Pille danach braucht, muss sich als an das Krankenhaus wenden, sich dort von der Rezeption bis zur Krankenschwester bis zum Gynäkologen erniedrigenden Fragen stellen und verliert im Zweifelsfalle wertvolle Zeit. Denn, je später die Pille danach eingenommen wird, umso geringer ist ihre Wirkkraft. Weiß das die Junge Union auch? Oder ist ihr das schlicht egal?
Ein Angriff auf unsere Freiheit!
Pro Familia spricht sich bereits seit 2012 für den rezeptfreien Zugang zur Pille danach aus. Das sind übrigens diejenigen, zu denen die Frauen kommen, die einen sogenannten Beratungsschein für eine straffreie Abtreibung brauchen. Also die, bei denen das mit der Pille danach nicht geklappt hat. Die weniger würden, gäbe es die Pille danach rezeptfrei. Lediglich der Berufsverband der Frauenärzte springt der Jungen Union bei – kein Wunder, sie verdienen nicht schlecht an den Untersuchungen und Verschreibungen und gehören sicher auch zum Wählerstamm.
Die Pille danach muss endlich rezeptfrei werden, es gibt keine medizinisch haltbaren Gründe, sie unter Rezeptfreigabe zu stellen, die einzigen Gründe, die vorgetragen werden, sind die einer konservativen Ideologie, in der man glaubt, sich in die intimsten Belange von Frauen einmischen zu dürfen und dies mit sogenannten christlichen Werten zu rechtfertigen, in der man Frauen für unfähig erachtet, über ihre Leben selbst zu bestimmen und sie am Ende dafür bestraft, dass sie diejenigen mit der Gebärmutter sind, über die Staat und Kirche gleichermaßen bestimmen wollen. Wir sind zurück in den 1950er Jahren. Es sind eben jene christlichen Werte, die sich am Ende einen Dreck um alleinerziehende Mütter und ihre verarmten Kinder kümmern. Die Junge Union sollte das »jung« aus ihrem Namen streichen. Neokonservativ würde besser passen. Traurig ist, dass es still bleibt, in den Netzwerken, in den Feuilletons, auf den Straßen. Diese Presseerklärung, die Weigerung, die Pille danach rezeptfrei zu machen, ist ein Angriff auf unsere Freiheit als Frauen. Wir sollten uns dagegen wehren und der Jungen Union, der CDU, dieser Regierung zeigen, dass ihr Denken nicht mehr zeitgemäß ist. Wir wollen die Pille danach. Rezeptfrei. Jetzt. Es gibt keinen akzeptablen Grund mehr, sie uns zu verwehren.
[Erstveröffentlichung bei Die Freiheitsliebe]