Frauen sind häufiger von Tieflöhnen betroffen als Männer: Sieben von zehn Personen, die weniger als 22 Fr./Stunde verdienen sind Frauen. Besonders krass ist die Benachteiligung der Frauen unter jenen Personen, die trotz einer Lehre nur einen Tieflohn verdienen. Frauen würden damit viel stärker von einem Mindestlohn profitieren als Männer. Mindestlöhne sind damit ein effizientes Instrument gegen die Lohndiskriminierung der Frauen.
Durchsetzung der Lohngleichheit nur im Schneckentempo
Seit Jahrzehnten ist in der Bundesverfassung der Grundsatz « Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit » verankert. Seit 17 Jahren ist das Gleichstellungsgesetz in Kraft. Mit der Durchsetzung der Lohngleichheit hapert es jedoch gewaltig, Fortschritte erfolgen im Schneckentempo. Die Zahlen der letzten Lohnstrukturerhebung (LSE 2010) bestätigten einmal mehr den Handlungsbedarf: Frauen verdienen noch immer 18.4% (LSE 2008 19.3%) weniger als Männer.
Die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen beruht einerseits auf objektiv erklärbaren Faktoren wie Unterschiede bei Alter, Ausbildung, Dienstalter, Tätigkeitsbereich usw. Anderseits ist der Unterschied aber auch auf unerklärte, diskriminierende Faktoren zurückzuführen. In der Privatwirtschaft beträgt der diskriminierende Anteil am Lohnunterschied 37.6%. Konkret heisst das: Weil das Gesetz nicht eingehalten wird, haben Frauen im Durchschnitt pro Monat 677 Franken weniger im Portemonnaie. Seit neuestem wissen wir auch wie viel dies insgesamt ausmacht: Wie der Bundesrat im Mai vermeldete, entgingen den Frauen im Jahr 2010 aufgrund der Lohnungleichheit 7,7 Milliarden Franken! Je nach Branche variieren die einzig vom Geschlecht abhängigen Anteile an den Lohndifferenzen zwischen 13,5 und 87 Prozent.
Mindestlöhne als Mittel gegen Lohndiskriminierung
Die Lohndiskriminierung dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Frauen überdurchschnittlich stark von tiefen Löhnen betroffen sind. Während bei den Männern mit Lehrabschluss der Tieflohnanteil bei 5,6 Prozent liegt, betrug er bei den Frauen im Jahr 2010 mit 15,7 Prozent fast drei Mal so viel. Von einem Tieflohn wird nach internationalen Standards gesprochen, wenn ein Lohn in einem Land weniger als zwei Drittel des mittleren Lohnes beträgt (Medianlohn von Privatwirtschaft/Bund). In der Schweiz liegt diese Schwelle derzeit bei 3986 Franken pro Monat.
Anteil TieflöhnerInnen mit Lehrabschluss
Quelle: Lohnstrukturerhebung BFS 2010, Berechnungen: OUE, Universität Genf
Nach Branchen betrachtet ist das Problem im Detailhandel am grössten. In dieser Branche arbeitet fast jede fünfte arbeitstätige Frau. Dabei verdienten rund 40‘000 Frauen aus dem Verkauf im Jahr 2010 weniger als 22 Fr./Stunde. Im Detailhandel sind deshalb korrekte Mindestlöhne, wie sie die Mindestlohn-Initiative fordert, dringend nötig. Sie würden einen bedeutenden Teil der Lohndiskriminierung eliminieren, da vor allem Frauen vom Tieflohnproblem betroffen sind. Zwar hat im Detailhandel der diskriminierende Anteil am Lohnunterscheid zwischen Männern und Frauen von 2008 bis 2010 um 4 Prozentpunkte abgenommen. Mit einem Anteil von knapp 50 Prozent an der Lohndifferenz ist aber die Diskriminierung nach wie vor hoch. Sie entspricht 633 Franken.
Der Handlungsbedarf bei den Frauenlöhnen ist seit Jahren belegt. Handeln ist umso dringender, als die Frauen die Auswirkungen der Lohnungleichheit und der tiefen Löhne im Alter mit tiefen Renten ein zweites Mal deutlich zu spüren bekommen. Der Mindestlohn treibt die Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern voran. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde garantiert rund 230’000 Frauen – Verkäuferinnen, Coiffeusen, Spitex-Angestellten, Floristinnen, Uhrenarbeiterinnen und vielen mehr – eine Lohnerhöhung.
Ein solches «Lohnanpassungsprogramm» für Frauen gab es noch nie!
Anzahl Frauen mit Löhnen unter 22 Franken nach Branche (ohne Land- und Hauswirtschaft)
Quelle: Lohnstrukturerhebung BFS 2010, Berechnungen: OUE, Universität Genf
Das will die Initiative für den Schutz fairer Löhne
Nur die Hälfte der Arbeitnehmenden ist in der Schweiz durch einen Mindestlohn geschützt. Denn es gibt zu wenige Gesamtarbeitsverträge mit verbindlichen Lohnuntergrenzen – vor allem weil sich viele Arbeitgeber weigern, solche Verträge abzuschliessen. Deshalb haben die Gewerkschaften die Mindestlohninitiative eingereicht.
Diese Volksinitiative verlangt, dass der Bund und die Kantone die Festlegung von Mindestlöhnen in GAV fördern müssen.
Als unterste Absicherung für alle ArbeitnehmerInnen verlangt die Initiative darüber hinaus einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde. Dies entspricht derzeit bei 12 Monatslöhnen rund 4000 Franken im Monat[1]. Das sind 61% des Medianlohns (mittlerer Lohn) aller Arbeitnehmenden (Privatwirtschaft, Bund, Kantone/Gemeinden) in der Schweiz[2]. Der Mindestlohn wird regelmässig an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst, analog zur AHV-Rente. Erwerbstätige mit besonderen Vertragsformen wie Lehrlinge oder Personen in anderen Ausbildungen (PraktikantInnen) sind ausgenommen. Die genaue Definition des Mindest-Stundenlohnes wird Aufgabe des Parlaments sein.
Von einem gesetzlichen Mindestlohn von 22.- Franken würden in der Schweiz rund 330’000 Arbeitnehmende profitieren, d.h. etwa 9% aller Arbeitnehmenden[3]. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Jüngere in einer Übergangssituation: Vier von fünf Betroffenen sind über 25 Jahre alt. Etwa ein Drittel verfügt über eine abgeschlossene Berufslehre. Besonders profitieren würde Frauen, aber auch über 100’000 Männer.
[1] Gerechnet bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden.
[2] Der gesetzliche Mindestlohn in der Türkei beträgt 71% des Medianlohnes, derjenige in Frankreich 60%, derjenige in Neuseeland 59%
[3] Die rund 330’000 profitierenden Arbeitnehmenden würden Lohnerhöhungen zwischen 1 und 20% erhalten, im Durchschnitt etwa 15%. Die Lohnsumme der Gesamtwirtschaft müsste damit um nur gerade 1,5% erhöht werden.