Die Klagen über den angeblichen Fachkräftemangel in der ITK-Branche nehmen unter den entsprechenden Experten derzeit schon hysterisch zu nennende Töne an – die Forscher vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und des IT-Verbands Bitkom haben ausgerechnet, dass diese Branche jährlich Verluste von 11 Milliarden Euro erleide, weil 38.000 Stellen nicht besetzt werden könnten. Die schädlichen Auswirkungen auf andere Branchen seien da aber noch nicht mit eingerechnet. 2011 zählte die ITK-Branche in Deutschland rund 858.000 Beschäftigte.
Besonders übel sei das in der Software-Entwicklung, wo 84 Prozent der Stellen nicht besetzt werden könnten, in Marketing und Vertrieb fehlten 50 Prozent der Fachleute, in der IT-Beratung bei 36 Prozent und im IT-Support und der Internet-Administration immerhin noch 20 Prozent. Der Wissensverlust durch fehlende IT-Experten stelle eine ökonomische Bedrohung für Unternehmen dar, denn viele Unternehmen müssten deshalb lukrative Aufträge ablehnen und trotzdem noch mit überlastetem Personal arbeiten, das am Ende auch noch wegen Burnout ausfällt.
Da wird sich die deutsche ITK-Wirtchaft sicherlich über die Nachricht freuen, dass der größte Computerhersteller Hewlett-Packard demnächst 27.000 Fachkräfte vor die Tür setzt. Der US-Konzern macht derzeit deutlich weniger Gewinn als zuvor und muss sparen – und wo spart ein modernes Unternehmen als erstes? Genau, an den Mitarbeitern. Schlecht läuft es derzeit auch für den anderen großen US-Computerbauern Dell, so dass dort sicherlich bald auch die eine oder andere Fachkraft frei gesetzt werden wird.
Weil nicht davon auszugehen ist, dass Apple trotz seines aktuellen Erfolgstripps mit iPhone und iPad sämtliche frei gewordenen Fachkräfte einstellen wird, wird da schon die eine oder andere Fachkraft für den deutschen Markt übrig bleiben, denn unser Nachwuchs ist schließlich zu doof. Außerdem wird in den deutschen Konzernen ja ohnehin ein grauenhaftes Denglisch gesprochen, so dass es gar nicht schlecht wäre, wenn der eine oder andere Nativespeaker das Sprachniveau auf die Höhe bringt.
Die Unternehmen müssen dann aber einen selbstproduzierten Mangel beheben und die so sehr benötigten Fachkräfte erst mal anständig bezahlen. Denn laut einer Umfrage der Personalberatung ManPowerGroup fühlt sich die große Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer einfach zu schlecht bezahlt. 65 Prozent der Befragten meinen, dass sie nicht leistungsgerecht bezahlt würden. Außerdem findet in den meisten Unternehmen keine bewusste Förderung der Arbeitnehmer statt, weshalb die meisten Mitarbeiter auf Positionen vor sich hinarbeiten, mit denen sie eigentlich unzufrieden sind. Wer seine Situation verbessern will, muss also Job, genauer: den Arbeitgeber wechseln.
Und genau da liegt auch die Schwierigkeit, weshalb die Leute dann am Ende doch im ungeliebten Job bleiben: Weil es überall so mies ist, finden die meisten, die einen besseren Job suchen, gar keine passenden Angebote. Und wenn es mal einen interessanten Job gibt, ist er am Ende genau dort, wo man nicht unbedingt hin möchte – und so fügt man sich in sein Schicksal und macht halt weiter. Denn allein die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz kostet ja auch Zeit und Nerven.
Vielleicht stecken die Fraunhofer-Forscher ihren Auftraggebern einfach mal, dass sie wohl die falschen Erwartungen an ihre Fachkräfte haben, wenn die denn so schwer zu bekommen sind. Genau wie die Arbeitnehmer mit blöden Jobs und schlechter Bezahlung zufrieden sein sollen, müssen die Arbeitgeber ihre Anforderungen an die tatsächliche Lage anpassen. Den jungen, dynamischen, vielsprachigen, genau mit den gerade geforderten Fachkenntnissen ausgestatteten Teamplayer, der sich gut durchsetzen kann und dem Chef die Gedanken aus dem Kopf liest, um sie geschwind die jeweils geforderten Lösungen zu verwandeln, gibt es nicht. Ich kenne sogar ausgebildete Informatiker, die einfach keine Lust haben, unter den von der Branche gebotenen Bedingungen zu arbeiten und jetzt mit anderen Tätigkeiten ihr Geld verdienen. Genau wie ich auch ausgebildete Ingenieure kenne, die keinen Job mehr kriegen, weil die jugendlichen Chefs von IT-Start-Up-Firmen lieber Leute in ihrer Altersgruppe einstellen. Wer älter als 45 ist, wird in der ITK-Branche doch nicht mehr eingestellt – höchstens als Geschäftsführer, aber doch nicht als Fachkraft.