Nachdem ich bereits versucht habe, die aktuellen Auswirkungen der Finanzkrise auf die Arbeitnehmer und deren Rechte in einzelnen Euro-Ländern kurz zu skizzieren, möchte ich ergänzend noch auf einen Hintergrundartikel von Theo Wentzke hinweisen. Dieser ist unter dem Titel Sachverwalter des Kapitals in der jungen Welt erschienen.
Wentzke erklärt, wie es kommt, dass die immer wieder beschworene Zweieinigkeit von Demokratie und Marktwirtschaft im Krisenfall keineswegs selbstverständlich ist – wenn es um Geld geht, dann wird die Demokratie mal eben abgeschafft, um dem Wahlvolk die alternativlose Sanierung der Staatsfinanzen aufzuzwingen. Deshalb haben Griechenland und Italien bereits Expertenregierungen installiert, die nun dafür sorgen, dass die Staatsfinanzen saniert werden, was nur um den Preis von Massenarmut und Elend zu haben ist. Im Gegensatz populistisch agierenden Politikern, sind die Experten mit ihrem ökonomischer Sachverstand hervorragend dazu geeignet, den Leuten die unausweichlichen Maßnahmen nahezubringen – gegen soviel Vernunft kommt das Wahlvolk nicht an. Und sicherheitshalber setzt man in den genannten Fällen auch gar nicht mehr auf die Vernunft der Wähler.
Vor diesem Hintergrund bekommt dieser merkwürdige Spruch, der dem designierten Generalsekretär der FDP angesichts des verdienten Wahldesasters seiner Partei entfahren ist, noch einmal einen anderen Klang. Patrick Döring klagte nämlich, dass das Welt- und Politikbild der Piratenpartei, aber beispielsweise auch von Stuttgart-21-Gegnern, von der Tyrannei der Masse geprägt sei. Mit Massenandrang haben die Experten von der FDP auch keine Probleme und sind deshalb gar nicht gut auf das blöde Wahlvolk zu sprechen, das lieber christlich-konservative Landesmütter und zottelige Dilettanten wählt, als liberale Politprofis, die wissen, wie man mit Geld umgeht. Die tyrannische Masse will davon aber nichts wissen – sie glaubt, dass es doch auch um andere Dinge gehen müsse. Beispielsweise um Demokratie.
Nun halte ich das Wahlvolk, so bedauerlich das ist, auch nicht für das intelligenteste – allein schon der Glaube, dass man mit dem Wahrnehmen des demokratischen Wahlrechts tatsächlich so etwas wie eine Regierungsverantwortung wahrnehmen oder gar ausüben würde, ist reichlich naiv und keineswegs zutreffend. Wenn die Piraten das mal transparent machen würden, könnte ich anfangen, sie gut zu finden. Ein Wähler tut schließlich nichts anderes, als den zur Wahl stehenden Herrschern aus dem politisch-industriellen Komplex mit seiner aktiven Kreuzabgabe zu bestätigen, dass er sich auch künftig unter deren weisen Ratschlüsse beugen werde – durchaus mit Zähneknirschen und gelegentlich auch nur unter lautstarkem Protest. Aber auch das ist eine Bedeutung von Tyrannei der Masse, ganz jenseits von Laptop, Webcam und Internet.
Wer zur Wahl geht bestätigt in erster Linie, dass er alles schon gut findet, wie es derzeit eingerichtet ist – und da findet sich noch immer eine Mehrheit. Dabei ist in der Praxis auch völlig nebensächlich, ob die Typen von FDP da oben noch mitspielen dürfen oder nicht. Werden sie demnächst halt gegen ein paar Langhaarige mit Kopftuch und Latzhose ausgetauscht. Oder, wenn sonst nichts mehr geht, gegen ein paar Technokraten, die es halt richten müssen, wenn das herkömmliche Politpersonal nicht durchsetzungsfähig genug ist für die notwendigen Reformen zur Erhaltung der Kapitalmacht.
Warum die aber dermaßen notwendig sind, erklärt Theo Wenztke in seinem Artikel. Und wer bis zum Ende durchhält, kann sich über die Ironie freuen, dass die EU sich demnächst vermutlich etwas einfallen lassen müssen wird, wenn die Demokratie verstärkt in Konflikt mit der eigentlichen Staatsräson der freien Marktwirtschaft gerät: Denn wenn das Fußvolk auf der Straße auf die Idee kommt, dass ihm angesichts seiner eigenen Pleite der Staatsbankrott doch egal sein kann, wird es vielleicht doch noch mal interessant mit der Demokratie.