Support: Frank Powers
Muffathalle, München, 21. November 2017
Bevor wir mit der amtlichen und in diesem Falle vollumfänglich zutreffenden Lobhudelei beginnen, zunächst noch ein, zwei Sätze aus der beliebten Kategorie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“: Es wird einige (männliche) Geschlechtsgenossen geben, die die Welt seit Erscheinen des Debütalbums von Julian Pollina aka. Faber als ungerechter denn je empfinden, ein Gefühl, das mit dem gestrigen Abend eher noch drängender geworden ist. Der Junge aus Zürich hat auf diesem bekanntlich über ein Dutzend Lieder versammelt, die sich einen Dreck um politische Korrektheit und sonstige Empfindlichkeiten scheren, angefüllt mit allerlei obszönem Vokabular, das überall sonst den Empörungsbarometer sofort in den Grenzbereich katapultiert (kann man das eigentlich jugendgefährdend nennen, wenn die Jugend selbst solche Texte ausgelassen mitsingt?) – von Behutsamkeit, neuzeitlichem Frauenverstehertum, übertriebener Vorsicht nichts zu hören. Was anderen also um die Ohren gehauen wird, erntet hier begeisterten Applaus? Noch dazu sieht der Kerl nicht mal aus wie ein Posterboy und darf sich trotzdem, auch in München, verzückte Zurufe samt Kinderwunsch anhören. Konfrontiert man Frauen mit derlei verzweifelten Fragen, erntet man nicht selten ein geringschätziges Lächeln, das nichts anderes meint als: Oh Mann, du verstehst es einfach nicht. Verrückte Welt, verdammt!
Weil aber diese Welt gerade nichts weniger braucht als weinerliche Lamentos, wenden wir uns besser den erfreulichen Seiten des Abends zu. Vielleicht missverstehen manche den Jungen wegen eben jener wunderbar ungeschönten Poesie als wehleidiges, selbstgerechtes Arschloch (wahrscheinlich legt er’s gerade darauf an, sicher ist’s ihm halbwegs wurscht), auf der Bühne jedoch steht ein sympathischer, durchaus charmanter und manchmal auch ein wenig unbeholfen wirkender junger Mann mit einer beeindruckenden Präsenz und einer Stimme, zu der schon so viel gesagt ist und die einen doch immer wieder auf’s Neue umhaut. Ebenso wie seine Mitstreiter der grandiosen Goran Koç y Vocalist Orkestar Band, ein verwegner Haufen leidenschaftlicher Alleskönner, angefangen beim sprilligen Goran Koç an Klavier und Quetschkommode, dem Bassisten und Cellisten Janos Mijnssen, Max Kämmerling mit Gitarre und Darbuka (der einen umjubeltem, schwyzerdütschen Auftritt bei “Alles Gute” hat) und dem Vierschröter Tillmann Ostendarp an Schlagwerk und Posaune. Alle mit sichtbarem Spaß bei der Sache, um keinen Jux verlegen und in der Lage, die große Halle in Nullkommanix in ein schaukelndes Narrenschiff zu verwandeln.
Tatsächlich ist es so, daß gerade der nicht übermäßig komplizierte, spelunkenhafte Sound der Kapelle live das Zeug zum Aufputschmittel hat, also ohnehin schon famose Stücke wie “So soll es sein”, “Nichts”, “Wem du’s heute kannst besorgen” und “Es könnte schöner sein” noch eine Euphoriestufe höher heben kann und mit ausgelassenen Soli veredelt. Die tiefschwarze Seite (resp. Seele) Pollinas wird dabei nicht vergessen, sondern eher unterstrichen, wenn das Spießbürgertum Amok läuft, auf dem Straßenstrich die letzte Hoffnung vor die Hunde geht und jeder, der noch halbwegs bei Trost ist, sich lieber in die trügerische Heimeligkeit des Kaminfeuers verkriecht. Pollinas ganzer Körper ist dann ein einziges Vibrieren – selbst wenn er im Scherz meint, es tue ihm gut, mal zwei Stundes alles herauszuschreien, ahnt man doch, wie wichtig es ist, diesen Gefühlsstau in seinen Songs aufzulösen. Und was für eine Herausforderung es ist, das allabendlich vor tausenden Menschen zu tun. Das Traditionelle, Berechenbare ist ihm, für einen Schweizer überraschend genug, so verhasst wie die oberflächliche Beliebigkeit, “Bleib dir nicht treu!” appelliert er mit Nachdruck. Wer ihm zuhört dabei, kommt nicht umhin, ein paar Verletzungen oder leidlich verheilte Narben zu vermuten, seine Musik berührt und bringt mit etwas Glück im Innersten etwas zum Schwingen, das sich sonst nur selten hervorwagt.