„Sei ein Faber im Wind“
(Universal)
Manchmal, wenn der Bildungsbürger in uns seinen Auslauf braucht, kann man schon mal großzügig Leine geben, er meint es ja nicht so. Hier jedenfalls, bei Julian Pollina, schleppt er gleich zwei Kunstfiguren an, die den Vergleich antreten wollen, beide allerdings müssen wir nach kurzer Besichtigung wieder nach Hause schicken. Der eine, vom fabelhaften Klaus Wennemann verkörpert, ein deutscher Fernsehkommissar aus den 80ern, wie auch Pollina eine wahre Dreckschnauze, aber eben deutlich älter und aus komplett anderem Milieu. Der andere wenigstens aus der Feder des Paradeschweizers Max Frisch, aber durch und durch verkopft und verklemmt und am Ende seiner Karriere mit einem Berg von Problemen, die dem jungen Liedermacher gänzlich fremd sein sollten. Kein Vergleich also zur Hand.
Tatsächlich fallen einem nicht viele Menschen ein, mit denen Pollina, noch keine fünfundzwanzig, sich messen ließe. Die Sache mit dem Alter und der Stimme ist ja nun schon ausreichend gewürdigt worden, die Menge an Alkohol und Nikotin, mit der man einen solche Gerbung, einen solchen Klang erzeugen könnte, möchte man ihm nun wahrlich nicht wünschen. Trotzdem gelangt der Vortrag auf dem vorliegenden Debüt so herrlich versoffen und abgelebt, daß man fast geneigt ist, von einem Naturtalent zu schwärmen. Wäre all das, wovon er singt, nicht so tragisch und bitter. Denn viel zu lachen hat der Faber nicht, seine Zeilen stecken voller Zynismus, Weltenekel und großer Traurigkeit und die Antwort auf die Frage, was einen jungen Menschen so böse klingen läßt, wird nicht jeder hören wollen.
Zur Musik, die klingt, als wäre sie einem Emir-Kusturica-Streifen entsprungen, die selber torkelt, schimpft und um sich schlägt, teilt er mächtig in alle Richtungen aus und schont dabei sich selbst nicht und keinen anderen. „Ein Leben mit mir ist ein Leben allein“, so früh schon ein so trostloses Geständnis, und trotzdem rührt’s einen, wie er sich zum Bruder der Unverstandenen, Einsamen, der Gebrochenen und Wehrlosen macht. Und keilt gegen die Selbstgerechtigkeit der Spießer, Meinungspfleger und Rechthaber. Mit Worten, die in ihrere Direktheit manchmal schwer zu ertragen sind und mit political correctness nur entfernt etwas zu tun haben.
Doch: Wer auf Sympathien aus ist, der singt nicht vom Straßenstrich, von der Verwahrlosung, von angezündeten Heimen und kenternden Flüchtlingsbooten, der benennt nicht derart schonungslos die eigene Verzweiflung und Überforderung. Pollina aka. Faber will anecken, provozieren, wachrütteln und dazu ist ihm sprachlich jedes Mittel recht. Vielleicht klingt das anmaßend und neunmalklug, sicher ist auch Arroganz im Spiel. Aber wem es nicht die Kehle zuschnürt, wenn er Anklage, Bitternis und Liebesschwüre in ein einziges Lied („In Paris brennen Autos“) packt, der hat verdammt mal kein Herz, ja noch nicht mal eins verdient. Wer Schmerzen spürt, so sagt man oft, ist wenigstens noch am Leben – das Album ist der Finger in der Wunde, die sich Gesellschaft nennt. http://www.fabersingt.com/