Fabelwesen

Nummer 13 aus dem Hause der Motorenschmiede Eggers.

“Nino.”

So stellt er sich mir vor, behält seine Mundwinkel jedoch unten. Ich denke zuerst, er vermeidet ein Sympathielächeln aufgrund seiner stolzen Arroganz, eruiere dann aber schnell, dass es ihn erhebliche körperliche Überwindung kostet, mir ein Grinsen zu schenken. Ihn umgibt ein unangenehmer Geruch aus Maßlosigkeit und Exzess, seine farblosen Augen werden fast von seinen verquollenen Tränensäcken versteckt und seine Stimme klingt, als müsse sie erst durch ein brüchiges verkalktes Rohr fließen, bevor sie einen Klang austönt. Das ist also Nino. Es gibt ihn tatsächlich. Ich habe bisher immer nur gedacht, er wäre eine einzige Lüge. Ein Wunschtraum aller Nachtschwärmer dieser Stadt, ein Mythos und eine Müllhalde, geeignet für alle erdenklichen Rauschgifte dieser Welt.

Nino

Nino

Ich stehe etwas verängstigt vor ihm, da ich, trotz aller negativer Vibes, die er aussondert, einen erfürchtigen Respekt vor ihm habe. “Ich mag deine Fresse nicht. Wieso grinst die so dumm?” Nach dieser Frage zieht eine heftige Angst über mein Ego und es lässt mich mit diesem Fabelwesen alleine, das plötzlich grinsen kann. Glücklicherweise steht Robert noch neben mir und ist Kommentare wie diese bereits von ihm gewöhnt. “Komm schon, Nino. Alexander ist ein Freund von mir. Der ist harmlos.” Dass Robert gerade gelogen hat, ist mir durchaus bewusst, verstaue diese Faktizität dann aber rasch in der Unwichtigkeitsschublade meines Erinnerungsvermögens. Freund bin ich nicht, harmlos schon eher.

Meine Nervosität nimmt trotzdem nicht ab und ich trinke meinen Whisky mit hoher Geschwindigkeit leer, als würde ich das jeden Tag tun. Es schmeckt fürchterlich nach einer Mischung aus Erbrochenem und purem Alkohol. Schwierig ist es vor allem, dabei sein Gesicht nicht zu verziehen, sonst werde ich gleich nochmal von Nino beleidigt und das will ich nicht. Hinzu kommt der Gedanke, dass ich die Plörre liebend gerne auf schnellstem Wege wieder auskotzen möchte, mich aber nicht traue, da ich nun zu null Prozent peinlich sein muss.

“Willst du noch was trinken?”, fragt mich der Mythos. Ich nicke etwas kindlich verschämt, halte diese Reaktion jedoch für professionell, weil sie ihn keinesfalls zu einer Meinungsverschiedenheit herausfordert. Er wird mich mit Sicherheit für schüchtern, verklemmt oder im schlimmsten Falle für sozial inkompetent halten, sieht mich dafür aber nicht als Gefahr. Immer wenn er mich gerade nicht anschaut, mustere ich seinen gesamten Körper von oben bis unten, wenn nicht sogar noch von innen nach außen. Er hat einen verflucht breiten Hals. Der sieht verdächtig nach Baumstamm aus und ist auch genauso profiliert, ähnlich eines Autoreifens. Sehr hässlich, denke ich mir und fühle mich gleich wunderschön, beinahe makellos.

Ich schätze Nino auf Anfang fünfzig. Während ich mich, hoffentlich unauffällig, um meine eigene Achse drehe und den Altersdurchschnitt aller anwesenden Personen schätzungsweise ermittle, gehe ich fest davon aus, dass er der Älteste in diesem Raum ist. Also was will er eigentlich hier? Einen kurzen Moment später greift mir Robert an meine Schulter. “Wir sind gleich zurück”, sagt er und schaut mich noch nicht einmal dabei an. Alleine stehe ich mit meinem leeren Whiskyglas an der Wand und bemerke, dass meine Ohrenentzündung soeben ihren Heilunsprozess begonnen hat. Eine Frage lassen Nino und Robert jedoch zurück. Warum koksen sie ohne mich? Nino ist sicher nicht der richtige Name dieses obskuren Typen. Er hat einen dunklen Hautton, wobei ich mir seiner Herkunft trotzdem nicht bewusst bin. Hauptsächlich gehe ich davon aus, dass er Portugiese oder Grieche ist, vielleicht aber auch Italiener, Spanier, Argentinier oder Peruaner. Auf jeden Fall irgendwas Südländisches.

Was ich noch über ihn erfahren habe, ist, dass er weder Führerschein noch Facebook hat und, soweit ich vermuten kann, auch keine Freunde. Moment mal… Keinen Führerschein? Ich frage jemanden, der ich nicht bin, nach seiner Auskunft, fest davon überzeugt, er könne mir eine Antwort replizieren.

“Keinen Führerschein oder keinen Führerschein MEHR?”

Er meint, ich könne die Wahrheit nur ermitteln, wenn ich dem Geheimnis in Eigenregie auflauere. Na gut, denke ich mir und mache meine Schaulustigkeit zur Mission des Abends.

Lale Nikki Eggers

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