Experimenter
7BiopicEbenso wie gutes Schauspiel verkörpern gute Experimente Wahrheiten, soll Stanley Milgram gesagt haben. Dem Vordenker auf Wahrheitssuche ist das Biopic Experimenter gewidmet.
Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, um „ganz normale Durchschnittsbürger“ zu grausamen Folterknechten ihrer Mitmenschen zu machen, wie schon so oft in der Menschheitsgeschichte geschehen? Wann sind wir bereit, unsere eigenen ethischen und moralischen Grundsätze über Bord zu werfen? Der Sozialwissenschafter Stanley Milgram hob Anfang der 1960er an, auf diese und viele andere Fragen Antworten zu finden. Sein Mittel zum Zweck: Experimente mit menschlichen Probanden. Das bekannteste ist das nach ihm benannte „Milgram-Experiment“, in dem die TeilnehmerInnen in einer gestellten Testsituation anderen Personen vermeintlich Elektroschocks bei Falschantworten versetzen. Das Experiment ist auch den meisten Nicht-PsychologInnen bzw. –SoziologInnen bis heute ein Begriff und ebenso zeitlos ist sein Ergebnis, nämlich dass die meisten Menschen zu für sie selbst unbegreiflicher Grausamkeit gegenüber anderen fähig sind, sofern sie von einer übergeordneten Autorität dazu animiert werden.
Hier setzt Experimenter an, zeichnet den Verlauf der umstrittenen Versuchsreihe nach, den harschen Gegenwind und die Kritik, die Milgram dafür seitens der Wissenschaftscommunity, und nach der Veröffentlichung der Ergebnisse auch aus der Öffentlichkeit, erlebte. Der Film endet aber nicht hier, sondern verfolgt die Karriere des unnachgiebigen Forschers weiter, der, als perfider Spielmeister einerseits, als wissbegieriger und nüchterner Betrachter andererseits, bis zu seinem frühen Tod 1984 menschliche und soziale Verhaltensweisen mithilfe von Experimenten verschiedenster Art zu ergründen versuchte.
Von wissenschaftlicher Neugierde beseelt und mit einer stoischen Sachlichkeit, die leicht mit Indifferenz verwechselt werden könnte, wird Milgram dabei gezeichnet. Dass der Wissenschafter nicht als außer der Gesellschaft stehender, klinischer Beobachter menschlicher Verhaltensweisen, sondern als lebender und fühlender Mensch erscheint, ist vor allem Peter Sarsgaards reduziertem Spiel zu verdanken, der mit feiner Klinge die wenigen emotionalen Ausbrüche des Protagonisten eindrücklich darstellt. Dagegen bleibt der restliche Cast eher blass und auch wenn hier schauspielerisch fast durchwegs überzeugende Leistungen geboten werden (allen voran Winona Ryder als Milgrams Ehefrau), so bleiben die restlichen Charaktere doch eher Projektionsfläche für den Protagonisten, anstatt als eigenständige Persönlichkeiten auftreten zu dürfen.
Stilistisch ist das Biopic ein ungewöhnlicher Film, der von einer sprunghaften Erzählweise über beiläufige Dekonstruktionen der filmischen Kulissen mit surreal-metaphorischen Momenten bis hin zum Durchbrechen der vierten Wand, also der direkten Ansprache des Publikums, mit einigen irritierenden Elementen aufwartet. Schnell wird dabei klar, dass es dem Regisseur Michael Almereyda hier um viel mehr als die bloße Nacherzählung der spannenden Lebensgeschichte geht. Der Ansatz einer Relativierung der eigenen Position, sowohl jener der Beobachter, als auch der der Akteure, ist dabei ein interessanter, der die Objektivität des filmisch abgebildeten ebenso der kritischen Auseinandersetzung ausliefert, wie er die Frage nach der Komplizenschaft des scheinbar unbeteiligten Publikums aufwirft. Die vielen irritierenden Elemente führen aber auch leicht zu einem Gefühl von Verlorenheit inmitten der Sprengsel aus wissenschaftlichen Ergebnissen, Charakterstudien und metaphorischer Überladung – ein Wirrwarr aus dem heraus man zwischendurch oft nur mühsam den suchenden Blick nach dem roten Faden richten kann.
Das Werk als sperrig zu bezeichnen, wäre wohl zu weit gegriffen, eine etwas zu überkandidelte Stilistik bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Charakterzeichnung macht es aber auch nicht gerade sehr zugänglich. Auch ohne den Film gesehen zu haben, wird einem bei einer Beschäftigung mit der Materie schnell klar, dass die vielen Fragen, die Milgram mit seiner Arbeit erst diskussionsfähig gemacht hat (und von denen jene nach der eigenen Handlungsweise vor dem Schaltpult vielleicht noch die am wenigsten interessante ist), nach wie vor hochaktuell und diskurswürdig sind. Als Annäherung an eine außergewöhnliche Persönlichkeit und collagenhaftes Gesamtkunstwerk mit Schönheitsfehlern bietet Experimenter aber einige gute Denkansätze und ist in dieser Hinsicht mindestens ein durchaus probates Mittel zum Zweck.
Regie und Drehbuch: Michael Almereyda, Darsteller: Peter Sarsgaard, Winona Ryder, Anton Yelchin, John Leguizamo, Anthony Edwards, Filmlänge: 98 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’15, experimentermovie.com
Autor
Karin GaschAufgabenbereich selbst definiert als: Zwielichtaufsuchende mit Twilight-Phobie. Findet "Ours is a culture and a time immensely rich in trash as it is in treasures" (Ray Bradbury) zeitlos zutreffend.
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