Der Irrtum gewisser philosophischer Gedanken, die sich „existenzialistisch” nennen, hängt unter anderem mit der Tatsache zusammen, dass die Begriffe „existieren” und „leben” verwechselt werden. Diese Verwechslung hat fatale Folgen: das „Existieren” bekommt auf diese Weise einen ausschließlich „Erscheinungsmäßigen” Charakter, und da jeder Begriff eines Urgrundes entfällt, führt die Tatsache, dass die Existenz nur sich selbst will, zu einer kategorischen und nicht nur scheinbaren Sinnlosigkeit. (Das erinnert etwa an die Vorstellung eines körperlichen Auges, das sich selbst sehen könnte).
Auch das „Leben” selbst muss dann absurd und sinnlos werden. Und doch ist dieses „Leben”, obwohl sinnlos, hier die Hauptsache: „Handlung”, „Tun”, „persönlicher Einsatz” werden hier zu geradezu dogmatischen Forderungen. Das Entfallen des Prinzips führt logischerweise zu diesem qualvollen Dualismus, der den Menschen buchstäblich in Stücke zerreißt.
Unterscheidung
Kommen wir auf die Unterscheidung von „existieren” und „leben” zurück und auf die Grenze, welche wir zwischen diesen beiden Begriffen gezogen haben. Wir hatten festgestellt, dass diese Grenze innerhalb des Raumes der Handlung selbst verläuft, im Rahmen der Handlungen, die dem vegetativen Leben in mir oder meiner ich-bezogenen Selbstbestätigung zugutekommen. Betrachte ich diesen Sachverhalt In Bezug auf mein psychologisches Bewusstsein, so sieht es zunächst so aus, als ob der Begriff „existieren” eine unbewusste Seite — die vegetativen Erscheinungen — und eine bewusste Seite — die Handlungen, welche meinem vegetativen Leben dienen — enthielte.
Betrachte ich die Sache näher, so bemerke ich, dass diese Handlungen nicht minder unbewusst sind als meine vegetativen Vorgänge, da ihr Ziel ja für mein Bewusstsein null ist. Ich kann nicht von mir behaupten, meine Existenz bewusst zu führen, wenn die Wirklichkeit meiner Existenz mir völlig unbewusst ist.
Zitat
Zwiegespräch aus der Zen-Literatur:
Ein Mönch: „Gibt es einen bestimmten Weg, den man im Tao beschreiten kann?’
Der Meister: „Ja, es gibt einen”
Der Mönch: „Und worin besteht er?”
Der Meister: „Wenn man Hunger verspürt, isst man. Wenn man müde ist, schläft man,”
Der Mönch: „Das tun doch alle anderen Leute auch, Ist ihr Weg denn derselbe wie Eurer?”
Der Meister: „Es ist nicht derselbe.”
Der Mönch: „Wieso nicht?”
Der Meister: „Wenn sie essen, so essen sie nicht nur, sondern sie hegen alle möglichen Vorstellungen. Wenn sie schlafen, so schlafen sie nicht nur, sondern lassen unzähligen überflüssigen Gedanken freien Lauf. Dies ist der Grund, warum ihr Weg nicht mein Weg ist.“
Es ist die Unterscheidung zwischen sinnlich und nicht-sinnlichen Leben. Das Leben, das nicht-sinnlich ist, ist automatisch mental.
Dem Durchschnittsmenschen sind nur Bilder bewusst. So nimmt es nicht wunder, dass das „Existieren”, welches wirklich ist und drei Dimensionen hat, ihm nicht bewusst ist. Das also, worin ich wirklich bin, ist mir nicht bewusst, und was in mir bewusst ist, hat nur illusorischen Charakter.
Das Eintreten des Verstehens (Satori) ist nichts anderes als das Bewusstwerden des “Existierens”, das jetzt noch unbewusst in mir ruht, das Bewusstwerden der Prinzipiellen und uranfänglichen Wirklichkeit dieses universellen vegetativen Lebens, welches in meiner Person eine Erscheinungsform des Absoluten Prinzips geworden ist, das, worin ich „Ich” und zugleich unendlich mehr als „Ich” bin, Immanenz und Transzendenz zugleich.
Dem Suchenden, der nach einem Weg zur Weisheit fragt, antwortet der Meister;
„Wenn wir Hunger haben, essen wir. Wenn wir müde sind, dann legen wir uns hin.”
Diese Lehre mag der Selbstliebe des ich-bezogenen Menschen verächtlich erscheinen, denn dieser träumt von „geistigen” Heldentaten und von persönlichen „ekstatischen” Beziehungen zu einem persönlichen Gott, dessen Bild er sich formt.