In letzter Zeit drehte sich viel um die Berichte meiner Reisen. Schon seit einer ganzen Weile bemühe ich mich den nächsten Reisebericht zu vollenden und scheitere dabei. Warum? Weil ich vom Hundertsten ins Tausendste komme. Ich will Hintergründe der bereisten Regionen aufzeigen, meine persönlichen Empfindungen abbilden und sie zugleich einordnen, um sie als höchst subjektiv zu kennzeichnen. Den Widerspruch zwischen radikal subjektiven Reiseerlebnissen und dem Versuch der Annäherung an eine Wirklichkeit, die am Ende subjektiv bleibt, aber dies zu verschleiern sucht, ist massiv. Ich möchte mich nicht zwischen einem der beiden Wege entscheiden müssen; ich möchte beides machen; dass ich dazu keine Fiktion schreiben möchte, macht das Unterfangen nicht leichter.
Das soll nicht das hauptsächliche Thema in diesem Blog sein, sondern soll nur unterlegen, wie schwer es mir gerade fällt einen roten Faden in der eigenen Arbeit zu finden. So drifte ich von Thema zu Thema, recherchiere mal hier und mal da, bis ich das Handtuch werfe, um mich am nächsten Tag wieder gekonnt zu verzetteln. Schlimm ist daran überhaupt nichts, schließlich befinde ich mich gerade in einer Experimentierphase und ich bin noch lange da angelangt, wo ich hinmöchte: zu meinem ganz eigenen Stil. Dass ich überhaupt diese Möglichkeit habe, ist ein Privileg.
Doch was ist das Existentielle an diesem Blog? Ist es nur die Bereitschaft und Notwendigkeit alles radikal zu hinterfragen? Ich denke es ist mehr. Um das zu erläutern, muss ich noch einmal zur Entstehung dieses Blogs zurückgehen. Motivation waren verschiedene Aspekte: ich wollte eine Plattform schaffen, auf der ich Reiseberichte veröffentlichen kann, die keinen Platz in meinem Buch gefunden haben; natürlich auch für direkte Eindrücke, sobald ich wieder unterwegs bin.Allein die Thematik des Buches gab dafür noch eine andere Richtung vor: ich schreibe im ersten Teil des Buches Autobiographisches. Natürlich kann man sich die Frage stellen, was einen dazu treibt im Alter von 30 Jahren ein solches Buch zu veröffentlichen; Narzissmus liegt nahe. Das Entstehen dieses Buches auf ein Geltungsbedürfnis zu reduzieren, wäre aber falsch. Darin liegt auch ein Zeichen der Hoffnung und der Erneuerung. Wie könnte man über existentiell bedrohliche Phasen aus seinem Leben schreiben, ohne sie bis zu einem gewissen Grad überwunden und verarbeitet zu haben? Ich bin jedenfalls in der Vergangenheit häufig daran gescheitert.
Ein wesentlicher Antrieb ist auch Leser zu berühren und zu zeigen, dass es auch dann noch Hoffnung gibt, wenn alles verloren scheint. Ein wiederkehrendes Motiv von Künstlern. Während ich eine ganze Reihe dunkler Erfahrungen durchlebte, wurde die Suche nach Antworten auf existentielle Fragen zu einer meiner Triebfedern. Ohne es weiter zu fokussieren: ich beschreibe den Verlust von Glauben und Weltbild, von Wut, Verzweiflung, Abhängigkeit, aber auch von Hoffnung, Liebe, der Suche nach Heimat und wie ich angetrieben von diesen schwierigen Erfahrungen und der Hoffnung auf ein anderes Leben schließlich loszog, um mich und die Welt noch einmal ganz neu zu entdecken. Diese Reise führte mich nach Indien und bewies mir, dass diese Suche gerade erst begonnen hat.
Im letzten halben Jahr kam dazu die Beschreibung von Büchern, die mich existentiell berührt und beeinflusst haben. Das hatte an Intensität gewonnen, als ich die Zitate für mein Buch zusammentrug. Auch die Beschäftigung mit Tiziano Terzani war dabei ein Meilenstein. Und doch stehe ich noch immer ganz am Anfang; viele bedeutende Autoren habe ich noch nicht gelesen und manchmal frage ich mich, wie ich es jemals schaffen soll auch nur einen Bruchteil all der wunderbaren Literatur zu bewältigen, die ich gerne noch lesen würde. Aber ein Lernprozess ist allemal. Ob es mir nun gelingt, daraus ein Auskommen zu entwickeln weiß ich nicht; das verstärkt den existentiellen Charakter noch einmal. Nicht, dass ich mir im Moment Gedanken machen muss, was ich morgen esse; aber der Moment wird womöglich noch kommen. Sich dem „System“ zu entziehen kann schmerzhafte Konsequenzen haben. Man bleibt aber Teil der Gemeinschaft, wenn man nicht zerbricht, sondern eigene Wege findet.
Ich sehe ohnehin keine Alternative als das zu tun, was ich derzeit mache; zu lernen und mich zu wappnen für die Zukunft; Wege zu finden, andere Menschen zu erreichen, auf Inspirationsquellen aufmerksam zu machen und zu lernen, wie ich mir einen Platz erkämpfen kann, an dem ich das tun kann, was ich für alternativlos halte: ein Gegengewicht zu setzen in einer zunehmend trivialen und ökonomisierten Welt, in der mit Angstmache Bürgerrechte ausgehöhlt werden und Überwachungsinstrumente geschaffen werden, die wir nur noch schwer wieder loswerden werden; Die drohenden Probleme angesichts eines sich ändernden Klimas und über 800 Millionen hungernder Menschen und neue Kriege sind noch unwesentlich größer. Und doch haben sie etwas mit Gerechtigkeit und Transparenz zu tun; hier und dort. Die Schere verläuft ohnehin zwischen Oben und Unten.
So sehe ich es als meine Verantwortung, die Menschen, die ich erreichen kann, zum Nachdenken zu bringen über die Art wie wir leben. Freilich wissen genug Menschen, dass es so nicht weitergehen kann. Also wird das Schüren von Empörung allein nichts erreichen können. Wer den Fernseher einschaltet oder die Zeitung liest wird kaum noch Herr der Informationsflut aus allen Teilen der Welt und kann sich kaum entscheiden, über was man sich zuerst empören soll. Man stumpft ab; es erreicht einen nichts mehr und dann verlieren die Nachrichten ihre Bedeutung. Früher oder später will man nichts mehr wissen. Oder man wendet sich ab und konzentriert sich auf das, was im direkten Umfeld getan werden kann; tun das genug Leute ist das sicherlich eine machtvolle Möglichkeit, Dinge zu verändern. Als Konsument Einfluss zu nehmen; in persönlichen Gesprächen, beim Aufbau alternativer Ideen. Ich schätze dieses Engagement und möglicherweise ist es das einzig Wirkungsvolle was man tun kann; und doch: es reicht mir nicht aus; viele Probleme sind nur global zu lösen und erfordern, dass wir uns wieder näher kommen und uns auch über Kulturgrenzen verständigen lernen. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich bin überzeugt, es liegt an jedem Einzelnen eine Haltung zu finden, um nicht zuzulassen, dass Werte und Bürgerrechte völlig verloren gehen. Sonst stehen Diskriminierung, Willkür und Totalitarität alle Türen öffnen. Und die Welt wird ein „gewalttätiges Paradies“ (Ryszard Kapuściński) bleiben.
Ich will es mir nicht zu einfach machen; ich selbst tue viel zu wenig; und doch suche ich nach Wegen, Teil eines Wandels zu sein, den wir so dringend benötigen wollen wir eine gerechte - überhaupt eine lebenswerte Zukunft haben. Viele haben sich schon auf den Weg gemacht, um diesen Wandel einzuleiten und zu leben; spannend bleibt die Frage: wie können wir mehr Menschen mitnehmen; das wird kaum über Predigen, Fordern oder Populismus zu erreichen sein (trotz aller berechtigten Empörung), sondern durch eine Stimme der Vernunft; denn um nichts anderes kann es gehen als um Entscheidungen, die einem gesunden Menschenverstand entspringen; nur dann sind die Forderungen attraktiv.
Bevor ich diesen Blog gestartet habe, schrieb ich mit einigen Freunden einen politischen Blog und noch heute ist es mir wichtig, Nachrichten aus der Informationsflut herauszufiltern, die eine Relevanz haben und zum Hinterfragen einladen und anderen zur Verfügung zu stellen. Doch das ist noch nicht der Weisheit letzten Endes; viel zu oft bewegen sich diese Informationen in Kreisen, derer die ohnehin schon ein Bewusstsein haben, das wir radikal umdenken müssen. So suche ich nach neuen Wegen, um als Schriftsteller, Künstler oder was immer sich in nächster Zeit entwickeln wird, Mittel zu finden um Haltungen zu transportieren. Das kann neben dem Teilen von künstlerischen und literarischen Anstößen auch die Mittel der Provokation oder der Subversion sein.
Wundert Euch also nicht, dass auch in meinen Reisereportagen Fragen formuliert sind, wie sie in anderen Blogs ungewöhnlich sind. Es geht mir nicht darum, anderen den Spaß zu verderben, sondern um Bewusstsein, das wahre Existenz vertieft. So sind meine subjektiven Erfahrungen oft nur Projektionsfläche für tiefergehende Fragen.
Warum Menschen, die eine starke Bipolarität besitzen, besonders häufig Künstler werden und sich dem Existentiellen zuwenden, versuche ich an anderer Stelle auszuführen. In Kürze möchte ich die Spannung zwischen subjektivem und „objektivem“ Erzählen noch einmal anhand der Entstehung des New- und Gonzo-Journalismus deutlich machen. Dann wird es auch stärker um den Humor als Waffe gehen. Aber keine Angst: nicht jeder Blog wird fortan tonnenschwer. Dann hätte ich mein Ziel sicher verfehlt und wäre nicht vorangekommen…