Evolution - Halfen uns Hund und Neandertaler?

Von Petwatch
Es ist eines der großen Rätsel der Menschheitsgeschichte: Unsere Vorfahren kamen vor gut 30.000 Jahren aus dem warmen Afrika. Dennoch eroberten sie das kalte Europa binnen wenigen tausend Jahren. Was machte die Überlegenheit unserer Ur-Ahnen aus? Wer waren diese Menschen?
Der Neandertaler beherrschte Europa mehr als 100.000 Jahre lang. Er verschwand nach Ankunft des anatomisch modernen Mensch in historisch sehr kurzer Zeit und das obwohl der Neandertaler an die Verhältnisse in Europa bestens angepasst war. Er hatte sich über mehr als 100.000 Jahre hinweg durch alle Eiszeiten und Klimaschwankungen behauptet. Wie konnte sich da ein Einwanderer aus Afrika durchsetzen?
Zunächst schien die Antwort einfach. Der Neandertaler wurde zu einer primitiven Menschenform erklärt. Er sei ohne Sprache, ohne Kultur mit bestenfalls nur grobschlächtigem Geschick im Werkzeugbau. Da habe der anatomisch moderne Mensch eben leichtes Spiel gehabt. Homo sapiens sei dem Neandertaler in allen Belangen überlegen gewesen. Selbstredend galt unter Wissenschaftlern als ausgemacht, dass der vermeintlich primitive Neandertaler nicht zu unseren Ahnen zählen könne. 2009 veröffentlichte das auf diesem Gebiet führende Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig eine Studie: "No Sex with Homo Sapiens" war deren Ergebnis und Titel zugleich. Es gäbe keinerlei Spuren des Neandertalers in unseren Genen. Viele Archäologen, Philosophen und nicht zuletzt Kirchenleute sahen sich einmal mehr bestätigt.

(c) Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

Der Neandertaler in uns
Doch schon ein Jahr später korrigierten sich die Leipziger Anthropologen grundlegend. Inzwischen konnte man mit modernster Technik das Genom von Homo sapiens und neandertalensis viel genauer analysiern. Jetzt wiesen die Leipziger nach, dass im Erbgut der heutigen Europäer nicht weniger als 2,1% vom Neandertaler stammen. Gut 2% sind genetisch nicht wenig, wenn man bedenkt, dass wir immerhin 95% unserer Gene mit Menschenaffen teilen. Unser Genom unterscheidet sich nur um 5% vom Schimpansen. Der 2%-Erbgutanteil vom Neandertaler soll uns sogar beim Überlebenskampf im unwirtlichen Europa der Eiszeit geholfen haben. Und vielleicht noch mehr?
Im April 2014 präsentierten die Archäologen Roebroecks und Villa eine weitere Studie. Sie sollte uns zum Umdenken hinsichtlich unseres alten menschlichen Verwandten anregen. "Wir haben keine Beweise gefunden, dass Erklärungen zur Überlegenheit des Homo sapiens von fundierten archäologischen Daten gedeckt sind." So das Resumee einer kritischen Analyse der Befunde zum Thema Neandertaler. Die beiden Archäologen vertreten die Auffassung, es gäbe keine Beweise, dass der Neandertaler unterlegen war, weder hinsichtlich Jagdmethoden, noch Technologie, noch Kultur oder Sprache. Sie vermuten, dass der Neandertaler nicht vertrieben wurde. Er sei schlicht in der Vermischung mit unseren Vorfahren aufgegangen. "Die Vermischung von Neandertaler und anatomisch moderem Menschen könnte diesem geholfen haben, sich an die nicht-afrikanischen Bedingungen anzupassen." schreiben Roebroecks und Villa. Der Typ des Homo sapiens habe sich aber durchgesetzt, u.a. weil er zahlenmäßig überlegen gewesen sei.
Entwicklungshelfer der Menschheit
Ob der Neandertaler tatsächlich im anatomisch modernen Menschen aufgegangen ist, wäre durch weitere Untersuchungen zu verifizieren. Die heutigen Erkenntnisse legen aber nahe, dass der Neandertaler einen konstruktiven Beitrag zum Siegeszug des modernen Menschen geleistet hat. Hier müssen wir umdenken. Es scheint, dass wir mindestens einen Helfer hatten. Zum zweiten potenziellen Helfer der Menschheit, dem Hund, kommen wir in den nächsten Teilen dieser kleinen Serie.
Literaturhinweise:
  • Neandertal Demise: An Archaeological Analysis of the Modern Human Superiority Complex. (2014) Villa P, Roebroeks W 
  • Complete Mitochondrial Genomes of Ancient Canids Suggest a European Origin of Domestic Dogs, Thalmann et al. in Science 15 November 2013
  • Psychosocial and psychophysiological effects of human-animal interactions: the possible role of oxytocin. (2012) Andrea Beetz et al. 
  • Die aktive soziale Domestikation des Hundes: Ein neurobiologisch begründetes Modell zur Mensch-Hund-Beziehung (2014) Daniela Pörtl, Christoph Jung
  • How do you kill 86 mammoths? Taphonomic investigations of mammoth megasites, Pat Shipman, Quaternary International (2014), http://dx.doi.org/10.1016/j.quaint.2014.04.048

Ein Beitrag von Christoph Jung