Everlasting: Der Mann, der aus der Zeit fiel

Von Buechersuechtig

Cover
 

Die Autorin
Holly-Jane Rahlens kam nach dem Studium der Literaturwissenschaft und Theater Arts aus ihrer Heimatstadt New York nach Berlin. Mit Funkerzählungen, Hörspielen und Solo-Bühnenshows machte sie sich dort in den achtziger und neunziger Jahren einen Namen. Außerdem arbeitete sie als Journalistin, Radiomoderatorin und Regisseurin. Ihr Jugendbuch «Prinz William, Maximilian Minsky und ich» (2003 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet) kam 2007 in einer Drehbuchadaption der Autorin ins Kino. Holly-Jane Rahlens lebt heute mit Mann und Sohn in Berlin-Charlottenburg.
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Broschiert: 432 Seiten
Verlag: Wunderlich (9. März 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3805250169  / ISBN-13: 978-3805250160
Größe und/oder Gewicht: 20,4 x 12,4 x 3,4 cm

Leseprobe
Quelle: Rowohlt *klick*
Die Geschichte...
Berlin im Jahr 2264: In der Zukunft ist die Liebe ausgestorben, Gefühle unerwünscht, die Menschen werden bis zu 150 Jahre alt und Deutsch ist eine tote Sprache. Eines Tages erhält der junge Sprachwissenschaftler Finn Nordstrom, der sich auf Deutsch und Englisch spezialisiert hat, einen besonderen Auftrag: Er soll 250 Jahre alte, bei Ausgrabungen gefundene, Tagebücher eines Teenagers übersetzen, wovon er zunächst nicht sehr begeistert ist, da er diese Aufgabe zunächst langweilig findet. Doch zunehmend faszinieren ihn die Tagebuchaufzeichnungen des Mädchens und so nimmt er das Angebot an, mittels eines Virtual-Reality-Spiels namens "Projekt Zeit"  gemeinsam mit der Quantenphysikerin Rouge Moreau in das frühe 21. Jahrhundert, kurz vor dem Ausbruch der alles vernichtenden Epidemie namens Dark Winter, nach Berlin zu reisen. Doch warum schicken die Entwickler ausgerechnet Finn in die Vergangenheit? Und wie lässt sich das eigenartige Gefühl beschreiben, das ihn überfällt, wenn er dort der jungen Tagebuchschreiberin Eliana begegnet?

Meine Meinung:
Angesichts der interessanten Geschichte, meiner Liebe zu Zeitreise-Geschichten und der vielen Empfehlungen musste ich "Everlasting" natürlich auch lesen - und habe es nicht bereut. In der Vergangenheit umfasst die Handlungsdauer die Jahre 2003 bis 2011, in der Zukunft die Jahre 2264 bis 2265. Den Handlungsschauplatz hat die Autorin nach Berlin verlegt und ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Durch das rosarote Cover wird ein falscher Eindruck vermittelt, denn dieses Buch ist für mich ein All Age-Roman, der auch für das starke Geschlecht lesenswert ist. Da passt der Titel schon besser zum Inhalt, da der Duft Everlasting für die Geschichte von Bedeutung ist und Finn buchstäblich aus der Zeit fällt (und in einer öffentlichen Toilette landet *lach*).

Finn Nordstrom hat eine enge Bindung zu seiner bereits verstorbenen Familie bzw. deren Hinterlassenschaften, lebt im Jahre 2264 und arbeitet als Jung-Historiker und Entschlüsselungs-Spezialist für handschriftliche Texte in Deutsch und Englisch. Der junge, verträumte Sprachwissenschaftler ist mit seinen 2 Metern Körpergröße und den dunklen Haaren eine ansehnliche Erscheinung und mit 26 Jahren noch immer ohne Gefährtin. Eliana Lorenz, ist zu Beginn der Aufzeichnungen (im Jahre 2003) 13 Jahre jung und ein außergewöhnliches Mädchen, was sich in ihren Tagebüchern wiederspiegelt. Zu ihrem Geburtstag bekommt sie von ihrer Großmutter ein Parfüm namens Everlasting geschenkt, das in der Geschichte eine Rolle spielt. Die Protagonisten kommen hin und wieder ein klein wenig farblos rüber, obwohl Finn durchwegs sympathisch gestaltet wurde und nicht ahnt, wie sehr "Projekt Zeit" sein weiteres Leben verändern wird. Es ist auch reizvoll, die Weiterentwicklung von Finn und der jungen Eliana mitzuerleben, die man einfach mögen muss und schnell ins Herz schließt. Interessante Nebencharaktere wie Finns Reisegefährtin Rouge Moreau, Finns Freund, der trendige Bibliothekar Renko Hoogeveens oder Dr. Dr. Sriwanichpoom (der kauzige Direktor der Europäischen Bibliothek) runden die Geschichte ab und fügen sich gut in die Handlung ein.


Holly-Jane Rahlens hat in "Everlasting: Der Mann, der aus der Zeit fiel" komplexe Welten in zwei unterschiedlichen Zeitebenen erschaffen. In Finns Zeit möchte ich allerdings nicht gern leben, denn im Berlin des Jahres 2264 ist Deutsch eine tote Sprache, Handschrift existiert nur mehr in alten Schriften, denn Bilder und Worte werden nur mehr mittels implantierte Brain Buttons übermittelt, jeder Mensch hat eine persönliche Infobank mit privaten Erinnerungen - dafür gibt es Klone, tiefe Gefühle wie Liebe sind unerwünscht, die Geburten sind drastisch zurückgegangen und Gefährten werden zwecks Fortpflanzung einem spätestens mit 28 Jahren zugeteilt. Außerdem bewegen sie sich mittels Robotaxis weiter, Haus- und Gartenarbeiten werden von Robotern mit solchen Namen wie BER-MV-Rub1 (JoeJoe, der Hausmeister), GFW-loe22 (Hostess Henriette) ausgeführt.
Interessant ist die Grundidee dieses Romans allemal und auch die Umsetzung, in die kreative Einfälle verpackt wurden, finde ich hervorragend gelungen. Doch leider hat mich dieser Science Fiction-Zeitreisen-Roman nicht ganz so begeistert, wie zuerst gedacht, denn die ferne Zukunft vermittelt einen sehr sterilen und kühlen Eindruck und die großen Emotionen & Gefühle lassen ein wenig auf sich warten. Außerdem finde ich es äußerst gewöhnungsbedürftig, dass im 23. Jahrhundert alle von sich in der 3. Person sprechen, wodurch das  Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden soll. Z.B. meint Finn: "Dieser Historiker kann nur hoffen, dass er das Richtige tut." (Seite 45) oder "Dieser Leser muss zugeben, dass er sich schon oft gefragt hat, warum er Bücher liest, warum er es nicht erwarten kann, zur nächsten Seite umzublättern." (Seite 78)

Finn schildert die Geschehnisse aus seiner Sicht (in der 3. Person) und lässt uns an seinen Zeitreisen in das "alte" Berlin teilhaben, wobei ihn dieses Jahrhundert und die Verfasserin der Aufzeichnungen immer mehr fasziniert. Aufgelockert wird der Plot durch Elianas unterhaltsame Tagebucheinträge, denn Finn muss sich erst in die Mädchenwelt einleben und hat keine Ahnung, was sich hinter Chucks, DSDS, Hubba Bubba oder Barbie und Ken verbirgt. Außerdem finde ich es witzig, dass sich ein Versandhauskatalog aus den 90-ern, Bankunterlagen und Gartenzwerge im Museum wiederfinden. Alles Dinge, die für uns im 21. Jahrhundert (noch) selbstverständlich sind - ich mag mir gar nicht vorstellen, dass es irgendwann vielleicht keine Bücher in Papierform geben wird.


Obwohl die Story den Lesern viele ungeahnte Wendungen und Überraschungen präsentiert, fehlt mir das "Tüpfelchen auf dem i", denn "Everlasting" hat es leider nicht geschafft, mich vollkommen fesseln, was vor allem an der gewöhnungsbedürftigen Erzählperspektive liegt. Die Schilderungen von Finns Welt gehen manchmal zu sehr ins Detail, wodurch sie teilweise langatmig wirken und dadurch etwas den Lesefluss bremsen. Die Geschichte lässt mich mit einem zufriedenstellenden Ende sowie ein paar offenen Fragen zurück. **ACHTUNG SPOILER** Wie hat sich Eliana während Finns langer Abwesenheit gefühlt bzw. was hat sie zwischen Finns Zeitreisen gemacht? Vor allem zwischen den letzten zwei Reisen? Wie genau funktioniert das Prinzip der Zeitreisen hier eigentlich genau? Wie kommt es, dass Finn ohne "Nebenwirkungen" dauerhaft im Berlin des 21. Jahrhunderts leben kann, während er schon bei mehrtägigen Reisen unter Zeitlags gelitten hat? Hat Eliana das Rubik-Haus tatsächlich entworfen? Weshalb hat Finn die Tagebücher nicht schon früher zum Übersetzen erhalten? **SPOILER ENDE** Durch die ausdrucksstarke Schreibweise gepaart mit bildhaften, umfangreichen Beschreibungen und Elianas humorvollen Tagebucheinträgen lassen sich die 432 Seiten trotz kleiner Mankos schnell lesen.

FAZIT:Auch wenn mich "Everlasting: Der Mann, der aus der Zeit fiel" nicht 100%ig überzeugt hat, ist dieser Roman aufgrund des originellen Plots mit reizvollen Wendungen, der interessanten Protagonisten und des ausdrucksvollen Schreibstils etwas Besonderes! Wer eine gelungene Mischung aus Science Fiction, Zeitreisen & einer zarten Liebesgeschichte mag, wird "Everlasting: Der Mann, der aus der Zeit fiel" lieben. Deshalb vergebe ich unterhaltsame 4 (von 5) Punkte und freue mich auf weitere Bücher dieser Autorin.

ZITAT Seite 69:
"Finn spürte einen merkwürdigen Stich - als wäre sein Herz von einem dieser Defibrillatoren im Museum für Medizin geschockt worden."