Eurovision Song Contest -II

28 Jahre des Wartens waren dann genug und so haben wir endlich einen 2. Sieg für Deutschland in der 55. Ausgabe des ESC errungen. Mit ungezwungenem Jungmädchencharme, einem wirklich flotten, sympathischen Popsong und der richtigen Portion Understatement gab es insgesamt dann doch reichlich Punkte aus aller Herren Länder und das ist auch gut so.
Doch nicht nur der deutsche Beitrag vermochte an diesem Abend zu überzeugen, insgesamt war der Eurovision Song Contest 2010 eine sehr launige Veranstaltung, die zwar durchaus Trash- und Bad Taste-Auftritte bot, in großen Teilen aber auch richtig hübsche Songs.
Die Kritik im Einzelnen:
1) Aserbaidschan/Safura - Drip Drop
Sicherlich nicht zu unrecht als eine Favoritin gehandelt, dennoch keine wirklich glanzvolle "Performance". Der Refrain dieses leicht r'n'b-lastigen Stückchens mag ja durchaus Ohrwurmcharakter besitzen, die vollmundig angekündigte "Super-Choreographie" und der Wohlfühleffekt blieben aber aus.
2) Spanien/Daniel Diges - Algo Pequenito
Einer meiner heimlichen Favoriten. Trotz einer doppelten Auftrittschance (ein Streaker hatte sich unter die tanzenden Clowns und Artisten gemischt), konnte das farbenfrohe Zirkusspektakel leider nicht europaweit begeistern, mir gefällt hingegen sowohl Stimme, Komposition und Performance ausgezeichnet.
3) Norwegen/Didrik Solli-Tangen - My Heart Is Yours
Der Tenor hatte sich übernommen. Die sehr gefühlvolle Ballade hatte mit den Stimmfarbe bzw. Stimmkonstitution des Sängers zu kämpfen, der dann doch zuletzt reichlich krächzen musste. Sicherlich kein komplettes Desaster, aber dennoch 30 jahre zu spät für eine vordere Platzierung.
4) Moldawien/SunStroke Project & Olia Tira - Run Away
War Euro-(Trash)-Pop in den letzten Jahren noch sehr en vogue, hatten dieses Mal nur die wenigsten Nationen auf diese Karte gesetzt. Bei der moldawischen Umsetzung wurde mit Michael-Stipe-Gedächtnis-Gesichtsbemalung und derwischartiger E-Geigenbegleitung allerdings vieles falsch gemacht, lediglich der sehr lässige Saxophonist bekommt meine Sympathiepunkte.
5) Zypern/Jon Lilygreen & The Islanders - Life Looks Better In Spring
Es war dann wohl doch zu harmlos, das nette Indiepop-Liedchen der zypriotischen Quasi-Boyband. Der Auftritt war zwar sehr nett anzuschauen, allerdings passierte dann doch während der 3 Minuten zu wenig, um europaweit auf Zustimmung zu stossen. Schade!
6) Bosnien-Herzegowina/Vukasin Brajic - Thunder And Lightning
Das war über die Schmerzgrenze hinaus. Ein rotes, an einen Oberkellner erinnerndes Jacket, wirre Pyrotechnik, Stadionrock zum Davonlaufen und ein Text wie aus dem Telekolleg Englisch II - Nein!
7) Belgien/ Tom Dice - Me And My Guitar
Der Gewinner der Herzen (und hätte Lena nicht den Sieg davon getragen, ihm hätte ich ihn auch sehr gegönnt). Ein sympathischer Junge von nebenan singt zu einer hübschen Gitarrenmelodie frei von der Leber weg über sich und seine Gitarre. Sonst nichts. Das die Stimme auch noch entfernt an David Ford und Damien Rice erinnert gibt einen klaren Pluspunkt!
8) Serbien/Milan Stankovic - Ovo je Balkan
Grauslig, aber unterhaltesam. Der Lady-Gaga-Lookalike mit der Playmobil-Frisur tanzt wie ein aufgezogenes HB-Männchen durch sein Balkan-Wunderland und grinst schöner als der Zwiebackjunge.
9) Weißrussland/3+2 - Butterflies
Ich hab's ja eigentlich schon ganz gerne auffällig und kitschig, aber diese fade Schmonzette konnte dann auch nicht durch die Schmetterlingsflügel an den Trickkleidern und den Sangeswillen der beiden Chorknaben gerettet werden. Gott sei dank sahen das die meisten Zuschauer genauso.
10) Irland/Niamh Kavanagh - It's For You
Ein bisschen schad' ist's schon, dass diese Celine-Dion-Gedächtnishymne nicht so angenommen wurde, wie sich ESC-Traditionalisten wohl gewünscht hatten. Vielleicht waren's aber auch die zu titanichafte Inszenierung oder die zum Ende hin matter werdende Stimme der eigentlich sangeskräftigen Künstlerin.
11) Griechenland/Giorgos Alkaios - OPA
Als hätte man den weißgewandeten schon leidlich abgehalfterten Sänger nach einer gescheiterten Frischzellenkur in einen Ameisenhaufen gesetzt. Dieser furchtbare Ethno-Dance-"Gute Laune"-Schlager war einfach nur überflüssig. Leider sah man das nicht überall so.
12) Großbritannien/Josh Dubovie - That Sounds Good To Me
...und da denkt man, die Briten wären kleverer. Mit einer faden 80er-Pop-Nummer, die von "Schwiegermutter's Liebling" im Versandhausanzug intoniert wird, dazu ein paar Kylie Minogue und Jason Donovan-Gedächtsnis-Harmonien gewinnt man nun mal keinen Kronleuchter und erst recht kein gläsernes Mikrophon (die diesjährige Trophäe). Schlichtweg langweilig.
13) Georgien/Sophia Nizharadze - Shine
Szenisches Theater auf der ESC-Bühne. Eine gute, stimmungsvolle Ballade, mit vollem Körpereinsatz vorgetragen, dazu sehr gute Kostüme und insgesamt als eine Art "Mini-Musical" vorgetragen. Schon gut, allerdings dann vielleicht doch ein wenig überambitioniert.
14) Türkei/maNga - We Could Be The Same
Ein bisschen Britpop, ein bisschen Metal light, dazu die von verschiedenen Journalisten an den Haaren herbeigezogenen Vergleiche zu Muse und Linkin Park (allein die Nennung der beiden Bands in einem Satz lässt mich rot werden!), das schien sehr europakompatibel zu sein, ich fand's eher überflüssig.
15) Albanien/Juliana Pasha - It's All About You
Weder Fisch noch Fleisch. Die Stimme (eine Art Christina Aguilera suf Helium), der Background (amerikanisches Gospel-Trio) und das Outfit (pseudouniformeskes Etwas mit Schulterpolstern) passten irgendwie nicht zum ganz gefälligen, aber auch unglaublich belanglosen 08/15-Popsong.
16) Island/Hera Björk - Je Ne Sais Quoi
Natürlich ist das schon eine relativ klassische Eurodance-Hymne, natürlich ist das auch ein relativ klassicher Auftritt (imposante Dame mit gewaltiger Stimme singt sich die Seele aus dem Leib) und eine nahezu konvetionelle Bühnenperformance (3 Tänzerinnen, 2 Backgroundsänger), aber irgendwie hatte mich das schon begeistert, Europa hatte dann aber wohl Rache für die Flugausfälle nehmen wollen.
17) Ukraine/Aljosha - Sweet People
Die Überraschung! Zwar dann doch nicht so weit vorn, wie insgeheim gehofft, dennoch ordentlich auf Platz 10 gehievt, hat sich dieses Ethno-Rock-Symphnonic-Folk-World-Pop-Sammelsurium in mein Herz gelitten, eine kleine-große, mit dem Stempel "mysteriös" behaftete Sängerin mit toller Stimme.
18) Frankreich/Jessy Matador - Allez! Olla! Ole!
Ob das der französchische WM-Titel wird? Diese afrikanische-karibische Mixtur in fröhlicher Dr. Alban-Gedächtsnis-Manier war zwar alles andere als aufregend, allerdings in seiner Funktion als Gute-Laune-Hit für zwischendurch ganz in Ordnung.
19) Rumänien/Paula Selling & Ovi - Playing With Fire
Nein, dass hätte ich der Leder-Lady mit dem Shania-Twain-Puppengesicht und dem etwas zu aufgedrehten Ovi an ihren zwei gläseren Pianos nicht zugetraut, aber irgendwie freu ich mich schon drüber. Ein fast schon konventioneller Pop-Song mit einem sehr ohrwurmigen Refrain, das passt schon!
20) Russland/Peter Nalitch & Band - Lost And Forgotten
Wie bereits in der gestrigen Vorankündigung angekündigt, fasziniert mich hier die (gespielte) "Seele", die fast schon klischeehaft übertriebende Melancholie und die ausserordentliche Stimme des sympathischen Schluffis aus Russland. Vielleicht hätte ein "Väterchen Frost" auf der verschneiten Bühne die restlichen Punkte im Sack haben müssen, um noch weiter nach vorn zu kommen.
21) Armenien/Eva Rivas - Apricot Stone
Hier gilt fast das gleiche wie bei Aserbaidschan oder Georgien: zu viel Ambition schadet dem Auftritt. So war die Symbolik des Aprikosenbaums als Nationalsymbol zu überzogen, als das die riesige Eva Rivas mit ihrem harten Akzent und der einfachen, aber dennoch ganz gefälligen Ethnopop-Nummer die im Vorfeld geschürten Erwartungen erfüllte.
22) Deutschland/Lena - Satellite
Ganz prima hat se das gemacht. Schlich, simpel, mit wenig Brimborium. Ihr unkonventionelles Herumgehopse, ihre ansteckende Fröhlichkeit, ihr unangepasstes Englisch, hier stimmte das "Gesamtpaket" (ÄTSCH!). Falls jetzt Stimmen aufkommen sollten, das hier nichts "echt" war, bitte ich um Kommentare (die sowieso immer und reichlich willkommen sind!).
23) Portugal/Filipa Azevedo - Ha Dias Assim
Die kleine Portugiesin hatte wohl im Nachhinein die undankbarste Startnummer im ganzen Finale. Ihre gefühlvolle, in Landessprache gesungene Ballade war eigentlich sehr hübsch, durchaus ESC-affin, aber dann doch zu egal, um gegen ihre Vorgängerin zu bestehen.
24) Israel/Harel Ska'at - Milim
Man hatte dem Song Vergleiche zu Jaqces Brel angedichtet - äh, nein! Hebräisch höre ich eigentlich gerne, aber in Zusammenhang mit leidlich moderner Popmusik war das dann noch eine Nummer zu viel. Der Sänger, ein kleiner ganz adretter Jüngling, wirkte dabei zwar ganz souverän, aber auch nur, wir man es bei seiner Bar-Mizwha hat sein sollte.
25) Dänemark/Chan'ee & N'evergreen - In A Moment Like This
Gut zitiert ist dann wohl doch (gottseidank!) nur fast gewonnen. Mit einem lustigen Zitatereigen von The Police über Tina Turmer bis hin zu abbaesken Melodiekaskaden und einer an der Schattenwand vorgetragenen Performance haben sich die irgendwie gedrungen wirkende Sängerin und der singende Hans Klok aus Dänemark bis auf Platz 4 vorgesungen. Kann man machen, sollte man aber nicht!
So, dass war's! Wo geht denn nun wohl 2011 die Reise hin? Hamburg, Berlin oder vielleicht in die Heimatstadt der Siegerin, Hannover? Jedenfalls war's wieder einmal ein bezaubernder Abend, den der Bänkelsänger im Kreise lieber Freunde mit Käseigel, Nudelsalat und Wurstbrötchen genossen hat. Auf ein Neues und tusen takk, Oslo!

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