Dem geschätzten Kollege Zettel wird es ähnlich gehen. Schrübe er heute einen Text darüber, wie die vom amerikanischen finanzindustriellen System als Werkzeug benutzten Ratingagenturen ihre Urteile über die Kreditwürfigkeit der Eurozone nutzen, um einen geheimen Krieg gegen die europäische Konkurrenz der US-Banken zu führen, so schössen die Leserzahlen in die Höhe. Zettel aber weicht lieber auf Fakten aus und erklärt den wenigen, die so etwas wissen wollen, warum funktioniert die Einheitswährung Dollar funktioniert, aber nicht die Einheitswährung Euro.
Beide seien schließlich Währungen in einem vergleichbar großen, ebenfalls heterogenen Wirtschaftsgebiet, auch in den USA gebe es zwischen den einzelnen Bundesstaaten große Unterschiede in der Wirtschaftskraft. Dennoch hätten die USA nicht ebenso große Probleme wie derzeit die Eurozone.
Warum denn? Klare Sache: Europa hat im Kern dasselbe Problem, das die Wirtschaft in der DDR nach Einführung der D-Mark zu Boden warf: „Die wirtschaftlich schwächeren Länder können ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch Abwertung ihrer Währung verbessern. Der Vorsprung der Starken wird umgekehrt nicht durch Aufwertung ihrer Währungen in Grenzen gehalten. Das Ungleichgewicht wächst damit“, schreibt Zettel.
Das sei in den USA ganz anders, obwohl auch dort die Bundesstaaten wirtschaftlich unterschiedlich leistungsfähig sind. Der Harvard-Ökonom Martin Feldstein mache den Unterschied an den Arbeitsmärkten fest: Die USA seien „faktisch ein einziger Arbeitsmarkt. Wenn irgendwo die Arbeitslosigkeit steigt, dann wandern zahlreiche Arbeitnehmer dorthin, wo es Arbeit gibt“. In Europa aber, abseits aller politischen Predigten, „ist das aufgrund der Unterschiede in Sprache und Kultur, der unterschiedlichen Sozial- und Gewerkschaftssysteme nur sehr bedingt der Fall.“
Keine gemeinsame Identität, keine gemeinsamen Idole, kein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl – und natürlich keine gemeinsame Sprache. In Europa wandern die Arbeitskräfte auch im zehnten Eurojahr nur bedingt dem Bedarf hinterher. Aber polnische Spargelstecher und britische Bauarbeiter reichen nicht, einen wirklichen Ausgleich herzustellen.
Zumal auch im Überbau einiges ungünstiger geregelt ist als in den USA. Dort gingen „die Steuern überwiegend an die Zentralregierung in Washington“. Gehe es einem Bundesland wirtschaftlich schlecht, dann flössen von dort weniger Steuern zum Bund. Wiederum erhalte es dann als Hilfe mehr Mittel aus Washington. „Dadurch findet tendenziell, wenn auch nicht vollständig, ein ständiger Ausgleich statt“, folgert Zettel.
Der dritte Punkt sei dort zu finden, wo die Europäer neuerdings so stolz auf ihre Schuldenbremsen sind. Von je her seien die Bundesstatten der USA „durch ihre Verfassungen verpflichtet, ausgeglichene Haushalte vorzulegen“. Selbst das nach amerikanischen Maßstäben hochverschuldete Kalifornien habe im Augenblick nur einen Gesamt-Schuldenstand von vier Prozent seines Bruttosozialprodukts.
Im Euro-Raum fehlten diese Mechanismen. Oder sie seien gerade erst aufgebaut worden. Oder gar noch in Planung. Deutschland, heißt es bei Feldstein, versuche derzeit, die Haushalts- und Steuerpolitik der anderen Länder zu kontrollieren, um sie quasi deutscher zu machen. Erschütternd dabei ist das Urteil des Ökonomen, der weder für Fitch noch für Moody noch für Standard and Poors arbeitet: Die Konsolidierungsbemühungen, sagt er voraus, werden die genannten Probleme nicht lösen, aber die Spannungen und Konflikte verschärfen, die in der Eurozone existieren. "The Murk in Europe stays murky", nennt das Indie Research. Es bleibt düster, müsste man das übersetzten. Man könnte aber auch einfach sagen: Murks bleibt Murks, da helfen keine Gipfel.