Die positive Folge von zweieinhalb Jahren Dauerkrise in und um Europa ist der Umstand, dass die blinde Europagläubigkeit, die über Jahre jede Frage verbot, wohin der vereinigte Markt unter dem Namen EU eigentlich ziele, gewichen ist. Selbst Blätter wie die „Zeit“, von staatswegen auf einen strengen Mehr-Europa-Kurs festgelegt, gestatten sich anlässlich der verfahrenen Rettungssituation hin und wieder Denkstücke zum Thema, die ihr eigenes intellektuelles Scheitern an der Aufgabe, Europa ein Ziel zu geben, zwar nicht benennen. Im Versuch, Europa dann aber wenigstens auch ohne gemeinsames Ziel eine Form zu verpassen, aber schon vorab klarmachen, wie das künftige Scheitern auch in dieser Frage aussehen wird.
Ludwig Greven etwa versucht es in seinem Text „So geht's nicht weiter, Europa!“ mit einer Prise Skepsis, aus der heraus er ein „gemeinsames europäisches Haus“ (Erich Honecker) entwickelt, das anmutet wie der feuchte Traum eines Dritte-Welt-Diktators. Denn um Europa zu retten, will Greven nichts weniger einführen als „eine echte parlamentarische oder präsidentielle europäische Demokratie, mit einer gemeinsamen Regierung, einem europäischen Finanzminister, einem womöglich direkt gewählten Präsidenten, der die Mitglieder seines Kabinetts, der bisherigen EU-Kommission, selbst auswählt – nach Kompetenz und nicht mehr nach nationalem Proporz“.
Gute Idee, zumal er sich ergänzend dazu ein „machtvolleres Parlament aus direkt gewählten Abgeordneten, die selbst Gesetze einbringen dürfen, die die europäische Regierung bestätigen müssen und sie kontrollieren“ vorstellt. Ergänzt wird das ganze durch „eine zweite Kammer, ein gewählter Senat oder ein europäischer Bundesrat nach Vorbild des deutschen, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsländer sitzen und mitbestimmen“. Den Unterbau des neuen Zentraleuropa bilden nach seinen Vorstellungen die „europäischen Parteien, die sich zusammenschließen aus den bestehenden konservativen, sozialdemokratischen, liberalen, grünen und sonstigen Parteifamilien“, verständigt werde sich dann in Form einer „europäischen Öffentlichkeit und europaweiten Medien in den verschiedenen Sprachen“.
Der Weg, so der Autor, wäre frei für eine „Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialunion, mit unterschiedlichen Ausprägungen wie in den deutschen Bundesländern, aber klaren Vorgaben und vereinheitlichten Standards“, inklusive einer „Haftungs- und Transferunion nach dem Muster des deutschen Finanzausgleichs“ (Greven).
Das ist so irrwitzig, dass es schon wieder ernst gemeint sein könnte. Nehmen wir aber nur die gemeinsame Regierung und das gemeinsame „machtvollere“ Parlament, das ja schon irgendwie demokratisch sein soll. Demokratisch, und nicht nach Proporz, wie Greven findet. Stellen wir uns jetzt vor, wir sind Luxemburger. Oder Belgier. Oder Slowene. Wir können auch mitwählen. Aber mitbestimmen werden wir nichts, wie paar Mann. Wir werden nicht einmal Gesetze einbringen können – ohne Proporz. Denn selbst mit Proporz, wenn er nicht eine schützende Marginalklausel enthält, sind unsere Stimmen im Chor der volksreichen Länder Italien, Deutschland und Frankreich ja kaum zu hören. Anderherum aber hebelt eine stärkere Gewichtung der Stimmen der Wähler aus den kleinen Ländern ein demokratisches Prinzip aus: Jede Stimme zählt gleich viel. Ist es anders, ist es undemokratisch.
Auch in den Parteien, die zwangs- oder pflichtvereinigt werden müssten, wäre das so. Wie artikulierte sich künftig der Kärntener Zweig der europäischen Sozialdemokratie mit seinen Interessen? Wie könnten slowakische Christdemokraten sich artikulieren, wenn es ihnen genommen wird, als Vertreter ihres Volkes zu sprechen? In einer eventuellen Diskussion in ihrer Partei jedenfalls dürfte es ihnen wie den griechischen Grünen, den luxemburgischen Linken oder den belgischen Liberalen gehen: Untergebuttert mangels Masse.
Greven, eine Art Traumtänzer am Taktiktisch der europäischen Integration, mag es beim Schreiben selbst gemerkt haben: Ohne europäisches Staatsvolk, dass sich selbst als europäisches Staatsvolk versteht, ist aus Europa kein Staat zu machen. Ein Staatsvolk aber wird aus den 26 Nationen nicht, so lange in Madrid und Kopenhagen, Stockholm und Prag unterschiedliche Sprachen gesprochen, unterschiedliche Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert, unterschiedliche Politiker kritisiert und unterschiedliche Stars bewundert werden.
Greven selbst schwant etwas, wie er in seinem nebligen Nebensatz über eine „sich herausbildende europäischen Öffentlichkeit und europaweite Medien in den verschiedenen Sprachen“ verrät. Doch die gemeinsame Öffentlichkeit gibt es nicht. Die gemeinsamen Medien gibt es nicht. Die gemeinsame Sprache gibt es nicht. Die gemeinsamen Partein gibt es nicht. Den demokratischen Proporz gibt es nicht. Die Gleichbehandlung von Groß und Klein in einer gerechten Form für beide Seiten gibt es nicht.
Der Rest ist wahr.
Ludwig Greven etwa versucht es in seinem Text „So geht's nicht weiter, Europa!“ mit einer Prise Skepsis, aus der heraus er ein „gemeinsames europäisches Haus“ (Erich Honecker) entwickelt, das anmutet wie der feuchte Traum eines Dritte-Welt-Diktators. Denn um Europa zu retten, will Greven nichts weniger einführen als „eine echte parlamentarische oder präsidentielle europäische Demokratie, mit einer gemeinsamen Regierung, einem europäischen Finanzminister, einem womöglich direkt gewählten Präsidenten, der die Mitglieder seines Kabinetts, der bisherigen EU-Kommission, selbst auswählt – nach Kompetenz und nicht mehr nach nationalem Proporz“.
Gute Idee, zumal er sich ergänzend dazu ein „machtvolleres Parlament aus direkt gewählten Abgeordneten, die selbst Gesetze einbringen dürfen, die die europäische Regierung bestätigen müssen und sie kontrollieren“ vorstellt. Ergänzt wird das ganze durch „eine zweite Kammer, ein gewählter Senat oder ein europäischer Bundesrat nach Vorbild des deutschen, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsländer sitzen und mitbestimmen“. Den Unterbau des neuen Zentraleuropa bilden nach seinen Vorstellungen die „europäischen Parteien, die sich zusammenschließen aus den bestehenden konservativen, sozialdemokratischen, liberalen, grünen und sonstigen Parteifamilien“, verständigt werde sich dann in Form einer „europäischen Öffentlichkeit und europaweiten Medien in den verschiedenen Sprachen“.
Der Weg, so der Autor, wäre frei für eine „Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialunion, mit unterschiedlichen Ausprägungen wie in den deutschen Bundesländern, aber klaren Vorgaben und vereinheitlichten Standards“, inklusive einer „Haftungs- und Transferunion nach dem Muster des deutschen Finanzausgleichs“ (Greven).
Das ist so irrwitzig, dass es schon wieder ernst gemeint sein könnte. Nehmen wir aber nur die gemeinsame Regierung und das gemeinsame „machtvollere“ Parlament, das ja schon irgendwie demokratisch sein soll. Demokratisch, und nicht nach Proporz, wie Greven findet. Stellen wir uns jetzt vor, wir sind Luxemburger. Oder Belgier. Oder Slowene. Wir können auch mitwählen. Aber mitbestimmen werden wir nichts, wie paar Mann. Wir werden nicht einmal Gesetze einbringen können – ohne Proporz. Denn selbst mit Proporz, wenn er nicht eine schützende Marginalklausel enthält, sind unsere Stimmen im Chor der volksreichen Länder Italien, Deutschland und Frankreich ja kaum zu hören. Anderherum aber hebelt eine stärkere Gewichtung der Stimmen der Wähler aus den kleinen Ländern ein demokratisches Prinzip aus: Jede Stimme zählt gleich viel. Ist es anders, ist es undemokratisch.
Auch in den Parteien, die zwangs- oder pflichtvereinigt werden müssten, wäre das so. Wie artikulierte sich künftig der Kärntener Zweig der europäischen Sozialdemokratie mit seinen Interessen? Wie könnten slowakische Christdemokraten sich artikulieren, wenn es ihnen genommen wird, als Vertreter ihres Volkes zu sprechen? In einer eventuellen Diskussion in ihrer Partei jedenfalls dürfte es ihnen wie den griechischen Grünen, den luxemburgischen Linken oder den belgischen Liberalen gehen: Untergebuttert mangels Masse.
Greven, eine Art Traumtänzer am Taktiktisch der europäischen Integration, mag es beim Schreiben selbst gemerkt haben: Ohne europäisches Staatsvolk, dass sich selbst als europäisches Staatsvolk versteht, ist aus Europa kein Staat zu machen. Ein Staatsvolk aber wird aus den 26 Nationen nicht, so lange in Madrid und Kopenhagen, Stockholm und Prag unterschiedliche Sprachen gesprochen, unterschiedliche Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert, unterschiedliche Politiker kritisiert und unterschiedliche Stars bewundert werden.
Greven selbst schwant etwas, wie er in seinem nebligen Nebensatz über eine „sich herausbildende europäischen Öffentlichkeit und europaweite Medien in den verschiedenen Sprachen“ verrät. Doch die gemeinsame Öffentlichkeit gibt es nicht. Die gemeinsamen Medien gibt es nicht. Die gemeinsame Sprache gibt es nicht. Die gemeinsamen Partein gibt es nicht. Den demokratischen Proporz gibt es nicht. Die Gleichbehandlung von Groß und Klein in einer gerechten Form für beide Seiten gibt es nicht.
Der Rest ist wahr.