Der bundesrepublikanischen Gesellschaft wurde es irgendwann zum fixen Leitgedanken, dass nur ein weithin steuerbefreites Gemeinwesen, ein wirklich lebenswerten Gemeinwesen sei. Wo kärglich Steuern fließen, da fühle sich der besserverdienende Bürger wohl, hieß es - und heißt es noch immer. Das unterscheidet den deutschen Besserverdiener (denn es sind ja Besserverdiener, die glauben, Steuern kämen zu teuer) vom dänischen Kollegen, der nun sogar freiwillig mehr Steuern bezahlen möchte. Besonders markant ist die Absicht dahinter: mit Mehreinnahmen soll der Wohlfahrtsstaat ausgebaut werden.
Kein Wunder, dass man wenig in den Gazetten der Meinungsmacher davon liest. Denn den Sozialstaat ausbauen: das ist für sie undenkbar. In einer Ära, da die soziale Frage eine globale Dimension angenommen hat, erklärt das Modell Deutschland, dass nur der im Rückzug befindliche Sozialstaat auch soziale Antworten bieten könne - indes der rotzfreche Nachbar aus dem Norden mit dem Gegenteil hausieren geht. Wohlfahrtsstaat stärken, lautet die Devise besserverdienender Dänen - und das mit eigenem Beitrag. Nicht zuletzt auch, weil ein starker Wohlfahrtsstaat die Binnennachfrage ankurbelt, damit gewährleistet, dass der Besserverdienende weiter besserverdienen kann. Derlei darf man hier nicht zu laut thematisieren. Besser man schweigt sich in den großen Leitmedien darüber aus - wenn es denn überhaupt sein muß, dann soll es bitteschön nur eine knappe, ganz knappe Meldung sein.
Es wäre ja noch schöner, wenn der deutsche Informationskonsument auf dumme Gedanken gebracht würde! Wohlfahrtsstaat ausbauen: das ist ja ein Affront gegenüber dem deutschen Steuerzahler, diesem geknechteten Wesen. Da fallen die Dänen ihren Nachbarn aber böse in den Rücken mit diesen anachronistischen Phantasien. Wie soll man sich denn zukünftig erklären, wenn plötzlich durch den Blätterwald rauschte, dass die ohnehin hoch besteuerten Dänen, dazu bereit sind, noch mehr zu bezahlen? Hernach glaubt hierzulande kein Mensch mehr, dass es nur die Steuerbescheidenheit und der damit einhergehende Sozialabbau ist, die zu mehr Wohlstand führen. Und was es für die Befindlichkeit von Besserverdienenden bedeutet, wenn sie animiert durch das dänische Beispiel in Zugzwang geraten, darf man sich gar nicht erst ausmalen!
Nur niedrige Steuer- und Sozialabgaben zaubern den Reichen dieses Landes ein Lächeln ins Gesicht - ein gequältes Lächeln, denn Weniger! oder Noch weniger! als Losung wäre ja durchaus drin, wenn dieser lästige Sozialstaat nicht wäre. Man ist jedoch bescheiden, ist mit kleinen Entlastungen zunächst einmal zufrieden, betreibt eine Sparpolitik der kleinen Schritte. Niedrige Steuern beeinflussen die Befindlichkeit der Gesellschaft, lehren sie uns - alle sind glücklicher, zuversichtlicher, wenn öffentliche Kassen straucheln: darüber ist man sich einig. Dass es gleich um die Ecke eine Gesellschaft gibt, die trotz hoher Steuern, trotz der Bereitschaft zu noch höheren Steuern, nur deswegen unglücklich scheint, weil sie den dort herrschenden Wohlfahrtsstaat für ausbaufähig hält, irritiert diese ganze Horde von Mehr Netto vom Brutto!-Apologeten stark. Ein Auslaufmodell ausbauen?, fragen sie sich. Nicht, dass sie über sich und ihre (fehlenden) Ideale plötzlich nachdenken würden - verrückt sind für sie solche, die die Discount-Mentalität nicht auch in den Sozialstaat verpflanzen wollen. Dass es Menschen gibt, scheinbar sogar ein ganzes Volk, das es nicht gerne noch billiger hätte, ist denen überhaupt nicht begreiflich. Altmodisches Denken, morsche, modrige Geisteshaltung - etwas fault da im Staate Dänemark. Die Fäulnis der Sozialromantiker!
Pst, Spiegel! Leise, Stern! Klappe halten, BILD! Nicht berichten, nicht mal ein kurzer Anriss! Es ginge nämlich auch anders, das dürfen nur nicht alle erfahren - sonst ist die schöne Mär vom anachronistischen Sozialstaat nicht mehr anwendbar. Wenn die Massen erst mal erkennen, dass sich die allgemeine Befindlichkeit einer Gesellschaft bessert, je fester der Sozialstaat arbeitet; dass man sich nicht mehr in jeden Billigjob drängen lassen muß, man nicht mehr Freiwild für Arbeitsvermittler und Verwaltungsbeamte ist, weil der starke Sozialstaat den Bedürftigen wieder mehr Selbstvertrauen einflößt; wenn die Menschen das alles spitzkriegen, dann muß die Armut doch wieder per angemessener Steuer alimentiert werden. Wobei die Sozialstaatssparer ja nichts gegen Armut haben - sie können nur die Armen nicht leiden...