Etgar Keret. Die sieben guten Jahre

keret_die_sieben_guten_jahreDer israelische Autor Etgar Keret mag es, Geschichten zu erzählen. Seinen Nachbarn und Freunden erzählt er gern phantasievoll ausgedachte Sachen. Sitzt er aber im Flugzeug oder in der Bahn neben einem Fremden, so erzählt er gern Stories aus seinem Leben, von seinen Eltern, seiner Frau Shira oder dem Sohn Lev. Solche wahren Geschichten hat er dann irgendwann aufgeschrieben. Sie sind bereits in viele Sprachen übersetzt. Es gibt sie in Englisch, es gibt sie sogar in Farsi (Die Welt). Und nun endlich auch auf Deutsch, dank seinem Freund Daniel Kehlmann. Weil diese kleinen Stories aber so persönlich sind, wird es sie nicht auf Hebräisch geben, wird das Buch nicht in Israel veröffentlicht. Für Freunde und Nachbarn hat er halt nur fiktive Geschichten. Für uns “Reisende” sind die wahren Geschichten:

In diesem Buch teilen Sie ein Eisenbahnabteil mit mir. Wenn Sie zur letzten Seite kommen, steige ich aus, und wir sehen uns vielleicht nie wieder. Aber ich hoffe, dass etwas von der siebenjährigen Reise, die mit der Geburt meines Sohnes beginnt und mit dem Tod meines Vaters endet, auch Sie berührt (S. 222). Ganz klar – Etgar Keret hat mich berührt, und wie! Doch in einer anderen Sache hat er sich geirrt. Denn nachdem er mir alles aus seinem wahren Leben erzählt und das Eisenbahnabteil verlassen hat, haben wir uns gestern Abend wiedergesehen … 

LESUNG in der Autorenbuchhandlung Berlin

Etgar Keret. Die sieben guten Jahre Etgar Keret. Die sieben guten Jahre Etgar Keret. Die sieben guten Jahre

Immer wieder inspirieren die Abende mich hier am Savignyplatz ganz besonders, sind diese zwei Stunden doch jedes Mal richtige kleine Events. Alles atmet hier Literatur! Ich spüre eine ganz besonders große Leidenschaft und Liebe zu den Büchern. Man sitzt lässig im Café, trinkt einen Wein oder ein Thomas Henry Spicy Ginger und lässt sich zwei Stunden lang komplett entführen. Diesmal nach Israel …

Zu Gast waren Autor Etgar Keret, Schauspieler Alexander Scheer (der Kerets Texte großartig vorgetragen hat) und die Autorin und Moderatorin Shelly Kupferberg (die charmant und klug moderiert hat). Im Publikum saßen auch: Daniel Kehlmann und Lizzie Doron. Nach zwei Stunden Programm gab es auf Wunsch von Shelly Kupferberg noch eine kleine Zugabe. Seite 33!  Alexander Scheer möge doch bitte die Story Mit unaufrichtigen Grüßen noch für uns lesen. Eine tolle Idee und wunderbare Überleitung zum Signieren, geht es doch in dieser Geschichte um fiktive Geschichten, die Autor Etgar Keret sich beim Signieren seiner Bücher gerne ausdenkt. Selten habe ich übrigens einen Autor erlebt, der mit so großer Leidenschaft signiert – mal konzentriert ernsthaft, mal verschmitzt lächelnd. Ja, so hätte es ewig weitergehen können. Nach einer kleinen Pause hätte ich gern noch ein paar Stories gehört. Mein Wunsch an Alexander Scheer wäre dann Pastrami gewesen.

Es ist nämlich so, dass ich inzwischen richtige Lieblingsgeschichten für mich entdeckt habe, die ich aufmerksam wieder und wieder lese, wie Pastrami , Marmelade, Was sagt der Mann. Magisch zieht es mich in jede dieser Stories rein, kaum dass ich den ersten Satz gelesen habe. So beispielsweise in Imaginäre Heimat:

Als Kind habe ich mir oft Polen vorgestellt. Meine Mutter, die in Warschau aufgewachsen war, hatte mir viele Geschichten über die Stadt erzählt … Ich stellte mir Straßen vor wie jene auf Illustrationen in Charles-Dickens-Romanen. In meinem Geist kamen die Kirchen, von denen meine Mutter erzählte, geradewegs aus einer modrigen alten Ausgabe des Glöckners von Notre Dame … all diese Bilder waren immer schwarzweiß (S. 125/126). Kerets Erzählton ist immer heiter und gelassen, egal ob er von einem Luftangriff der Hamas, einem übellaunigen verschwitzten Taxifahrer oder seinem Sohn Lev erzählt. Sein Blick bleibt stets voller Liebe und Verständnis für menschliche Schwächen und Ticks. Nie klingt Etgar Keret verbittert, wütend oder traurig. Lakonisch und völlig wertfrei beispielsweise sagt er:

Als letzten Monat die Kämpfe in Gaza begannen, hatte ich plötzlich sehr viel freie Zeit. Die Universität in Beersheba, an der ich unterrichte, lag in Reichweite der von der Hamas abgefeuerten Raketen und musste daher geschlossen werden (S. 83). Wer eine solche Situation so beschreiben kann, der hat einfach schon jede Menge Unglaubliches erlebt und überlebt. Gelernt hat er diese Gelassenheit vielleicht auch von Lev … muss ich sagen, dass mein Babysohn die erste erleuchtete Person ist, die ich je getroffen habe. Er lebt ganz und gar in der Gegenwart: Er nimmt keinem etwas übel und fürchtet die Zukunft nie. Er ist vollkommen frei von Ego. Nie versucht er, seine Ehre zu verteidigen … (S. 19). Auch Etgar Keret ist ganz gegenwärtig, frei von üblen Gedanken oder Zukunftsangst. Kann man in einem Land wie Israel Optimist bleiben, fragt Shelly Kupferberg, und er sagt, er hätte gar keine Chance für pessimistische Gedanken. Sohn Lev ist jetzt 10 Jahre und wird in acht Jahren zur Armee müssen, weil das eben so sei in Israel. Und er wird da durchkommen. Da sei er als Vater total optimistisch!

Optimismus strahlt auch das leuchtend gelbe Cover mit der weißen Taube aus. Mit einem Zweig Myrte im Schnabel sitzt sie aufrecht in der Steinschleuder wie die Vögel im Computerspiel angry birds, welches Thema in der Erzählung Vogelperspektive ist. Statt  nach ihrem Abschuß grüne Schweine zu töten, könnte sie im Mittleren Osten Frieden und Verständnis bringen. Diesen Gedanken spüre ich in jeder Zeile von Die sieben guten Jahre. Ganz sicher ist auch, dass Etgar Keret sich mit diesem so herzerfrischenden, menschlichen und irrsinnig komischen Buch direkt in mein Herz geschossen hat.

Etgar Keret. Die sieben guten Jahre. Aus dem Englischen Daniel Kehlmann. S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt 2016. 223 Seiten. 19,99 €



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