Essai 183: Über Scheiß, für den ich zu alt bin

Als mir an meinem 18. Geburtstag mal ein wildfremder Typ sagte: „Pass auf, ab jetzt geht alles ganz schnell“, habe ich ihm nicht geglaubt. Aber – lieber wildfremder Typ, falls Sie das hier lesen – Sie hatten vollkommen recht. Dieses Jahr bin ich schon doppelt volljährig geworden und tatsächlich kommt mir die Zeit seit dem Jahr 2000 viel kürzer vor als die Zeit davor.

Nun könnte man deswegen natürlich wehmütig werden. Vergangenen Zeiten hinterhertrauern oder so. Darüber wehklagen, dass immer mehr weiße Haare im braunen Schopf hervorleuchten (so langsam sieht man sie sogar, ohne gezielt danach zu suchen), die Augen von Krähenfüßchen und Lachfältchen umrandet sind. Sich grämen, weil man jetzt fast eine ganze Woche braucht, um sich von einer langen Nacht zu erholen. Und andere ganz normale Alterserscheinungen, die sich mit Mitte 30 halt langsam so einschleichen.

Oder man lässt es bleiben und freut sich stattdessen über all die Dinge, die man früher für total wichtig hielt, die man aber inzwischen als unnötig erkannt hat. Das ist zumindest mein bevorzugter Ansatz – die Alterserscheinungen kommen ja eh, ob ich mich nun darüber ärgere oder nicht.

Meine Damen und Herren: Ich präsentiere hiermit meine Liste an Scheiß, für den ich zum Glück zu alt bin:

1. Alles glauben, was irgendwelche Schnacker im Brustton der Überzeugung behaupten

Zugegeben, an der Sache arbeite ich noch ein wenig. Hin und wieder passiert es mir dann doch, dass ich auf das aufgeblasene Geschwafel von Wichtigtuern hereinfalle und mich beeindrucken lasse, obwohl die Quatsch erzählen. Aber es ist nicht mehr die Regel. Früher ging ich automatisch davon aus, dass alle besser über alles Bescheid wissen als ich. Da musste man nur irgendwas im überzeugten Tonfall behaupten – und ich ging davon aus, dass das stimmt und der Schnacker ganz genau weiß, wovon er da redet.

Inzwischen ist mein Selbstvertrauen nicht mehr ganz so komplett für’n Arsch und ich habe mir in den letzten Jahren ausreichend Wissen und Erfahrung angeeignet, dass ich nicht mehr ganz so leicht Bullshit und Weisheit verwechsle. Und das finde ich super. Allerdings geht da noch was, von daher freue ich mich schon auf die nächsten Jahrzehnte.

2. Schnäppchen kaufen, weil sie billig sind, obwohl sie mir nicht gefallen

Früher habe ich oft Klamotten gekauft, die günstig, aber nicht wirklich praktisch oder mein Stil waren. Sie vegetierten darob in meinem Kleiderschrank dahin, ohne je das Tageslicht zu erblicken. Ich hatte dann zwar nicht viel Geld dafür ausgegeben, aber in Anbetracht der nicht vorhandenen Zweckmäßigkeit der Schnäppchenkäufe, eben doch zu viel Geld verplempert.

Und sowas nervt mich ja: Wenn ich Geld oder Energie verplempere, ohne dass es mir irgendwas nützt oder mir Freude bereitet. Inzwischen miste ich immer mal wieder meinen Kleiderschrank aus und gebe radikal alles weg, was ich ewig nicht mehr getragen habe, was mir nicht mehr gefällt oder mir nicht mehr hundertpro passt. Ausnahmen mache ich nur bei meinen Abend- und Cocktailkleidern, die trägt man halt generell nicht so oft.

3. Auf Partys gehen, auf die ich keine Lust habe

Ich bin eigentlich, tief im Grunde meines Herzens, ein Partymuffel. Früher habe ich mich trotzdem aufgerafft, mit in den Club zu gehen, obwohl ich viel lieber gemütlich auf der Couch gesessen und mit einer heißen Tasse Tee in den Händen mit meinen Freunden gequatscht hätte, als mich mit fremden Leuten auf einer klebrigen Tanzfläche zu quetschen, schlechte Luft zu atmen, mich von Idioten angraben zu lassen, die nicht kapieren, dass, wenn ich die Frage, ob sie mir einen Drink spendieren dürften, mit „Nein, Danke“ beantworte, damit tatsächlich „Nein, Danke“ meine.

Inzwischen traue ich mich, dazu zu stehen, dass ich kleine, muckelige Runden mit lieben Menschen, die ich gut kenne, Massenzwangsbespaßungsmaßnahmen vorziehe. Dann bin ich eben keine Partylöwin oder extrovertierte Stimmungskanone, und dann werde ich eben irgendwann müde und fahr nach Hause, anstatt bis zum Morgengrauen durchzuhalten. Dann fühle ich mich eben reizüberflutet und unwohl, wenn um mich herum die Technobässe wummern, sodass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Ich bin keine 20 mehr und muss mir das nicht mehr antun.

4. Über meinen Schatten springen, obwohl ich das, was auf der anderen Seite ist, gar nicht will

Ich habe mich früher oft verpflichtet gefühlt, anderen Menschen irgendwas zu beweisen. Ich bin dann oft über meinen Schatten gesprungen, um beispielsweise mit auf Partys oder in die Disco zu gehen, und länger dort zu bleiben, als ich Lust hatte. Auch meine Schauspielausbildung habe ich im Grunde vor allem deswegen gemacht und durchgehalten, weil ich allen zeigen wollte, dass ich nicht so einfach aufgebe, und dass ich Kram, den ich angefangen habe, auch bis zum Ende durchziehe.

Und bevor man mich falsch versteht: Ich bin froh, dass ich das zu der Zeit getan habe. Ich habe zum Beispiel auf der Schauspielschule Freunde fürs Leben gefunden. Und man lernt halt viel über sich, wenn man auch mal Dinge ausprobiert, die einem nicht auf Anhieb zusagen. Und wenn man nicht mal seine Grenzen überschreitet, weiß man nicht, wo diese Grenzen liegen.

Aber mit der Zeit kann man sich immer besser einschätzen und man erkennt nach und nach, was man will und was nicht. Und das Gute ist, dass man dadurch mit zunehmendem Alter immer seltener über seinen Schatten springen muss, um herauszufinden, ob man das, was sich auf der anderen Seite des Schattens befindet, überhaupt erreichen will. Das finde ich sehr angenehm. So kann man sich seine Energie viel besser einteilen.

5. Dinge tun, weil ich denke, dass andere sie von mir erwarten, nicht, weil ich sie tun will

Puh, ganz schön viele Kommata in einem Satz. Aber auch das ist eine Sache, die mir erst so in den letzten Jahren klargeworden ist. Manchmal denkt man, man wollte etwas, aber in Wirklichkeit will man es gar nicht, sondern denkt nur, man müsste es wollen, weil andere das von einem erwarten, und man diese Menschen nicht enttäuschen will. Klingt kompliziert? Ist es auch. Ich bin teilweise auch immer noch dabei, das für mich auseinander zu klamüsern.

Aber es ist tatsächlich auch sehr spannend, herauszufinden, was man selbst will, was man vom Leben noch erwartet, was einen glücklich macht und wo die eigenen Prioritäten liegen. Muss man partout die Karriereleiter in Richtung Führungsposition emporklettern? Oder gibt es nicht noch andere Entwicklungsmöglichkeiten, die einem erlauben, immer wieder Neues dazuzulernen und sein Wissen mit anderen zu teilen? Tut das zwingend Not, eigene Kinder in die Welt zu setzen? Oder kann man nicht auch als Tante/Patentante/Pseudopatentante Spaß haben, die Kinder anderer Leute verwöhnen oder Verstecken spielen oder auf Hüpfburgen herumhopsen? Muss man wirklich immer B sagen, weil man irgendwann mal A gesagt hat? Oder kann man auch einsehen, dass A Quatsch war, und sich stattdessen für C entscheiden?

6. Mich für das Lebensglück erwachsener Menschen verantwortlich fühlen

Zugegeben, ich versuche immer noch, es allen Recht zu machen, und wünsche mir immer noch, dass alle glücklich sind, auch wenn ich weiß, dass das nicht geht beziehungsweise, dass mich das eigentlich nichts angeht. Aber ein bisschen Fortschritte habe ich in der Hinsicht schon gemacht. So mische ich mich zum Beispiel nicht mehr ungefragt ein, wenn ich den Eindruck habe, jemand steht sich selbst und seinem eigenen Glück im Weg. Das fällt mir immer noch schwer, aber ich reiße mich zusammen und denke mir meinen Teil, bis man mich nach meiner Meinung fragt. Und wenn man mich nicht nach meiner Meinung fragt, behalte ich sie für mich.

Es ist ja wirklich so, dass ich nicht für das Lebensglück anderer Leute verantwortlich bin. Und ich bin auch gar nicht das Maß aller Dinge, also, was für mich wichtig ist, muss ja nicht für andere gelten. Und solange keine Lebensgefahr besteht, kann man ja auch andere Leute – aus meiner Sicht – unvernünftige oder nicht zweckmäßige Verhaltensweisen machen lassen, auch wenn ich sie nicht nachvollziehen kann. Es ist ja nicht meine Aufgabe, Leute zu erziehen oder zu ändern. Das einzusehen, ist aber in der Tat eine Sache, an der ich wohl noch weiter arbeiten muss, denn leicht fällt mir das nicht.

7. Bücher zuende lesen, die langatmig geschrieben sind oder mir nicht gefallen

Während des Studiums musste ich mich häufiger auch mal durch Bücher quälen, die sehr verquast oder umständlich oder langatmig geschrieben waren. Es waren auch viele spannende und tolle Bücher dabei, die ich von alleine nicht entdeckt hätte. Aber eben auch so verkopfte Klopper, die darauf ausgelegt sind, nur von anderen Intellektuellen verstanden zu werden, wenn überhaupt. Und ich war zwar im Nachhinein schon stolz auf mich, wenn ich mich da durchgeackert hatte, aber wenn ich ganz ehrlich bin: Spaß ist was anderes.

Und jetzt kann ich endlich nur das lesen, worauf ich Lust habe, und das finde ich wunderbar. Ich habe immer ein Buch in der Tasche und lese in der U-Bahn, in der Mittagspause, wenn ich irgendwo warten muss, … Wenn ich in ein Buch beim besten Willen nicht reinkomme, weil der Schreibstil oder die Erzählweise mir zu zäh ist, dann habe ich inzwischen auch keine Skrupel mehr, ein paar Seiten oder Kapitel zu überspringen oder ein Buch auch mal zur Seite zu legen, und mir ein neues zu schnappen.


Und, wie erlebt ihr das Älterwerden? Kommen euch einige von diesen Dingen bekannt vor? Oder seht ihr noch andere Sachen, die mit den Jahren besser werden? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt! 🙂

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