Es gibt ja nicht viel, was mich zur Weißglut treibt, aber Mitleid gehört definitiv dazu. Das Schlimme ist: Mir passiert das auch gelegentlich, dass ich glaube, ich würde mit jemandem mitfühlen, obwohl ich ihn in Wahrheit bemitleide. Beste Voraussetzungen also, um zu dem Thema mal einen Essai zu schreiben.
Immer wieder trifft man auf Leute, die andere Ziele im Leben, andere Wertvorstellungen und Maßstäbe haben, andere Prioritäten setzen und einen anderen Geschmack haben. Da kommt es oft vor, dass man ihre Handlungsweisen und Motivationen nicht nachvollziehen kann, weil einem das so fremd ist und es so sehr von den eigenen Vorstellungen abweicht. Und dann hat man manchmal den Eindruck, dass diese Menschen nicht klarkommen – weil sie die Ziele, Werte, Maßstäbe und Prioritäten, die man selbst hat, nicht erfüllen. Da hat man dann drei Möglichkeiten:
- Man pfeift drauf, lässt den anderen in Ruhe und geht seiner Wege
- Man hat Mitleid und denkt: „Ach der Arme, der ist so ein Versager“
- Man versucht, Mitgefühl mit dem anderen zu empfinden und ihn respektvoll zu behandeln
Möglichkeit 1 ist meiner Meinung nach für lockere Bekannte in Ordnung und die beste Lösung, damit jeder seinen Seelenfrieden hat. Bei Freunden und anderen Menschen, die einem am Herzen liegen, ist es etwas anderes. Es gibt ja einen Unterschied zwischen Respektieren und Ignorieren; Verhalten, das einem komisch vorkommt, zu ignorieren, wenn es sich um jemanden handelt, der einem etwas bedeutet, finde ich irgendwie … herzlos. Hat man Mitleid mit der betreffenden Person, ist das allerdings auch kein Zeichen von Respekt – und das ist der wesentliche Unterschied zu Mitgefühl.
Bei Mitleid schließt man von sich auf andere und interpretiert den anderen, ohne ihn zu fragen. Man formuliert innerlich ein Urteil, eine Diagnose, wo das Problem liegt, und kommt sich dabei unfassbar schlau und sensibel vor. Dann teilt man sein küchentischpsychologisches Gutachten stolz allen mit, dem Betroffenen natürlich auch, und bietet am besten auch gleich seine Hilfe bei der Lösung des Problems an und ignoriert Proteste und Widersprüche des armen Tropfs, der das Mitleid erregt hat. Übrigens bin ich da nicht anders, ich bin auch manchmal ein ziemliches Arschloch, ohne es in dem Moment zu merken. Das Ding ist nämlich: Mitleid ist nie böse gemeint, es ist immer lieb und nett und gut gemeint – das ist das Diabolische daran.
Ist man selbst das Opfer einer Mitleidsattacke, kann man sich im Grunde nicht wirklich dagegen wehren, man ist in einer emotionalen Zwickmühle eingeklemmt, aus der man nicht mehr heil heraus kommt. Sagt man dem anderen, er solle sich sein Mitleid dahin schieben, wo keine Sonne scheint (was in Hamburg so ziemlich überall ist😛 ), stößt man ihn vor den Kopf, tritt ihm auf den Schlips und steht als undankbares Miststück da. Versucht man es mit Sachlichkeit, bedankt sich für das vermeintliche Mitgefühl, erklärt aber, dass soweit alles in Ordnung ist und man schon klar kommt, wird einem nicht geglaubt oder gar nicht erst zugehört, weil man nicht laut und ausfallend genug geworden ist, um klar zu machen, dass man nicht bemitleidet werden will. Und geht man auf das Mitleid ein, gibt man dem anderen damit recht, und steht wie ein unfähiger Vollidiot da, der nichts alleine auf die Kette kriegt, und kann sich schon mal darauf freuen, das Mitleid nie wieder loszuwerden.
Und dann ist da noch das Mitgefühl. Der Unterschied zwischen Mitleid und Einfühlungsvermögen ist, dass es bei letzterem wirklich um den anderen geht, nicht um einen selbst. Mitleid ist Selbstbestätigung und Selbstdarstellung, Mitgefühl ist ehrliches, aufrichtiges Interesse an der anderen Person. Man versucht dann, sich in den anderen hineinzuversetzen, nachzuvollziehen, wie seine Sicht der Dinge, seine Wertvorstellungen, Prioritäten, etc. gewichtet sind – und betrachtet seine Handlungen in seinem Kontext und nicht im eigenen. Dann stellt man entweder fest, dass der andere zufrieden und glücklich ist, so wie es ist. Oder es gibt doch ein paar Sachen, die ihn wurmen. Wenn man ehrliches Mitgefühl empfindet, wird der andere merken, dass er sich öffnen kann, ohne dass er bewertet, verurteilt, analysiert, belehrt oder sonstwie herablassend behandelt wird. Ist ersteinmal so ein Vertrauen entstanden, dass der andere alles erzählen kann, aber nichts erzählen muss, handelt es sich um wirkliches Mitgefühl.
Ich denke, grundsätzlich kann man Mitgefühl im Rahmen seiner Möglichkeiten schon lernen. Zumindest möchte ich versuchen, wenn ich merke, dass sich Mitleid in mir regt, innezuhalten und zu schauen, ob der andere nur meiner Meinung nach ein Problem hat, oder auch aus seiner oder aus objektiver Sicht. Und dann nicht zu urteilen, sondern zu fragen, nicht mit Weisheiten zuzutexten, sondern zuzuhören. Mal gucken, ob mir das gelingt …