Es ist Zeit, mich zu outen: Ich trinke keinen Alkohol. Und das, obwohl ich überhaupt keinen triftigen Grund für diesen freiwilligen Verzicht vorweisen kann. Sofern man überhaupt von einem Verzicht sprechen kann, wenn etwas einfach nicht zu jemandes Leben dazu gehört, darin einfach keine Rolle spielt. Ich sage ja auch nicht, ich verzichte auf eine dritte Brust. Wobei ich mich, hätte ich drei Brüste, vermutlich weniger exotisch fühlen würde als als Nicht-Alkoholtrinkerin und auch seltener den Eindruck hätte, ich müsste mich irgendwie rechtfertigen, erklären, dafür, dass ich es nicht als Genuss empfinde, meine Sinne zu benebeln.
Vielleicht wurde ich als Kind mit einem Alien-Baby vertauscht, vielleicht fehlt mir das entsprechende Lust-am-Rausch-Gen, das offenbar die meisten Menschen besitzen, vielleicht bin ich aber auch einfach nur ein wunderliches kleines Käuzchen. Jedenfalls, Fakt ist, ich habe ohne Alkohol viel mehr Spaß am Leben als mit. Und trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, anders zu sein, im Sinne von seltsam, eigenartig und nicht ganz richtig im Kopf.
Es ist sehr schwierig, mit Menschen, die gern Alkohol trinken (und das sind mit Abstand die meisten), eine sachliche Diskussion darüber zu führen. Manchmal packt mich dann ja doch das Sendungsbewusstsein und ich möchte mich verständlich machen und erklären, dass man keinen Alkohol braucht, um einen gemütlichen Abend mit Freunden oder allein, zuhause oder in der Kneipe zu verbringen. Man braucht auch keinen Alkohol, um auf einer Party Spaß zu haben, vorausgesetzt, es ist eine gute Party mit toller Musik, netten Leuten und ausgelassener Stimmung.
Immer, wenn ich versuche, das irgendwem begreiflich zu machen, fühlen die sich angegriffen und glauben, ich würde sie belehren wollen. Dann komme ich mir, weil man mich so eklatant missversteht und ich mich bemüßigt fühle, meinen Standpunkt noch deutlicher zu erklären, tatsächlich wie ein Moralapostel vor. Dabei gibt es doch nicht nur das eine oder andere Extrem. Ich will doch überhaupt nicht sagen, dass man nie Alkohol trinken darf. Ich will nur sagen, dass man nicht immer Alkohol trinken MUSS, um zu genießen, Spaß zu haben und sich wohl zu fühlen.
Der Fairness halber möchte ich auch noch betonen, dass inzwischen die meisten Leute, mit denen ich mich darüber mal unterhalte, recht aufgeschlossen reagieren und das auch gut finden, dass ich keinen Alkohol trinke. Oft bekomme ich auch mit, dass viele gar nicht immer freiwillig auf Partys Alkohol trinken, sondern vor allem deswegen, weil es halt dazu gehört und weil es (fast) alle machen. Aber trotzdem kommt es dann zu Problemen wie “Ach Mist, dann kann ich ja gar nicht mit dem Auto fahren, wie komme ich dann nach Hause?”, “Ach Mist, ich wollte doch am nächsten Tag noch dies und das machen, das kann ich nicht, wenn ich verkatert bin”, etc. Da bin ich dann immer diejenige, die mit Verständnislosigkeit reagiert.
Allerdings, was auch die freundlichsten Mitmenschen bei meiner Nicht-Alkohol-Beichte nur schwer verbergen können, ist ihre Verwunderung. Oft kommen dann Rückfragen, warum ich keinen Alkohol trinke, ob aus Überzeugung oder anderen Gründen. Ehrlich gesagt, ich weiß das gar nicht so genau. Ich hab halt einfach nie damit angefangen, weil ich keinen Grund hatte, damit anzufangen und den hatte ich bis heute nicht. Und mit über 30 noch mit dem Alkohol trinken anzufangen finde ich irgendwie überflüssig. Jetzt habe ich mich da schon dran gewöhnt, mein Ruf als Sondervogel ist etabliert, da muss ich mich doch nicht zu etwas zwingen, was mir überhaupt keinen Mehrwert gibt und meine Gesundheit ankratzen könnte.
Denn, tut mir leid, aber so ist das, gesund ist Alkohol nicht. Es gibt eine bestimmte Dosis, die nicht weiter schädlich ist und mit der die Leber gut fertig wird. Aber einen gesundheitlichen Nutzen hat man dadurch nicht. Einige Studien behaupten zwar, dass Wein gesund ist. Allerdings liegt das nicht am Alkohol, sondern an den besonderen Inhaltsstoffen des Weins, die sich aus den Weintrauben heraus im Gärungsprozess entwickeln.
Wenn Alkohol wenigstens lecker wäre, dann würde ich ab und zu in Maßen sicher etwas mittrinken. Denn, dass ich den Rausch nicht mag, hindert mich ja nicht daran, ein bisschen Alkohol zu genießen. Es ist für mich aber kein Genuss, ich finde den Geschmack ganz scheußlich. Ich glaube auch, dass sich da jeder erst einmal dran gewöhnen muss. Oder fand irgendjemand, der heute gern Alkohol trinkt, seinen ersten Schluck wirklich so köstlich? Das würde mich wirklich mal interessieren, weil ich mich da so schwer hineinversetzen kann. Ein Freund von mir versucht immer, mir weiszumachen, dass Alkohol keinen Eigengeschmack hätte. Er behauptet, es gäbe verschiedene alkoholische Getränke, die jeweils einen Eigengeschmack hätten und der Alkohol selbst schmecke nach nichts. Warum aber mag ich dann mit Wein kochen und finde das Aroma wunderbar, wenn der Alkohol größtenteils verpufft ist? Oder warum schmeckt mir Tiramisú, wo der beißende, aggressive, stechende Alkoholgeschmack im Amaretto vom Mascarpone und Espresso neutralisiert wird und nur das feine Mandelaroma übrig bleibt?
Mein Eindruck ist, dass in Sachen Alkohol ganz viel über gesellschaftlichen Gruppenzwang läuft. Es ist Teil der Kultur, Teil der Geschichte, gehört untrennbar zu unserem sozialen Zusammenleben, zu den Regeln der Geselligkeit, ein “Gläschen zu trinken”. Wer da nein sagt, wirkt schnell unhöflich und wird als Spaßbremse betrachtet.
Früher, als ich mich noch in Schauspieler- und Theaterkreisen tummelte, war die Verwunderung über meinen Alkohol”verzicht” noch größer. Schauspieler tun ja ganz gern mal psychologisch und da wurde ich dann immer gleich analysiert: “Du hast Angst. Warum? Brauchst du doch gar nicht!?” Oh, wie ich das gehasst habe! Vielleicht reagiere ich auch deshalb heute noch mit einer gewissen skeptischen Abwehrhaltung, wenn jemand sich freundlich nach den Gründen erkundigt. Das tut mir dann immer leid, aber ich denke dann immer sofort, na super, jetzt halten die mich wieder alle für merkwürdig.
Vielleicht habe ich Angst. Davor, dass ich irgendwas Dummes im Rausch sage oder tue, das andere verletzt oder womit ich mich ganz fürchterlich selbst bloßstelle. Aber ist das so schlimm, davor Angst zu haben und etwas deswegen nicht zu tun? Wenn man aus Angst etwas vermeidet, was einem in irgendeiner Weise nützen könnte, dann ist das natürlich doof. Aber Alkohol zu trinken würde mir doch überhaupt nichts nützen. Ich verstehe also wirklich nicht, warum ich damit heute noch anfangen sollte?
Seltsamerweise scheinen viele, die Alkohol trinken, den umgekehrten Gedankengang zu verfolgen. “Warum sollte ich keinen Alkohol trinken?” ist eine häufige Reaktion, wenn ich versuche, meinen Standpunkt zu erläutern. “Weil es nichts bringt und weil es nicht schmeckt”, ist dann nicht wirklich ein überzeugendes Argument, denn diesen Menschen bringt es ja Freude und Genuss und es schmeckt ihnen. Was ich ja auch überhaupt nicht verurteile, ich wünsche mir nur manchmal ein bisschen mehr Verständnis dafür, dass nur, weil man einen Standpunkt vertritt, mit dem 99 % der Menschen des eigenen Kulturkreises d’accord gehen, das nicht heißt, dass die restlichen 1 % falsch liegen und einen Knall haben.
Das kriegt man wahrscheinlich gar nicht so mit, wenn man selbst betrunken ist, aber betrunkene Menschen sind immer unangenehm. Sie sind laut, manche rücken einem viel zu nah auf die Pelle, sie stinken, einige sind aggressiv, andere weinerlich, wieder andere werden großkotzig und halten sich für unbesiegbar. Ganz selten werden einige bei leichtem Betrunkensein auch netter und gesprächiger. Aber da denke ich immer, die sind halt im nüchternen Zustand schüchtern oder glauben, immer Stärke beweisen zu müssen, und trauen sich nicht, nett und unterhaltsam zu sein. Da wäre es doch möglich, auch ohne Alkohol seine Hemmungen, der sympathische Mitmensch zu sein, der man im Kern ist, zu überwinden. Das ist schwieriger, sicher, aber unmöglich ist es nicht.
Einmal habe ich den Fehler begangen und meinen Geburtstag ohne Alkohol feiern wollen. Das hatte ich allerdings vorher nicht angekündigt, weil ich damit für mich gegen das unausgesprochene Diktat protestieren wollte, Partys wären nur mit Alkohol möglich. Mit meiner pädagogisch gemeinten Motivation habe ich natürlich die Rebellionslust einiger Gäste angestachelt und prompt schmuggelte jemand eine Flasche Wodka ins Haus. Irgendwann wunderte ich mich, dass die Stimmung irgendwie kippte. Einige wurden erst pubertär kicherig, dann aggressiv und plötzlich entbrach zwischen zwei Personen ein völlig idiotischer Streit und ich stand dazwischen als Gastgeberin und verstand die Welt nicht mehr. Bis ich dann am nächsten Tag die leere Flasche entdeckte und mich fürchterlich schämte, so naiv gewesen zu sein, dass andere meine Einstellung verstehen, vielleicht sogar teilen könnten. Und ich war sauer, weil man mich nicht einfach gefragt hatte, ob das OK sei. Da hätte ich vielleicht ein wenig mit den Zähnen geknirscht, aber mich einverstanden erklärt. Mir dabei aber auch gedacht, also, wenn man einen Abend mit netten Leuten in gemütlicher Atmosphäre nicht ohne Alkohol genießen kann, dann sollte man sich doch mal Gedanken machen … Na ja, inzwischen kündige ich halt immer an, dass jeder, der Alkohol trinken möchte, diesen mitbringen kann und gut ist.
Sicher kommt einem eine grauenhaft langweilige Party mit Alkohol weniger furchtbar vor, das mag sein. Aber wenn ich auf einer grauenhaft langweiligen Party bin, dann will ich da doch nicht länger bleiben als nötig. Dann suche ich mir nette Gesprächspartner, laufe ab und zu zum Buffet und wenn ich glaubhaft verkaufen kann, dass ich los muss, weil die letzte Bahn fährt oder ich morgen früh raus muss, verkrümel ich mich. Also auch kein Grund, Alkohol zu trinken. Sonst würde ich am Ende tatsächlich die letzte Bahn verpassen.
Dass mich keiner zu verstehen scheint (außer die wenigen Menschen in meinem Bekanntenkreis, die ebenfalls Alkohol nichts abzugewinnen vermögen), wurmt mich. Es scheint keine sachliche Diskussion über das Thema möglich zu sein. Aber was mich wirklich richtig wütend macht, das ist diese ekelhafte Doppelmoral in Bezug auf Alkohol und Sucht!
Solange man fröhlich und gesellig mittrinkt, ist man ein Genussmensch und allseits beliebt. Aber auch Genussmenschen können (müssen nicht) irgendwann nicht mehr vom Alkohol loskommen. Meine Oma zum Beispiel, die war ein sehr geselliger Mensch und hatte einen großen Freundeskreis. Die haben sich oft getroffen, gemeinsam getrunken (“Dummheit frisst, Intelligenz säuft”, war ein Motto meiner Großmutter) und über Hochkultur debattiert. Dann starb mein Opa und meine Oma rutschte in die Sucht ab. Ihre sogenannten Freunde ließen sie nach und nach alle fallen, keiner wollte mehr mit ihr zu tun haben, alle waren ihr gegenüber peinlich berührt. Sie wurde einsam. Und sie telefonterrorisierte ihre Kinder und Enkel mit volltrunkenen, weinerlichen Anrufen, viele Male am Tag. Wir haben versucht, zu ihr zu stehen, aber leicht hat sie es einem nicht gemacht. Sie war gemein, garstig, verletzend und ungerecht. Misstrauisch und paranoid. Dann wieder hilflos und verloren.
Als Teenager habe ich das alles miterlebt und es war für mich sicher nicht der Hauptgrund, auf Alkohol zu verzichten, aber es hat meine Entscheidung zumindest gestärkt. Meine Oma tat mir sehr leid, ich hatte sie lieb, trotz allem und ich hätte ihr gern geholfen. Besser wurde es erst später, als sie dement war und ihre Sucht seltsamerweise zu vergessen schien. Sie vergaß auch ihre paranoiden Wahntheorien, vergaß, dass ihre Freunde sie im Stich gelassen hatten, vergaß ihre Verbitterung. Sie wurde friedlich. Und so werde ich sie auch in Erinnerung behalten.
Was ich mit dieser Geschichte eigentlich sagen will: Solange man seinen Alkoholkonsum soweit unter Kontrolle hat, dass man im Alltag nicht negativ auffällt, gehört man dazu. Verzichtet man hingegen komplett auf Alkohol, gehört man nicht wirklich dazu. Verliert man eines Tages die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum (und ich bin überzeugt davon, dass davor niemand gefeit ist), dann ist man plötzlich der letzte Dreck und niemand will mehr mit einem zu tun haben. Dieselben Leute, die einen vorher zum Trinken animiert und selber mitgetrunken haben, rümpfen plötzlich die Nase und wenden sich ab. Das ist doch zum Kotzen!
Und so habe ich vielleicht doch den einen oder anderen Grund, keinen Alkohol zu trinken.