Essai 118: Über Glück

Jede Essai-Sammlung, die etwas auf sich hält, sollte auch einen Essai über Glück enthalten. Bislang fand ich es immer Quatsch, über Glück herumzuphilosophieren, weil einer der besten Wege, um seinem Glück im Weg zu stehen, der ist, darüber nachzudenken, was Glück überhaupt ist. Aber da ich gerade Zeit und keine besseren Ideen habe, kann ich ja auch mal meinen Beitrag zur Glücksforschung leisten.

In Deutschland liebt man es ja, aus allem eine Wissenschaft zu machen. Da wird dann der Grüntee bei exakt 75 Grad genau zwei Minuten ziehen gelassen, weil irgendwelche Experten behaupten, so schmecke er am besten. Oder es gibt Leute, die sind allen Ernstes Humorforscher. Oder eben Glücksforscher. Es werden Statistiken erstellt, wo die glücklichsten Menschen wohnen (Dänemark ist im Moment Glücksparadies Nummer 1) und nach der ultimativen, allgemeingültigen Glücksformel gesucht.

Ich weiß nicht, ob das wirklich so übermäßig sinnvoll ist, über Glück herumzuforschen. Ich frage mich, ob die Ergebnisse der Glücksforschung einen Mehrwert bringen über etwaige Kalendersprüche und Weisheiten à la “Du musst nur an dich glauben, dann schaffst du alles”. Aber wenn man den Mumpitz gut verkaufen kann, ist einem ein Dauerabo auf Fernsehtalkshows sicher, dann kriegt man auch eigene Sendungen und geht mit seinen Weisheiten auf Tour und schreibt Bücher, die tatsächlich von Leuten gekauft, wenn nicht sogar gelesen werden.

Die neueste Erkenntnis in Sachen Glücksformeln, die anlässlich zum Tag des Glücks am 20. März ausgetüftelt wurde (den gibt es tatsächlich, den haben sich die vereinten Nationen vor zwei Jahren ausklamüsert), hat überraschenderweise entdeckt, dass Glück darin besteht, dass Haben (materielle und finanzieller Besitz), Lieben (Sozialleben, Partnerschaft, Familie und Freunde) sowie Sein (das Beste aus seinen Möglichkeiten machen) sich im Gleichgewicht befinden. Nun ist das sicherlich nicht verkehrt, doch braucht es wirklich jahrelange intensive Forschung um diese Selbstverständlichkeit zu entdecken?

Das kann ich innerhalb von Sekunden herausfinden, dass Glück die Abwesenheit von Unglück bedeutet. Man munkelt überdies, dass Glück da ist, wo kein Pech ist. Ich finde, da müsste ich jetzt eigentlich einen Orden bekommen, für diese ungeheuerliche Erkenntnis.

Absurd ist außerdem, dass ausgerechnet notorische Pechvögel solche Patentrezepte zum Glücklichsein für bare Münze nehmen. Menschen, die einfach glücklich sind, ohne sich darüber den Kopf zu zermartern, warum sie glücklich sind, lachen sich über solchen Schwachsinn schlapp und freuen sich einfach ihres Lebens. Aber Menschen, denen es wirklich, aus welchen Gründen auch immer, nicht gut geht, die traurig sind und Aufmunterung gebrauchen könnten, fühlen sich doch durch solche Patentrezepte noch mehr unter Druck gesetzt. Da fragt man sich doch, wenn es so einfach ist, glücklich zu sein, wieso kriege ich Vollpfostenversager das schon wieder nicht hin? Oder man fragt sich: Mist, bei mir stimmt das Haben, Lieben oder Sein nicht so ganz, ich darf also laut Naturgesetz und Glücksformel nicht glücklich sein. Das ist doch – mit Verlaub und bei allem Respekt – bescheuert.

Und trotzdem laufen auf den Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsendern schwachsinnige “Glückswochen”, es werden Tage des Glücks beschlossen, die Ratgeberfraktion quillt über vor Tipps zum Glücklichsein und Leute, die die Glücksweisheit mit Suppenkellen in sich hineingeschaufelt haben, scheffeln ordentlich Kohle mit ihren selbstgefälligen, selbstbeweihräuchernden, selbstverliebten und selbstverständlichen Ratschlägen. Da stimmt dann immerhin schon mal das “Haben”.

Meine Botschaft an all die Glückskandidaten dort draußen ist: Scheiß drauf. Völlig wurscht, was die ganzen Glücksexperten labern. Drauf geschissen auf positives Denken, gutes Karma und den ganzen Tröt. Dann hat man nämlich Zeit, das zu genießen, was man gern tut und das auszuhalten, was man tun muss, auch wenn man da nicht so Bock drauf hat. Und ganz nebenbei, völlig aus Versehen, ist man dann glücklich.


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