Essai 115: Über vermeintliche Überredungskünstler

Gestern vormittag klingelte mein Handy und da ich frei hatte und das Ding zur Abwechslung nicht auf lautlos gestellt oder mit leerem Akku irgendwo in der Ecke lag, ging ich tatsächlich auch mal ran. Ein Fehler. Am anderen Ende der Leitung befand sich ein übereifriger, hochmotivierter Finanzfuzzi, der mich schon vor sieben oder acht Jahren dazu bewegen wollte, mein nicht vorhandenes Vermögen gewinnbringend zu investieren. Ich wusste schon damals nicht, woher der Typ meine Nummer und Kontaktdaten hat. Er behauptete, er hätte mich auf dem Unicampus mal angesprochen und da ich mich nicht dran erinnern konnte, dass dem nicht so ist, habe ich da nicht weiter insistiert. Wie dem auch sei, der Kerl hat also offenkundig sämtliche meiner Daten und geht mir seitdem gelegentlich am Telefon auf den Zeiger, weil er mir irgendwas ganz Tolles andrehen will, mit dem ich garantiert derbe reich werde. *prust* Entschuldigung, ich musste kurz lachen.

Glücklicherweise hat er mich die letzten drei oder vier Jahre in Ruhe gelassen und ich hatte diesen Quälgeist schon fast vergessen, da rief er gestern also an und quatschte mir wieder eine Frikadelle ans Ohr. Und wenn ich eine Sache wirklich nicht ausstehen kann, dann ist das, wenn ich in aller mir möglichen Deutlichkeit meine Ablehnung kommuniziere und mein Gegenüber das einfach nicht schnallt. Gut, zugegeben, ich neige dazu, selbst dann freundlich und höflich zu bleiben, wenn ich “Nö” sagen will. Mir tut mein Gegenüber dann leid, weil ich denke, der hat’s ja auch nicht leicht. Der meint es ja nur gut oder der muss ja auch irgendwie seine Brötchen verdienen, ist vermutlich selbstständig und muss hier am Wochenende Leute belästigen und seinen dubiosen Finanzscheiß so verkaufen als wäre es pures Gold, das ist sicher nicht einfach. Und dann komme ich mir gemein vor, wenn ich einfach drauflos blaffe: “Nä. Kein Bock. Lassen Sie mich in Ruhe und rufen Sie nie wieder an!” und auflege.

Leider ist das aber genau die Art, mit der man bei solchen vermeintlichen Überredungskünstlern, die sich für mega die Verkäufer halten, umgehen muss, wenn man seine Ruhe haben will. Aber ich bringe es nicht übers Herz. Was mich auf keinen Fall zu einem besseren Menschen macht, das nur so am Rande, denn mir ist durchaus bewusst, dass das wiederum eine äußerst nervige Eigenschaft von meiner Wenigkeit ist. Bei dem anderen kommt das nämlich so rüber, als würde ich dieses Bombenangebot nicht ablehnen, sondern zögern und mich zieren und quasi darum betteln, weiter überredet zu werden. Es wirkt wie eine Hinhaltetaktik, wie Kokettieren und als würde ich spielen wollen. Vermutlich ist das auch der Grund, warum ich immer wieder in solche Situationen gerate, in der irgendwer meint, mich zu meinem eigenen Wohl zu irgendwas überreden zu müssen und ich fang an mich zu rechtfertigen, zu argumentieren, zu begründen und mich zu verteidigen – kurz: zu versuchen, mich rauszureden und aus der Affäre zu ziehen. Was nie funktioniert, denn je mehr ich versuche, mich herauszuwinden, desto mehr fühlt sich der vermeintliche Überredungskünstler angespornt, mir mit noch mehr Tipps und Angeboten auf den Wecker zu fallen. Ein Teufelskreis. Seufz.

Im Gespräch mit dem Finanzfuzzi meinte ich gleich zu Beginn: “Ja. Wissen Sie was, an meiner Situation hat sich jetzt nicht so viel geändert. Ich hab alles, was ich brauche, aber auch nicht mehr. Ich hab kein Geld übrig, das ich anlegen könnte.” Und mir ist ein Rätsel, wie man da die Ablehnung nicht kapieren kann. Aber offenbar war das schon wieder zu nett von mir, jedenfalls fing der Typ dann an, mir irgendwas vorzufaseln, von wegen, man könne sich doch trotzdem mal zu einem Gespräch (ganz unverbindlich! Gern auch auf nen Kaffee!) treffen und dann finde man schon eine Möglichkeit auch mit kleinen Beträgen und da könnte ja der Staat auch noch und Sie sparen dann Steuern und denken Sie doch mal an Ihre Rente! – Darauf ich: “Na, die ist ja wohl noch ne Weile hin, so alt bin ich nun auch wieder nicht. Ich würde mich dann einfach melden, wenn ich eine Beratung brauche.” – Dann er: “Das passiert viel schneller als man denkt mit der Rente und wenn Sie jetzt nicht damit anfangen, dann ist das bald zu spät …” – Da wurde ich dann langsam ungeduldig und infolgedessen leicht sarkastisch: “OK, also wenn ich in zwanzig Jahren oder so mal irgendwann das Bedürfnis verspüren sollte, mich beraten zu lassen, dann würde ich mich noch einmal bei Ihnen melden.” Das ging dann noch ein paar Mal hin und her, bis er dann endlich etwas geknickt resignierte und wir das Gespräch beendeten.

Wie gesagt, mir tut das schrecklich leid, wenn Leute mir einen guten Rat geben wollen und ich will den guten Rat aber in diesem Moment nur zur Kenntnis nehmen und sonst nichts. Also sag ich dann sowas wie “Mhm.” oder “Mjoa … mal gucken” oder – wenn ich gerade richtig genervt bin – “Das ist für mich im Moment kein Thema”. Da sitzt der vermeintliche Überredungskünstler natürlich auf glühenden Kohlen und denkt, Aha, ich muss jetzt einfach noch mehr auf dem Thema herumreiten und noch weiter ins Detail gehen und noch mehr die Vorteile anpreisen und dann sieht sie ein, dass ich nur das Beste für sie im Sinn habe und ihr nur Gutes will. Was ja absolut ehrenwert und alles ist. Aber leider ein eklatantes Missverständnis. Gut, da muss ich mir wohl auch an die eigene Nase fassen, schließlich könnte ich mich auch wirklich klarer ausdrücken und sagen: “Ich nehme den Vorschlag zur Kenntnis und erkenne an, dass er wohlwollend gemeint ist, möchte aber jetzt gern das Thema wechseln.” – Aber im Eifer des Gefechts kommt dann bei mir trotzdem nur ein “Mjoaaa” herausgepurzelt und den darunter liegenden Subtext versteht kein Mensch.

Manchmal wäre es echt praktisch, wenn man auf Knopfdruck pampig und unwirsch sein könnte. “Nein! Sonst noch Fragen? War ne rhetorische Frage, ich leg jetzt auf!” – das wäre vermutlich eine sehr erfolgversprechende Strategie, um sich lästige Verkäufer und Überredungskünstler vom Leib zu halten. Vielleicht sollte ich das auf meine Mailbox sprechen: “Nach dem Piepton Fresse halten” oder so. Bloß dann vergraule ich ja auch die Leute, mit denen ich gern ein Schwätzchen halte. Vielleicht kann ich aber nervige Verkäufer in Zukunft als Testpersonen nutzen und das vermeintlich unfreundliche “Nein! Kein Interesse! Tschüss!” üben und dann wirklich einfach auflegen, damit sie gar nicht erst die Möglichkeit haben, mich mit ihren Überredungskünsten in die Ecke zu drängen. Mal gucken, wann der Finanzfuzzi das nächste Mal anruft.


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