Essai 112: Über den Mindestlohn

Von Isa09

Uschi Glas setzte sich bei der Markus Lanz-Talkshow am 21. November 2013 ganz schön in die Nesseln, als sie ihre Meinung zum Mindestlohn kund tat. Sie sagte dort nämlich: “Ich denke, er [der Mindestlohn] kann nicht kommen, da wir das Problem haben, dass wir vor allem in den neuen Bundesländern wirklich ähm (Schulterzucken) nicht gut qualifizierte Menschen haben, und da wird man sich dann halt so entscheiden, okay, dann gehen die halt wieder in die Arbeitslosigkeit und ich denke einfach, du kannst das ähm äh nicht händeln und wenn wir jetzt die ganzen Berichte lesen von Wirtschaft, von Mittelständlern, und und und, ich war neulich in einer Diskussion vom deutschen Mittelstand und die einfach sagen, das können wir dann nicht leisten.”

Ich muss sagen, dass das in mehrfacher Hinsicht eine unmögliche Äußerung ist. Erstens beleidigt sie damit sämtliche Ostdeutschen. Zweitens stellt sie überhaupt nicht die Frage, warum es überhaupt “nicht gut qualifizierte Menschen” gibt. Drittens frage ich mich, wie man insbesondere als Schauspielerin, das heißt als kulturschaffende Künstlerin, sich so unsolidarisch mit den Kollegen zeigen kann, die schon froh sind, wenn sie sich ein Dach über dem Kopf und täglich eine warme Mahlzeit trotz Ausbildung und Talent und allem Pipapo leisten können.

Nun hat sich Uschi Glas zwar entschuldigt, aber wirklich etwas zur Lösung des eigentlichen Problems hat sie mit ihrer Rechtfertigung meiner bescheidenen Ansicht nach nicht beigetragen. Sie bleibt weiter bei ihrer Argumentation, dass es für – überspitzt und polemisch formuliert – dumme, faule Leute, die nichts können und nichts wollen, noch weniger Jobs gibt als sowieso schon, wenn man ihnen keine menschenunwürdige Dumpinglöhne mehr zahlen darf. Weil dann nämlich die Unternehmen sagen, nä, ich bezahl doch nicht so einem Vollidioten mit null Fähigkeiten 8,50 Euro die Stunde, damit der mir hier zur Last fällt und nichts nützt. Das wird natürlich von den notorischen Mindestlohn-Gegnern in blumigere Worte verpackt, damit niemand merkt, wie arrogant dieser Wohlstandsbürgerbonzenstandpunkt eigentlich ist. Und wie borniert. Und dumm. Und zum *grummelbrummelwüstesgefluche* Aus-der-Haut-fahren.

Es geht doch überhaupt nicht darum, dass mit dem Mindestlohn Leuten Almosen dargeboten werden soll, die es – aus Sicht ultrakonservativer Kapitalisten – ‘nicht verdient’ haben. Es geht darum, sämtlichen Menschen die Möglichkeit zu geben, von ihrer Arbeit leben zu können. Und da sind 8,50 Euro die Stunde wirklich nicht zu viel verlangt. Mag sein, dass dann viele Unternehmen sagen, Pfft, stelle ich einfach weniger Leute ein, die müssen dann halt mehr und schneller arbeiten, das klappt schon. Und dass dann tatsächlich mehr Leute ohne Job bleiben und dass es dann eher die trifft, die keine oder keine ausreichende Ausbildung vorzuweisen haben.

Aber diese Einstellung sollte man nicht auch noch dadurch fördern, dass man diesen Leuten ihren Willen erfüllt und den Mindestlohn nicht einführt. Denn diese Einstellung ist schlicht und ergreifend hochgradig menschenverachtend. Menschen werden zu Arbeitsmaterial degradiert, zu Maschinen, Robotern, die am Fließband produzieren sollen, ohne Seele, ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Herzblut. Und das ist zum Kotzen und muss geändert werden. Außerdem kann es nicht angehen, dass Menschen, die Schwierigkeiten in der Schule und in ihrer Ausbildung haben, einfach fallengelassen werden wie heiße Kartoffeln, nach dem Motto, ja, die sind halt dumm. Diese Menschen müssen stärker gefördert und unterstützt werden, man muss sich um sie kümmern, damit sie einen passablen Schulabschluss und eine Berufsausbildung erhalten können.

Das heißt, die Lösung ist nicht, dass man diese Leute irgendwie beschäftigt, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik raus sind und dann zahlt man ihnen einen lächerlich kleinen Stundenlohn, der einfach nur reiner Hohn ist, mit dem Argument, ja, die haben ja nichts gelernt, da können die auch nicht mehr erwarten. Warum haben die denn nichts gelernt? Weil sich keiner für sie interessiert und sie jeder gleich in eine Schublade mit dem Etikett “unfähig” geschoben und dann einfach ignoriert und ihrem Schicksal überlassen hat. Da müssen einfach auch die Lehrer an den Schulen auf solche Fälle besser vorbereitet und psychologisch geschult werden. Ebenso die Mitarbeiter im Arbeitsamt. Außerdem müssten die Arbeitsämter mit mehr Personal ausgestattet werden (schafft Arbeitsplätze!), die sich dann intensiver der Betreuung der Arbeitslosen widmen und sich wirklich bemühen könnten, die Menschen in die Arbeitswelt zu bringen, wo sie dann auch den Mindestlohn verdient haben. Und manchen Leuten muss man da vielleicht auch in den Hintern treten, aber dafür müssen die Arbeitsamtmitarbeiter die Zeit haben, die sie nicht haben, wenn auch dort am Personal gespart wird.

So. Das ist meine Meinung zum Mindestlohn. Wer mag, darf meine Argumente nun nach Herzenslust auseinander nehmen. Ich bin gespannt. Und bitte, nicht so ein langweiliges, vorhersehbares Argument wie “Und wer soll das ganze idealistische Gutmenschentumgeschwafel finanzieren?” – Es gibt genug Leute, die unverdient, unverschämt viel Kohle scheffeln, die könnten freundlicherweise auch mal etwas davon abgeben und dem Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Aber das Stichwort Millionärssteuer bietet wohl genug Stoff für einen eigenen Essai.