Es waren zwei Türkenkinder

Von Robertodelapuente @adsinistram
Natürlich empörte das Urteil des EuGH bestimmte Kreise in Deutschland. Sie griffen sich an den Kopf und fühlten sich mal wieder von Europa bevormundet. Alt-»Bild«-Stellvertreter Tiedje bringt es sogar hin, seine Empörung zu Papier zu bringen, ohne auch nur ein einziges Mal das Assozierungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei zu nennen, auf dem die Entscheidung des EuGH beruht.
Dass man Ehegatten nicht ohne die Barriere namens »Sprachtest« nachführen konnte, obwohl der Partner schon in Deutschland lebte und arbeitete, war ein Skandal. Und bleibt einer. Denn die Ablösung dieser Praxis gilt ja nur für türkische Staatsbürger. Alle anderen müssen weiterhin zunächst den Beweis erbringen, ob sie würdig sind für ein Leben in Deutschland. Eheleute, die aus ökonomischen Gründen getrennt sind, haben also auch künftig nicht das Recht, barrierefrei zusammenzukommen. »Es waren zwei Türkenkinder / Die hatten einander so lieb / Sie konnten zusammen nicht kommen / Das Wasser war viel zu tief.« Dabei ist doch primär eigentlich weniger wichtig, ob die Gesellschaft den zuziehenden Gatten versteht. Grundlage der Zusammenführung hat doch zu sein, dass sich die beiden Eheleute verstehen. Eheliches Verständnis geht doch wohl vor Verständigung.

Und steht nicht die Ehe auch unter einem »besonderen Schutz«? Mir war so, als hätte ich da irgendwo mal was davon gelesen oder gehört. Und wäre sie damit nicht ebenfalls wichtiger als die Sprache, wegen der man nicht benachteiligt werden darf? Kommt mir auch bekannt vor! Ach ja, genau: Beides findet sich so im Grundgesetz. Und wie wenig das an manchen Stellen der Gesellschaft berücksichtigt wird, sieht man genau dort, wo der Staat ausländische Eheleute durch repressive Maßnahmen trennt. Die Ausländerpolitik ist jedenfalls von den Idealen des Grundgesetzes schon lange befreit. Sie umschifft dort all das, was dem Menschen und seinen Lebensumständen Würde verleiht.
Doch leider hat der EuGH sein Urteil nicht tiefer begründet. Hat sich nur auf das Abkommen zwischen den beiden Ländern gestützt. Vielleicht folgt da ja doch noch mehr. Und vielleicht könnte Karlsruhe in einem lichten Moment mal sagen: Wer einen hier lebenden Ehepartner von seinem Gatten getrennt hält, der handelt verfassungswidrig in mehreren Punkten. Inklusive dem Grundrecht von der Gleichheit aller Menschen.
Wer jetzt so tut, als sei diese Lockerung der Sprachtest-Praxis der Untergang des Abendlandes, dem sei gesagt, dass diese Verfassungsignoranz viel mehr Untergang beinhaltet, als es einige türkische Ehefrauen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen je bewirken könnten. Die werden sich nämlich Deutschkenntnisse aneignen. Der Alltag wird das erzwingen. Ob die Tiedjes und Konsorten aber je Verfassungskenntnisse erhalten werden, bleibt eher fraglich. Denn in ihrem Alltag ist das nicht notwendig.
&button;