Es ist eigentlich nichts Bemerkenswertes passiert. Nur eine alte Kastanie, seit Jahren schon krank, ist gestern bei einem Unwetter in Amsterdam gestorben. Sie knickte einfach um und wird niemanden mehr mit ihrer Pracht erfreuen.
Doch was dieses Ereignis erwähnenswert macht: Es war die Kastanie, die einem 15-jährigen, lebenslustigen Mädchen aus Frankfurt am Main, das sich ab 1942 mit seiner Familie in einem engen Hinterhaus in Amsterdam vor den Nazis versteckte, immer wieder Freude schenkte und Hoffnung für eine bessere Zukunft gab.
Doch am 4. August 1944 gegen 10 Uhr kamen die Häscher der Gestapo. Die Familie, deren einziges "Verbrechen" es war, jüdischen Glaubens zu sein, war verraten worden und wurde nach Auschwitz verschleppt, später wurden sie getrennt, das Mädchen, dessen Name später um die Welt ging und seine Schwester Margot kamen in das KZ Bergen-Belsen. Ihr Vater Otto überlebte als einziges Familienmitglied, weil bereits am 27. Januar 1945 die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreite.
Margot und Anne starben im KZ Bergen-Belsen. Anfang März 1945. Nur wenige Wochen bevor die britische Armee am 15. April 1945 Bergen-Belsen befreite.
Wir kennen ihre Geschichte, weil ihr Vater Anne zu ihren 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 ein rot-weiß kariertes Büchlein schenkte, dem sie ihre Gedanken anvertraute, auch ihre Freude über die letzte Blüte jeder Kastanie eben, die sie im Mai 1944 erleben durfte – und das die Nazis nicht fanden: das Tagebuch der Anne Frank.
Post Scriptum: Die Kastanien dieses Baumes wurden an Gedenkstätten in der ganzen Welt eingepflanzt – Anne Franks Baum wird weiterleben. So wie das Andenken an Annelies Marie Frank aus Frankfurt am Main, genannt Anne...