“Es sind ja nur Tiere” – Auschwitz ist überall

Von Politropolis @sattler59

„Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt: ‚Es sind ja nur Tiere.‘“ – Schweigen, Fassungslosigkeit, vielleicht Empörung. Welcher Mensch beansprucht es für sich, etwas derart Unverschämtes, Unsensibles, gar Abartiges auszusprechen und erst zu denken?


Welcher Mensch ist derart vermessen, dass er vom Holocaust eine Parallele zieht, zu einem alltäglichen – vielleicht nicht anerkannten, aber tolerierten und legitimen – Gewerbe? Es war kein geringerer als der deutsche Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno, der mit diesem Ausspruch für Furore sorgte.

Warum tat er dies, wo doch jeder weiß, dass der Mensch dem Tier nicht bloß überlegen ist, sondern aufgrund dessen auch darüber entscheiden darf, wann und wie das Tier zu leben, und wann und wie es zu sterben hat? Man könnte natürlich auch darauf eingehen, dass in einem Konzentrationslager vollkommen andere Zustände herrschten, als in heutigen Schlachthäusern. Ich möchte mich nun aber nicht in sinnlosen Beschreibungen und geschmacklosen Bemerkungen über diese Verbrechen ergehen. Dafür ist das Thema zu ernst. Vielmehr möchte ich das Prinzip Auschwitz als Metapher für eine Gesinnung nutzen, die es zulässt, ein bestimmtes Leben höher zu werten, als ein anderes.

Die nationalsozialistische Ideologie verfügte über verschiedene Ideologeme. Eines war die Rassenlehre, welche aus gleichem Leben unterschiedlich wertvolle machte und letzten Endes in den grausamsten Völkermord aller Zeiten führte. Wir lernten viel durch den Holocaust. Wir lernten, dass ein rassistisch begründeter Nationalismus und autoritäre Gesellschaftsstrukturen Elemente sind, die sich über das psychologische System von Hass und Angst durchzusetzen wissen. Wir lernten, dass die Aufwertung einer Gruppierung immer mit der Abwertung einer anderen einhergeht. Wir lernten, dass die unterschiedliche Bewertung oberflächlich verschiedener Leben, immer bloß Produkt einer subjektiven und willkürlichen Denkweise ist. Wir lernten dies in Bezug auf den Menschen. Warum aber ist ein Menschenleben mehr wert, als das Leben von Vertretern einer anderen Spezies?

Religion als Legitimation

Wie so oft, wenn es darum geht, bisher unreflektierte Denkweisen infrage zu stellen, stößt man auf die großen monotheistischen Religionen. Diese fungieren auch in diesem Fall als Legitimationsfaktoren eben dieser fragwürdigen Gewohnheiten, weswegen es sich einmal mehr fragen lässt, inwiefern die Religion die Gesellschaft prägte, oder die Religionen selbst beziehungsweise einige ihrer Forderungen, Anregungen und Regeln nur zur Rechtfertigung und Einhaltung bestimmter Strukturen in der Gesellschaft erfunden wurden.

Während es im Islam und Judentum nicht alle Tiere sind, die sich zum Verzehr eignen sollen und es eine Einteilung in koschere und nicht koschere Tiere gibt, wird dem Töten von Tieren zu Nahrungs- und Nutzungszwecken im Christentum kaum eine Einschränkung geboten. Viel zitiert ist Jesus‘ Ausspruch: “Merkt ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann? Denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch, und kommt heraus in die Grube.” (Mk 7, 19). Jesus vollzog also keine unterschiedliche Bewertung von Tierleben, sieht man vom Menschen als Tier an dieser Stelle einmal ab. Warum die monotheistischen Religionen nun – was den Wert von Tierleben betrifft – in Teilen unterschiedliche Richtlinien aufweisen, kann an anderer Stelle diskutiert werden.

Dass diese alten Religionen höchstens als Spiegel von Wertvorstellungen einer anderen Zeit gelten dürften, vielleicht als Projektionsflächen menschlicher Ansichten, historisch, aber nicht mehr geisteswissenschaftlich von Interesse sein sollten und nicht als absolut gelten müssten, ist vielen aufgeklärten Bürgern mittlerweile bewusst. Die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier – angefangen beim alttestamentarischen Gedanken, der Mensch sei das Ebenbild Gottes – wurde dennoch von unserer wenig religiösen Gesellschaft übernommen. Warum? Vermutlich aus Bequemlichkeit.

Woher kommt Moral?

Spätestens seit Friedrich Nietzsche wissen wir, dass es keinen moralischen Wert an sich geben kann. Nietzsche verkannte allerdings, dass der althergebrachte Altruismus, den er als Sklavenmoral für die Starken zugunsten der Schwachen verstand, für den Menschen wohl die befriedigendste Lebensweise garantiert, die das irdische Leben ermöglicht.

Um eine gewisse Zufriedenheit anzustreben, muss der Mensch versuchen, nach seinem natürlichen Gewissen zu leben, das ihn beglückt, wenn er aus Liebe handelt und bestraft, wenn er zu Ungunsten anderer Kreaturen handelt. Dass diese altruistische Grundgesinnung der Menschen nicht allein durch die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen bewirkt werden konnte, merkt man, wenn man sieht, dass in nahezu allen früheren Kulturen, Werte wie Nächstenliebe und Selbstlosigkeit von Bedeutung waren.

Unser natürliches Gewissen, unsere emotionale Intelligenz, kann – wenn wir das wollen – gut mit unserem rationalen Denken kooperieren. Diesem Umstand verdanken wir es, dass wir nicht allein auf unsere moralische Intuition hören müssen, welche oftmals zum Opfer der jeweiligen Werte in einer spezifischen Gesellschaft wird; sondern darüber hinaus imstande sind, gemäß dieser, Überlegungen anzustellen, wie wir die Grundwerte unserer natürlichen altruistischen Tendenzen auf Lebensbereiche übertragen können, die von unserer ursprünglichen Intuition nicht betroffen sind. Wir erweitern also unser moralisches Bewusstsein mittels unserer Vernunft, müssen aber immer aufpassen, dass wir uns auf dem Weg dorthin nicht in einem dogmatischen Urwald voller Regeln und Gesetze verfangen, der einem unbedachten Religionszwang sehr nahe kommen würde. Dass wir den Weg zum Altruismus überhaupt in den meisten Fällen zunächst über die Theorie gehen müssen, liegt daran, dass wir in unserer Konsumgesellschaft uns so sehr von unseren Intuitionen entfremdet haben, dass es schwer ist, sich seiner emotionalen Intelligenz wieder bewusst zu werden.

Entfremdung

Erweitern wir also unser moralisches Bewusstsein auf den Bereich des Umgangs mit Tieren und werden uns der Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Tier bewusst, merken wir, dass viele Naturvölker mit Hilfe ihrer natürlichen Intuition einen respektvolleren Umgang mit den Tieren pflegten, oder gar – wie z.B. in einigen Teilen Indiens – vollkommen vegetarisch lebten. Interessant ist auch der frühere Umgang vieler Indianer mit den Tieren, da diese ein Ritual kannten, bei dem sie dem jeweiligen Tier die Gründe für seinen Tod erklärten, um sich selbst der Bedeutung des Todes bewusst zu werden. Außerdem muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die meisten Indianerstämme, fast gänzlich auf Nutztiere verzichteten und die Tiere bis zum Zeitpunkt ihres Todes in ihrer natürlichen Umgebung leben ließen. Bei der Jagd wurden sie sich der Bedeutung des Tötens bewusst und gingen mit ihrer Umwelt eine natürliche Symbiose ein, da sie nie mehr jagten, als sie brauchten und die mit ihnen lebenden Kreaturen mit Respekt behandelten.

Unsere heutige Beziehung zu Tieren kann man sich im Gegensatz dazu kaum obszöner vorstellen: Wir echauffieren uns über Hunde essende Chinesen, während wir uns kiloweise Wurst kaufen. Dass Schweine mindestens so intelligent und sensibel sind wie Hunde und sich sogar im Spiegel erkennen können, interessiert dabei die Wenigsten. Wir ekeln uns vorm Schlachten und unterstützen zugleich Mastbetriebe, in denen einer Mutter ihre Kinder direkt nach der Geburt weggenommen werden, damit sie dann zu traumatisierten Kannibalen verkommen, die nie das Tageslicht sehen dürfen und wohlmöglich nur auf eigenen Beinen stehen können, weil es keinen Platz zum umfallen gibt. In Deutschland werden jedes Jahr Millionen an Hühnern, Kühen und Schweinen zum Opfer einer Gesellschaft, die die Hälfte ihrer Lebensmittel einfach wegwirft.

Und auch die Milch- und Eierproduktion ist für die Produzenten alles Andere als lustig. Um Milch zu geben, müssen Kühe jährlich kalben, weswegen sie, – anders als in natürlicher Umgebung – kein Alter von 20 Jahren erreichen, sondern schon nach vier oder fünf Jahr sterben. Aus den Kälbern wird indes Kalbfleisch – auch auf den meisten Biohöfen. Da männliche Küken nicht imstande sind, Eier zu legen und ein schreckliches Leben als Legehenne zu führen, werden diese zumeist entweder vergast oder geschreddert und landen anschließend im Müll.

Und während der Staat diese amoralischen Mastbetriebe sogar subventioniert, schafft es die Werbung den Konsumenten durch grüne Wiesen auf den Verpackungen zu betrügen. Bei all diesen Lebewesen handelt es sich nicht um Produktionseinheiten, sondern um Einzelschicksale, welche vermutlich nicht weniger leidensfähig sind, als der Mensch. Und definieren wir nun den Wert eines Lebens über seine Leidens- beziehungsweise Gefühlsfähigkeit, wird es schwer, die Unterscheidung zwischen dem Wert von Mensch- und Tierleben aufrecht zu halten.

Ethisches Essen

Doch ist der Verzehr von Tierprodukten generell zu vertreten? Grundsätzlich strebt ein Mensch, der nach altruistischen Werten lebt, eine Daseinsform an, unter der möglichst wenige Kreaturen leiden. Die Unterstützung von Mastbetrieben oder vom Freiheitsraub allgemein lässt sich demnach wohl kaum legitimieren. Wie ist es aber mit dem Jagen, bei dem man dem Tier bis zum Eintritt des Todes ein natürliches Leben ermöglicht? Zweifellos ist dies nach altruistischen Maßstäben die moralisch bessere Variante. Da wir jedoch  nicht wissen, was der Tod ist, dürfen wir ihn – meiner Meinung nach – auch niemandem zufügen, solange es für unseren eigenen Lebenserhalt nicht absolut notwendig ist.

Die moralische Bewertung einer Handlung richtet sich schließlich immer nach dem jeweils Möglichen. Da eine vegetarische oder vegane Ernährung in unserer heutigen Überfluss-gesellschaft kein Problem mehr darstellt und auch wesentlich gesünder und ökologisch vertretbarer ist, ist ein fleischloses Leben nicht nur möglich, sondern auch in den meisten Fällen angenehmer, da man sich nicht mehr verantwortlich fühlen muss, für zahlreiche Morde und das globale Ernährungsproblem.

Wie man nun im Einzelnen vorgehen sollte, um seine Ernährung gänzlich oder zumindest zu Teilen umzustellen, kann und sollte an anderer Stelle besprochen werden. Vor allem ist es wichtig, dass wir Menschen lernen, Tiere nicht mehr als minderwertig anzusehen. Vor allem ist es wichtig, nicht mehr in den Strukturen einer Ideologie von Hass und Angst zu verweilen. Und das Wichtigste ist, dass wir endlich mit dem Prinzip Auschwitz abschließen, um einer Zukunft der respektvollen Gleichberechtigung entgegen sehen zu können. Denn noch ist das Prinzip Auschwitz überall.

Elfriede Jelinek schrieb einmal: “So wenig Farbige für Weisse oder Frauen für Männer geschaffen wurden, so wenig wurden Tiere für den Menschen geschaffen.”

ein Artikel von Finn Job, kunst-denken-meinung

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Ein kurzer Filmbeitrag mit bedenkenswerten Argumenten:
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